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ZUR EINFÜHRUNG Georg Friedrich Händels Orchesterkunst zeigt seine gültigste Aus prägung in den 12 Concerti grossi op. 6 (London 1739), die neben Bachs Bran denburgischen Konzerten (1721) die höchste Repräsentation deutscher Instru mentalmusik großen Formats vor den Wiener Klassikern verkörpern. Immer wie der beeindruckten aufs neue an dieser nur für Streichorchester geschriebenen Werkgruppe die geniale, mit Würde gepaarte Einfachheit, die innere Größe und Heiterkeit des Ausdrucks bei aller Leidenschaft und Pathetik. In der Melodie bildung nahm Händel Anregungen von A. Corelli und dem italienischen Ge sangsstil auf und entwickelte diese weiter. Dem heute erklingenden Concerto grosso B-Dur op. 6 Nr. 7 gab der Händel-Forscher Walter Serauky den Namen „Konzert der Lebensfreude", da die frohen, heiteren Sätze in dem Werk überwiegen. So erinnert das humori stische Thema der an zweiter Stelle stehenden Allegro-Fuge an das Gackern einer Henne. Beschwingt und froh ist auch der Charakter des Andante und keck übermütig gibt sich der lustige Kehraus des altenglischen Schalmeientanzes „Hornpipe". Eine völlig andere Ausdruckswelt begegnet uns in den beiden nächsten Werken des ersten Programmteiles, die sich — wenn auch von verschiedener Position — mit dem Problem des Todes auseinandersetzen. Der Tod zweier einflußreicher Brüder der Freimaurerloge „Zur gekrönten Hoffnung" in Wien veranlaßte Wolf gang Amadeus Mozart, der 1785 dieser Loge beigetreten war, ein Werk für die Trauerfeierlichkeiten am 17. November 1785 zu schreiben: die Maurerische Trauermusik c-Moll KV 47 7. über die Gründe, die Mozarts Eintritt in die Freimaurerloge veranlaßten, lesen wir in Hermann Aberts Mozart-Biographie: „Wir kennen Mozarts Bedürfnis nach Freundschaft und sein Humanitätsideal als die Grundlage seiner Sittlichkeit. Ergriffen von dem Drange jener Zeit, den Glauben vom äußerlichen Gottesdienst zu lösen, das Verhältnis zum Nächsten, zum Menschenbruder aus den Fesseln des Her kömmlichen zu befreien, fand Mozart in den Reihen der Logenbrüder die Mehr zahl der gebildeten Männer wieder, denen er auch in der Gesellschaft auf Schritt und Tritt begegnete; mit ihnen sich zur Lösung der höchsten Fragen zu vereinen, seine Hilfsbereitschaft zu bestätigen und seinem Freundschaftsbedürfnis zu ge nügen, schien ihm besonders erstrebenswert." Da die Musik bei den Versamm lungen der Freimaurer eine große Rolle spielte, schrieb Mozart eine Anzahl von Kompositionen für bestimmte Veranstaltungen. Obgleich er bis zu seinem Tode den aufklärerischen, fortschrittlichen Ideen der Freimaurer, die in den geistigen Strömungen des 18. Jahrhunderts gegen die feudale Unterdrückung eine große Rolle spielten und vor allem den Gedanken der Menschenverbrüderung pflegten, anhing und ihnen in seiner „Zauberflöte" den höchsten künstlerischen Ausdruck verlieh, hat doch keiner der zahlreichen, durchaus begüterten Logenbrüder 1791 das unwürdige Armenbegräbnis des Meisters verhindert. Auch die in der Loge nach Mozarts Hinscheiden gehaltene Trauerrede bezeugt zwar das Ansehen, das er in diesem Kreis genoß, die schönen Worte vermögen jedoch nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die Verwirklichung der von den Freimaurern verkündeten hohen Ziele in der Praxis nur selten geschah. Mozarts Maurerische Trauermusik ist bei aller Kürze ein bedeutendes, ernstes Werk von tiefem Ausdrucksgehalt, Zeugnis der Innerlichkeit des Meisters. Die Cantus-firmus-Technik des Stückes läßt an die Choralfantasien der „Zauberflöte" und des Requiems denken. Als Cantus firmus verwendete Mozart eine trauer marschartig eingerichtete Melodie, der Bußpsalmen zugrunde liegen. Nach seufzender Bläsereinleitung bringen die Streicher ein schmerzliches Thema. Nach düsteren Bläserakkorden stimmt eine ungewöhnlich und dunkel klingende Bläsergruppe (Oboen, Klarinette, Bassetthörner, Kontrafagott) die Melodie des Trauermarsches an. Danach steigert sich der schmerzliche Ausdruck, ehe die Trauermusik pianissimo verklingt. Der österreichische Komponist Alban Berg, anfänglich kleiner Wiener Be amter, in den Jahren 1904 bis 1910 Schüler von Arnold Schönberg, dessen spätere Kompositionsmethode „mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen" in persön licher Modifizierung Grundlage seines Schaffens wurde, 1930 zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt und 1933 von den Faschisten verfemt und verboten, schuf mit seiner 1925 von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper uraufgeführten Oper „Wozzeck" ein Hauptwerk des musikalischen Expressionis mus, das würdig neben den Leistungen der expressionistischen Maler Marc, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Kokoschka steht. Das nicht sehr umfangreiche, jedoch höchst bedeutende Gesamtwerk Bergs gipfelt fraglos im musikdramatischen Teil, ausgenommen sei das Violinkonzert, vollendet vier Monate vor seinem Tode am Weihnachtsabend 1935 in Wien, ein Werk, zu dessen Gunsten er die Arbeit an der Oper „Lulu" abbrach. Auch hier haben wir — wie im „Wozzeck" — eine der hervorragendsten musikalischen Kunstäußerungen der ausklingenden bürgerlichen Kunstepoche vor uns, eine Komposition, die die zwingenden lyrischen und dramatischen Qualitäten ihres Autors, seine unerhörte Tiefe der Empfindung, seine ausgesprochene Leidenschaftlichkeit wie seine sen sitive Feinnervigkeit und Schwermut offenbart. Die neuartige Tonsprache Alban Bergs, die sich nicht zuletzt in einer spannungsgeladenen Harmonik äußert, emp findet man heute trotz ihrer typisch expressionistischen Haltung als klassisch-all gemeingültig. Bergs Violinkonzert ist „dem Andenken eines Engels" gewidmet, der 18jährig an Kinderlähmung verstorbenen Manon, Tochter der Witwe des Komponisten Gustav Mahlers aus zweiter Ehe mit dem Bauhausarchitekten Gropius. Der erste Satz des Werkes zeigt das lebensfrohe Kind, der zweite sein Sterben und die „Befreiung vom Tod" (eine gewisse Parallele läßt sich also zu „Tod und Verklä rung" von Richard Strauss ziehen. Dennoch: welch ein Unterschied!). Ein tragi sches Schicksal wollte es, daß dieses in künstlerischer und menschlicher Ein samkeit geschaffene Opus der „Schwanengesang" des Komponisten werden