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Auf der Grundlage altklassischer Rhythmen und Intonationen ist auch der Allegro- Mittelteil aufgebaut, dessen Thema aus der feierlichen Bläsereinleitung hervor wächst: eine dreistimmige Invention des Klavieres, zweimal solistisch, meist aber orchestral ausgearbeitet, die spürbar von Bach beeinflußt ist. Eine brillante, synkopierte Klavierkadenz führt zum Schlußteil des Satzes. Den ebenfalls drei teiligen zweiten Satz eröffnet ein gesangliches, wiederum „neobarock" wirkendes Thema des Soloinstruments, das später vom Orchester übernommen wird. Eine kurze Klavierkadenz leitet zum Mittelteil über, der zwei kontrastierende lyrische Themen bringt. Eine Kadenz führt danach zum verkürzten Anfangsteil zurück. Die selbe Kadenz, im Tempo sehr beschleunigt, eröffnet den Schlußsatz. Auf ein kur zes Fugato folgt ein Marsch, später eine Variante des Toccatenthemas, schließ lich ein weiteres Fugato, das vom Orchester mit einem neuen, breitausladenden Thema bestritten wird. Der spannungsgeladene Satz klingt mit Reminiszenzen an die Einleitung und das toccatenhafte Thema des ersten Satzes aus. Was Strawinsky die Tradition bedeutete, der er eng verbunden war, darüber hat er sich mehrfach geäußert. Und seine Überzeugung, daß die Kunst der Gegen wart nur aus einer Synthese mit der Tradition hervorgehen kann, demonstrierte er nicht nur theoretisch, sondern vor allem praktisch, mit vielen seiner Werke. Die stilistische Haltung des Concertos wird sicher leichter verständlich, wenn man an folgende Bemerkungen des Komponisten denkt: „Eine Erneuerung ist nur dann fruchtbar, wenn sie Hand in Hand mit der Tradition vor sich geht. Die lebendige Dialektik gebietet, daß Erneuerung und Tradition sich in einem gleich zeitigen Vorgang entwickeln und stützen. Es ist für einen Menschen der Gegen wart unmöglich, voll und ganz die Musik einer vorhergegangenen Epoche — in ihrem altmodischen Gewand und in einer Sprache, die man nicht mehr spricht — zu erfassen und ihren Sinn zu verstehen, ohne ein lebendiges Gefühl für die Gegenwart zu haben . . . Denn nur diejenigen, die wirklich lebendig sind, ver stehen es, das wirkliche Leben derer zu entdecken, welche ,tot' sind . . . Die wahre Tradition ist nicht Zeuge einer abgeschlossenen Vergangenheit; sie ist eine lebendige Kraft, welche die Gegenwart anregt und belehrt . . . Weit davon entfernt, die Nachahmung des Gewesenen zu bedeuten, setzt die Tradition die Realität des Dauernden voraus . . . Man knüpft an eine Tradition an, um etwas Neues zu machen. Die Tradition sichert auf solche Weise die Kontinuität des Schöpferischen." Anton in Dvoraks 8. Sinfonie G-Dur op. 88, bei der Herausgabe unrichtigerweise als Dvoraks „Vierte" bezeichnet, da sie die vierte gedruckte Sin fonie des Komponisten darstellte, entstand im Sommer und zu Beginn des Herbstes 1889, kurz nach der Komposition des Klavierquintetts Es-Dur - knapp sechs Jahre nach dem Abschluß der vorangegangenen 7. Sinfonie. Die Urauffüh rung der G-Dur-Sinfonie fand am 2. Februar 1890 in Prag durch das Orchester des Nationaltheaters unter Dvoraks eigener Leitung statt, der das Werk bald darauf auch in London und etwas später in Frankfurt/Main zur Aufführung brachte. Das „herrliche Werk", wie der bedeutende Dirigent Hans Richter die Sinfonie nach der Wiener Erstaufführung in einem Brief an den Komponisten begeistert nannte, wurde überall mit viel Wärme und Begeisterung aufgenom men. Einer Zeit beglückenden friedlichen Schaffens inmitten herrlicher Natur auf Dvoraks Sommersitz in dem böhmischen Dorfe Vysokd entstammend, zeigt die 8. Sinfonie im Gegensatz zu der von leidenschaftlichem, trotzigen Ringen erfüllten vorangegangenen d-Moll-Sinfonie eine heitere und lichte, friedvoll-harmonische Grundhaltung, Innige Naturverbundenheit, Volkstümlichkeit und helle Lebensbe jahung sprechen aus diesem an unerschöpflichen Einfällen reichen, stimmungs- und gefühlsmäßig sehr einheitlichen Werk. Formal bildet es — trotz Beibehaltung der klassischen Sinfonieform — Dvoraks selbständigste sinfonische Schöpfung, die in manchen Einzelheiten von den übrigen Sinfonien abweicht und die musi kalischen Gedanken in neuartiger Weise verarbeitet. Mt einem choralartigen, feierlichen g-Moll-Thema der Celli und Bläser über ruhi gen Kontrabaß-Pizzikati beginnt der erste Satz (Allegro con brio). Dieses Thema bleibt für den motivischen Aufbau des Satzes ohne konstruktive Bedeutung, er scheint aber in gleicher klanglicher Gestalt nochmals vor Beginn der Durchfüh rung und vor der Reprise. Das eigentliche Hauptthema des Satzes in G-Dur, das zuerst von der Flöte angestimmt wird und dem später ein schlichtes, etwas schwermütiges Thema in h-Moll zur Seite gestellt wird, steht in scharfem Gegen satz zu dem Einleitungsthema. Heiter und lieblich einsetzend, unterzieht sich das Hauptthema im Verlaufe des Satzes mannigfachen Wandlungen in Gestalt und Charakter. In vielfältigen farbigen Bildern, die Gedanken, Gefühle und Stimmungen von lichter Freude und Heiterkeit, aber auch von tiefer, ernster Innigkeit widerspiegeln, entfaltet sich das sinfonische Geschehen. Das folgende Adagio in c-Moll, das eine nahe Verwandtschaft mit einem Stück ous Dvoraks Klavierzyklus „Poetische Stimmungsbilder" op. 85, „Auf der alten Burg", zeigt und gleichsam als dessen Weiterentwicklung zu deuten ist, ist von starkem poetischen Ausdrucksgehalt. Neben dem stolzen, etwas düsteren Haupt thema, das eine glanzvolle dramatische Steigerung mit feierlichen Trompeten klängen erfährt, wird im Mittelteil eine sehnsüchtig-weiche Melodie besonders bedeutsam. Träumerisch-friedvoll verklingt der reizvolle Satz. Ruhig bewegt entfaltet sich der frische dritte Satz (Allegretto grazioso). In den Violinen erklingt über Figuren der Holzbläser das kantable, leicht schwermütig angehauchte tänzerische Hauptthema des ersten Teiles, der nach einem G-Dur- Mittelteil notengetreu wiederholt wird. Im Mittelteil zitierte der Komponist übri gens eine Melodie aus einer fünfzehn Jahre früher entstandenen Oper (Lied des Tonik „Sie so frisch, jugendlich, gar so alt er" aus „Die Dickschädel"). Die kurze Coda bringt einen temperamentvoll-beschwingten Tanz im Zweivierteltakt, der den Satz originell und witzig beschließt. Besonders starke Beziehungen zur tschechischen Volksmusik weist das Fina'e (Allegro man non troppo) auf, in der auch das mitreißende, rhythmisch prägnante Hauptthema verwurzelt ist. Dieser meisterhaft gearbeitete, formal neben dem ersten Satz am kompliziertesten angelegte Satz — die klassische Sonatenform wird in Exposition und Reprise durch reiche Variationen des Hauptthemas erwei tert - beendet in elementarer Lebensfreude die Sinfonie. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: Sonnabend, den 21. Mai 1977, 19.00 Uhr, Anrecht D und Freiverkauf 7. LANDHAUS-KONZERT Werke von K. Schwaen, S. Köhler und J. S. Bach Sonnabend, den 28. Mai 1977, 20.00 Uhr, Freiverkauf Sonntag, den 29. Mai 1977, 20.00 Uhr, AK (J) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur, Leipzig Solistin: Cecile Ousset, Frankreich, Klavier Werke von Mendelssohn Bartholdy, Schumann, Rachmaninow und Ravel Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1976/77 - Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 2.65 T. ItG 009-43-77 EVP —,25 M »Inillnamnoni 10. PHILHARMONISCHES KONZERT 1976/77