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ZUR EINFÜHRUNG Unter den Orchesterwerken Wolfgang Amadeus Mozarts nimmt die Sinfonie D - Dur KV504 einen hohen Rang ein. Sie führt den Namen „Pra ger Sinfonie", weil sie - zwischen „Figaros Hochzeit" und „Don Giovanni" kom poniert — am 19. Januar 1 787 in Prag uraufgeführt worden ist. Sie hat eine große, langsame Einleitung voller Spannung, zugleich voller Gesang und Wehmut. Im anschließenden Allegro des ersten Satzes schwingt die Spannung der Einleitung in den Synkopen noch nach, während das Hauptthema in Terzen und in den Mit telstimmen gesungen wird. Obwohl das Gegenthema bei der Wiederholung in Moll erklingt, gewinnt der tragische Ton nicht die überhand. Die Stimmungssphä re des zweiten Satzes (Andante) weist in ihrer erregten Gespanntheit die Legende von Mozarts „Rokokoliebreiz" weit von sich, ein wolkenloser Himmel wölbt sich nur über dem zweiten Seitenthema in D-Dur, der Dominante des G-Dur-Andan- tes. Warum die Sinfonie kein Menuett hat, also nur dreisätzig ist, wissen wir nicht. Der Finalsatz deutet nochmals durch seine Synkopen auf die Erregung der ganzen Sinfonie hin, dabei fällt er musikalisch liebenswürdiger aus als der erste Satz: Das Konzertieren zwischen Streichern und Bläsern führt zu reizenden und wir kungsvollen Effekten. JosefSuk dort mit seinem Schaffen wie Leos Janäcek und Vitezslav Noväk als Wegbereiter jener tschechischen Musikergeneration angesehen werden, die nach dem zweiten Weltkrieg in das Blickfeld der Öffentlichkeit trat. Aber nicht nur für die weitere Entwicklung der tschechischen Musik wurde seine Oeuvre außer ordentlich bedeutungsvoll — es besitzt vor allem genügend künstlerische Eigen ständigkeit und Überzeugungskraft, um selbständig bestehen zu können. Suks Stil wurde stark durch den Impressionismus und Richard Strauss beeinflußt, er hielt jedoch seine persönliche Note durch den kompliziert-grüblerischen Charak ter des Komponisten, seine lyrisch-melodische Erfindungsgabe und seinen eigen artigen Formwiilen. Er schrieb u. a. bedeutende Orchesterwerke (darunter die Streicherserenade Es-Dur, die sinfonische Dichtung „Praga", die Sinfonien „Asrael", „Das Reifen" und „Epilog"), Kammermusik, Klavierstücke, Chorwerke und Bühnenmusiken. Einer alten Kantorenfamilie entstammend, 1874 in Krecovice (Böhmen) geboren, zeigte Suk schon frühzeitig Äußerungen einer außerordentlichen musikalischen Begabung. Als Elfjähriger kam er bereits an das Prager Konservatorium, wo er die Aufmerksamkeit Dvoröks, seines späteren Lehrers, erregte. 1892 gründete er das weltberühmt gewordene „Böhmische Quartett", dem er bis 1933 angehörte, bei etwa 4000 Konzerten in der ganzen Welt mitwirkend. Suk war auch ein her vorragender Pädagoge. Einer seiner Schüler war Bohuslav Martinü. 1922 wurde er Kompositionsprofessor am Prager Konservatorium — eine Stellung, die er bis zu seinem Tode im Jahre 1935 innehatte. 1898 hatte er Dvoraks Tochter Otylka geheiratet. Als 1904/05 Schwiegervater und Frau verstorben, erschütterten ihn diese beiden Schicksalsschläge derart, daß eine Wende zum Reflexiven in seinem Schaffen eintrat. In diese Richtung weist bereits die FantasiefürVioline und Orche ster g-Moll op. 24 (1902/03), die am 9. Januar 1904 in Prag zur Ur aufführung gelangte. Es handelt sich hierbei um ein „Werk der freizügig be handelten Form, der frei waltenden und schaltenden Fantasie, die nur um ihre künstlerische Aussage besorgt ist und sich in kein Formschema pressen lassen will. Suks Werk ist für sein Instrument geschrieben, das er selbst virtuos be herrscht hat. Mit stürmischen Akkorden beginnt die Komposition, um sich so gleich wieder zu beruhigen, wobei die Solo-Violine zwar zunächst auch energisch einsetzt, um aber bald in eine wunderschöne Kantilene hineinzumünden. Aber die stürmischen Anfangstakte brechen immer wieder in den Gesang des Solo- Instruments ein. Jedoch unverzagt läßt stets nach einem solchen Sturm die Geige ihr sehnsuchtsvolles Lied erklingen. Dieser Stimmungswechsel ist für die Fantasie charakteristisch. Dobei gibt aber Suk dem Instrument dankbare Aufgaben. Volksweisen klingen in einem scherzoähnlichen Teil auf, ein Fugato bringt wieder dramatische Akzente ins Spiel, die aber von heiteren Partien abgelöst werden, so daß der häufige Stimmungsumschwung ein Kennzeichen gerade dieser Fanta sie ist. Die Gedanken des Anfangs werden noch einmal aufgegriffen — und mit den stürmischen Takten des Beginns endet dieses Werk des Wohlklangs, dieses Werk der besten Tradition" (J. P. Thilman). Eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche und eigenwillige Persönlichkeit war Charles Ives (1874-1954), der „Vater der amerikanischen Musik", dessen Kunst mit der Dichtung Walt Whitmans verglichen worden ist. Das Werk dieses Mannes, vier Sinfonien und andere Orchesterwerke, Kammermusik, Vokalwerke, Klavier- und Orgelkompositionen, entzieht sich einer exakten stilistischen Zuord nung durch seine Eigengeprägtheit und Vielschichtigkeit. „Die Musik von Ives mit ihren harten Harmonien und unaufgelösten Dissonanzen, ihrer Polytonalität und ihrer Polyrhythmik wird heute von amerikanischen Kritikern als eine Vorahnung von Schönberg, Strawinsky und Milhaud bezeich net", stellte der amerikanische Musikologe Sidney Finkelstein fest. „In Wirklich keit unterschieden sich seine Ansichten wesentlich von denen seiner Zeit genossen. Sein Herz und seine Gedanken lebten in der Vergangenheit. Seine demokratischen Anschauungen, die durchdrungen waren von einer tiefen Liebe zum Volk, mündeten in eine Art Traumvision von der einstigen Kleinstadtdemo kratie in Neu-England mit einem engverbundenen Zusammenleben aller ohne Unterschiede, das in Zusammenkünften der Einwohner, Sonntagsschulen für Kinder, Picknicks, unterhaltsamen politischen Versammlungen, gemeinschaftlichen Gottesdiensten und Festlichkeiten an Nationalfeiertagen bestand. Es muß gesagt werden, daß diese .klassenlose' Kleinstadtdemokratie in Wirklichkeit immer nur in einem sehr geringen Ausmaß existiert hat, daß sie großenteils Legende ist. Charles Ives hat in seiner Kindheit nur noch Überreste dieses Zusammenlebens aller Einwohner, wie es vor dem Bürgerkrieg vorhanden gewesen ist, kennengelernt. Seine geistigen Helden waren mutige Männer wie die amerikanischen Schriftsteller Emerson und Thoreau, welche die Kommerzia lisierung und Korruption in ihrer Zeit bekämpft haben, jedoch vom Standpunkt einer transzendenten und idealistischen Philosophie." Obwohl Ives ein absoluter Einzelgänger war — er lebte in zivilisierter Selbst isolierung und besuchte nur zwei Konzerte in seinem Leben, in denen seine Kompositionen aufgeführt wurden, er besaß kein Rundfunkgerät und las nur selten Zeitungen —, glaubte er dennoch an die Wirkung von Massenaktionen. Er war ein Demokrat voller Begeisterung, aber mit unklaren Zielen. Seine musikalische Ausbildung hatte er vom Vater, einem Militärkapellmeister, erhalten. Besonders klassische Meister wie Bach, Händel, Beethoven und Brahms beein druckten den frühreifen jungen Musiker, der bereits als 13jähriger reguläre Organistendienste versah. Nach Abschluß seiner Studien (u. a. bei Horatio Parker, H. R. Shelley) mußte er einen Brotberuf ergreifen und wurde Schreiber in einer Versicherungsgesellschaft. In der Freizeit beschäftigte er sich mit seinen Kompositionen, in denen er, ohne mit der zeitgenössischen europäischen Musik entwicklung vertraut zu sein, durch eigene kühne Neuerungen die künftige Ent wicklung zu sogenannter Polytonalität, Atonalität, Polyrhythmik und -metrik selb ständig vorwegnahm. 1907 eröffnete er eine gutgehende Versicherungsanstalt, die ihm finanzielle Unabhängigkeit verschaffte. Der Großteil seiner Kompo-