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testen, reifsten Werken seines Schöpfers aus seiner letzten, heute schon klassi schen Schaffensepoche, in dem Inhalt und Form zu meisterlicher Einheit ver schmolzen sind. Wie hier Elementares und Geistiges, urwüchsiges, aus der ungarischen Folklore schöpfendes Muikantentum mit strengstem Formwillen verbunden sind, das hat etwas Einmaliges. Ursprünglich hatte dem Komponisten ein großangelegtes Variationswerk für Violine mit Orchesterbegleitung vorgeschwebt. Der Geiger Zoltdn Szekely, in dessen Auftrag Bartök das Konzert schrieb und dem er es auch widmete, bestand jedoch auf der „klassischen Konzertform''. Als die Komposition vollendet vorlag - übrigens eine der letzten, die er noch vor der Emigration in der ungarischen Heimat schrieb —, gestand Bartök Szekely, daß er seinen eigentlichen Plan doch ausgeführt habe, da der dritte Satz eine freie Variation des ersten sei. Das Werk ist also in einer dreiteiligen Brückenform geschrieben. Das Hauptthema des ersten Satzes ist mit seinen vielen Quarten typisch ungarisch, das des langsamen Mittelsatzes ist einer der schönsten melodischen Einfälle des Komponisten. Die Uraufführung des Konzertes fand am 23. April 1939 in Amsterdam mit dem Concertgebouw-Orchester unter Leitung von Willem Mengelberg statt — heute gehört es längst zum Repertoire aller großen Geiger. Yehudi Menuhin bezeich nete es als das beste Violinkonzert seit Brahms. Es wirkt durch die Klarheit und strenge Geprägtheit seiner Themen, durch die Schönheit des Klanges eines wohlbehandelten Orchesters, durch die Wahrheit seiner Aussage, die nicht vor Härten zurückschreckt. „Nach klassischem Muster ist Bartöks Violinkonzert in drei Sätze gegliedert: Allegro non troppo, Andante tranquillo, Allegro molto. Der erste Satz faßt die Gegensätze der Thematik in einer festgefügten Sonatenform zusammen. Das energische, melodisch weitschwingende Hauptthema zeigt entschlossenen Charakter. Es steht in unversöhnlichem Gegensatz zu den übrigen Motiven. Bartök redet in seinem Violinkonzert keine milde Sprache: Wie er spricht und was er zu sagen hat, wirkt hier geradezu aufrüttelnd. Innere Kämpfe sind in ihrer bitteren Realität wiedergegeben. Es gibt in diesem Werk keine Zuflucht zu be sänftigenden melodischen und harmonischen Phrasen der Vergangenheit. Schon die häufigen Tempoveränderungen zeugen davon, daß es sich um etwas Auf regendes handelt. In der Solokadenz wird für Bartök selbst das Tonsystem zu eng: Er verlangt vierteltönig verschärfte Leittonschritte. Indesssen gewahren wir in alledem den Sieg einer außergewöhnlichen Willenskraft über die innere Krise der Vorkriegsjahre. Im zweiten Satz trägt die Solovioline ein sanftes Gesangsthema vor. In den darauffolgenden sechs freien Variationen werden aus dem Thema mannigfaltige Kontraste entwickelt. Die Geschlossenheit des Satzes wird durch die Wiederkehr des Themas am Schlüsse der Variationsreihe erreicht. — Das Thema des Schluß satzes zitiert den umgeformten Anfang des Hauptthemas aus dem ersten Satz. Im weiteren Verlauf wird dieses Thema stets anders und immer weniger geschlos sen gestaltet'' (Z. Gärdonyi). Aus dem reichhaltigen und vielseitigen Schaffen Cesar Francks haben sich neben etlichen Orgelwerken und einiger Kammermusik eigentlich nur seine d-Moll-Sinfonie und die Sinfonischen Variationen einen festen Platz in unseren Konzertsälen erringen können. Die relativ geringe Anteilnahme, die man bei uns dem Leben und Schaffen dieses Meisters zollt, ist um so verwunderlicher, als seine Musik der deutschen durchaus nicht wesens fremd ist und für Franck Anregungen der deutschen Musik seiner Zeitgenossen Brahms und Wagner, aber auch Bachs, geistig und formal von großer Bedeutung wa ren. Der im Jahre 1822 in Lüttich geborene Komponist, Sohn eines wallonischen Va ters und einer deutschen Mutter, gelangt früh in den Bannkreis von Paris. Früh zeitig mit Preisen für Klavier- und Orgelspiel ausgezeichnet, bleibt dem reifen Komponisten die gebührende Anerkennung versagt. Unter ärmlichen Verhältnis sen lebt er als Musiklehrer und Organist in Paris, bis ihm 1872 eine Professur am Pariser Konservatorium angetragen wird. Erst etliche Jahre nach seinem Tod (1890) beginnen sich seine Werke durchzusetzen. Die verschiedensten Kultur kreise, die sich in dem in Frankreich lebenden Wallonen Franck, der — wie schon angeführt - für deutsche Musik eine große Neigung besaß, berühren, gelangen in seinen Kompositionen zu einer interessanten Mischung. Dabei ist wichtig fest zustellen, daß diese verschiedenen Einflüsse — Bach, Rameau, Brahms, Liszt, Wagner, Berlioz — von Franck keineswegs eklektisch benutzt werden, sondern durch seine schöpferische Persönlichkeit eine ganz eigene Verarbeitung erfahren. Die musikalische Sprache der Romantik, ins Romanische transponiert, eine an Rameau und Bach geschulte, häufig kontrapunktisch durchsetzte Form klarheit und eine mit französischer Delikatesse beleuchtete Instrumentation sind die Wesensmerkmale der Musik Francks. Die Sinfonie d-Moll wurde zwischen 1886 und 1888 komponiert und 1889 in Paris uraufgeführt. Die schöne und bedeutende, in ihrer Grundstimmung schwermütig-nachdenkliche Schöpfung, in einem typisch spätromantischen, farbig-weichen Ausdrucksstil gehalten, umschließt in ihrer weiten Gefühlsspanne Empfindungen von zarter Innigkeit ebenso wie starke dramatische Ausbrüche. Deutlich wird der leidenschaftliche Kampf gegen Gefühle tragischer Einsamkeit und Zerrissenheit, das innere Streben nach Klarheit und Licht, nach Befreiung und Freude. Das dreisätzig angelegte Werk, dem ein langsamer Satz fehlt, gehört seinem formalen Aufbau und seiner thematischen Gliederung nach zur zyklischen Form; der Sinfonie wird durch die leitmotivartige Verwendung der Hauptthemen in allen drei Sätzen, das Aufgreifen der einzelnen Themen in mannigfaltiger Beleuchtung, eine gedankliche und gestaltungsmäßige Einheit verliehen. Von einem langsamen Abschnitt (Lento) wird der erste Satz eingeleitet, der durch einen häufigen Wechsel von Tonarten und Tempi charakterisiert wird und vorwie gend heftige, stürmische Gefühlsausbrüche, schmerzliche Spannungen zum Aus druck bringt. Das melancholische Hauptthema des Satzes, das bestimmend für dessen Verlauf wird, erklingt anfangs in Bratschen, Celli und Kontrabässen und wird im folgenden Allegro rhythmisch und in seinem Charakter verändert. Noch einmal schließt sich der Wechsel zwischen schwermütigem Lento und heftig-trotzi gem Allegro an. Ein zweites, kantables Thema in Violinen und Holzbläsern bringt kaum Tröstung. Motive beider Themen werden in einem durchführungsartigen Teil verarbeitet. Obwohl es am Ende des Satzes, an dem das Hauptthema noch einmal wuchtig im Orchestertutti ertönt, zu einem Dur-Ausklang kommt, wird die schmerzliche Ausgangsstimmung nicht überwunden. Nach einer kurzen Einführung durch Harfe und Streicher trägt das Englischhorn das melodische Hau.ptthema des zweiten Satzes (Allegretto) vor. Klarinetten und Hörner, nach acht Takten durch die Flöte verstärkt, antworten ihm. Im Mittelteil des poetischen Satzes, der insgesamt heiterer und entspannter als der erste Satz angelegt ist, haben vor allem die Violinen eine führende Rolle inne. Hauptmotive der beiden anderen Sätze erscheinen wieder im Finalsatz (Allegro non troppo), der mit stürmischen Einleitungstakten einsetzt und den schließlichen Sieg über die — auch noch hier wieder wirksam werdenden — tragischen Elemente des Werkes bringt. Neu treten zu den bereits bekannten, wieder aufgegriffenen Motiven noch das Kopfmotiv des Finales (Fagotte und Celli) sowie ein Seiten thema der Blechbläser. Hell und licht bietet sich endlich der überzeugend ge staltete, befreiende Ausklang der Sinfonie in feierlichen Klängen der Bläser, in prächtigen Klangfarben des vollen Orchesters dar. Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1973/74 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: Polydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-46-74 9. PHILHARMONISCHES KONZERT 1 973/74