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verbinden sich auf eigenartige Weise Menuettform und Rondoform. Das ein geschaltete Scherzo in a-Moll zeigt deutliche Anklänge an die Volksmusik der Balkanländer und bringt im Kontrast zu dem liebenswürdigen, behäbigen Thema des Hauptteils einen wilden Wirbel stampfender Tanzrhythmen. Fidelio F. Finke wurde 1891 in Josefstal in Nordböhmen geboren, wo sein Vater, ein eifriger Wagnerianer übrigens, als Musikpädagoge wirkte. Diesem verdankte der Knabe die ersten Berührungen mit der Musik Wagners, Webers, Regers und Strauss'. Bald fand er selber den Weg zur Musik. Sein Musikstudium absolvierte er am Lehrerseminar zu Reichenbach in Böhmen, bei Privatlehrern und am Konservatorium Prag, wo er in der Meisterklasse des tschechischen Komponisten Vitezslav Noväk Aufnahme fand. Noch während des Studiums, 1910, wurde seine auffallende Begabung durch die Verleihung des Brahms- Preises des Wiener Tonkünstler-Vereins ausgezeichnet. Nach seinem Studium ließ sich Finke in Prag als Privatmusikerzieher und Chordirigent nieder. 1920 bis 1926 lehrte er an der Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst in Prag Komposition. Nach der Ernennung zum Professor wurde ihm 1927 als Nachfolger seines Onkels Romeo Finke die Leitung dieses Institutes angetragen, die er — zugleich als Leiter einer Meisterklasse für Komposition — bis 1945 versah. Verschiedene Ämter bekleidete der inzwischen zu großem Ansehen gelangte Komponist innerhalb des tschechischen Musikerziehungswesens; außer dem wirkte er 1932 bis 1938 als Präsidiumsmitglied des Internationalen Verbandes für Musikerziehung und als Mitglied des Vorstandes der IGNM. 1946 erfolgte die ehrenvolle Berufung als Direktor und Leiter einer Meisterklasse für Kompo sition an die damalige Staatliche Akademie für Musik und Theater Dresden. Von 1951 bis 1959 war er als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik in Leipzig tätig. Sein zahlreiche Genres umfassendes Schaffen, darunter Opern, Orchestersuiten, Lieder, Chöre, Klavier- und Kammermusikwerke, fand seit dem 1. Weltkrieg — nach Aufführungen in Donaueschingen, Wien, Baden-Baden und Prag — rasch internationale Anerkennung. Bis zum 1. Weltkrieg war Finkes Stil verhaftet in den Klangbezirken der deutschen Romantik, gewürzt mit Elementen tschechischer Musik. Doch zeigten sich schon damals jene typischen Züge, die dem eigen ständigen Oeuvre des Komponisten bis in die Gegenwart erhalten blieben: sein frisches, urtümliches Musikantentum, das, gepaart mit einer kräftigen Dosis Humor und Ironie, seinem Stil die unverkennbare Note gibt. Nach einer vor übergehenden Auseinandersetzung mit der Kunst Arnold Schönbergs und dem Expressionismus begannen sich — in den 30er und 40er Jahren — in Finkes schöpferischer Entwicklung Tendenzen der Vereinfachung der Mittel durchzu setzen, die in den 50er Jahren unmittelbar zur Klarheit und Reife des Spät stiles führten, den viele eindrucksvolle Zeugnisse belegen. Der 1968 verstorbene Komponist, Nationalpreisträger, Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, war eine der prominentesten Persönlichkeiten unseres neuen Musik schaffens. Am 22. Oktober dieses Jahres wäre er 80 Jahre alt geworden. Gegenüber der in der vergangenen Spielzeit erklungenen 3. Suite, die sinfoni sches Gewicht besitzt, folgt Finkes 4. Suite stärker der vorklassischen Formbe bedeutung im Sinne unbeschwerter, unterhaltsamer Musizierhaltung. Lediglich der Eröffnungssatz, eine pompös-festliche Intrada, entzieht sich dieser Annähe rung an den Divertimentobegriff und läßt in seiner „neobarocken" Gesinnung an den Ouvertürensatz der alten Suite denken. Diese Intrada übrigens ist der Aus gangspunkt des gesamten Werkes, sie wurde bereits 1937 als „Festliche Musik für sechs Holzbläser, acht Blechbläser und Pauke" komponiert. Sechzehn Jahre später beschloß der Komponist, den einzelnen Satz zu einem größeren Werk für eine etwas stärkere Besetzung ähnlicher Art zu erweitern. So entstand 1953 die dreisätzige 4. Suite für 16 Bläser (zweifaches Holz, je zwei Hörner und Trompe ten, drei Posaunen, eine Kontrabaßtuba und Schlagwerk (Pauken, ein Paar Bek- ken, Große und Kleine Trommel, Triangel)). Pathetischen, kraftvollen Blechbläserakkorden, mit denen die feierlich bewegte Intrada - eine altertümlich schreitende Marschform - anhebt, stehen „schlanke re“ Antworten der ebenso registermäßig geführten Holzbläser gegenüber. Das chorische Gegeneinandermusizieren der beiden Klanggruppen weicht sodann einer gelösteren Haltung, indem die Holzbläser die ursprünglich von Hörnern und Trompeten eingeführten strengen melodischen Hauptlinien freundlich auf lockern. Am hymnischen, klangprächtigen Schluß sind beide Bläsergruppen glei chermaßen beteiligt. - Ein zarteres Tonbild schließt sich an: ein stimmungsvolles, idyllisches Pastorale, das sich aus einer wiegenden Flötenmelodie entfaltet. In einem kurzen Mittelteil tönt spukhaft-wetterleuchtend ein Marschmotiv herein, bis schließlich die heitere Ruhe des Anfangs wieder einzieht. — Der kunstvollste, den reichsten Schlagwerkeinsatz fordernde Teil der Suite ist der Schlußsatz, in dem eine fröhliche ukrainische Volksmelodie — zuerst von Flöten und Oboen in Einklang vorgestellt - die Grundlage gibt für einen vergnügten Marsch in freier Rondoform mit zwei Trios. Franz Schubert schrieb seine ersten beiden Sinfonien für das Konviktor chester des Wiener Stadtkonvikts, in dem er als Sängerknabe mit zehn Jahren Aufnahme gefunden hatte. (Weitere vier Jugend-Sinfonien entstanden nach dem Austritt aus dem Konvikt 1814 für ein Liebhaberorchester, das aus den Quartett abenden im Vaterhaus hervorgegangen war). Die 2. Sinfonie B-Dur kom ponierte Schubert in der Zeit von Dezember 1814 bis März 1815, also 17jährig. Haydn, Mozart und Beethoven (wenigstens der Beethoven bis zur "Prometheus"- Ouvertüre und der 2. Sinfonie) sind die Vorbilder. Dabei entbehrt dieses lebens sprühende Werk nicht Züge einer unverkennbar Schubertschen Handschrift. Auch eine experimentierende Auseinandersetzung mit der klassischen Tradition ist spürbar. Nach einem einleitenden Dialog zwischen Bläsern und Streichern beginnt der eilige Hauptsatz (Allegro vivace) mit einer ausgedehnten Exposition von einer eindrucksvoll kontrastierenden Geschlossenheit. Ein gesangvoller, lyrischer Ge danke ist das in der Subdominante Es-Dur erklingende Seitenthema. Der schwär merische Liedton dieser innigen Kantilene nimmt Züge vorweg, wie sie der eben falls 17jährige Mendelssohn mit der elf Jahre später komponierten „Sommer- nachtstraum“-Ouvertüre erst wieder erreichte. Die Durchführung des Satzes ist irn Verhältnis zur Exposition kurz. Die Reprise setzt auf der Subdominante ein! — Konventioneller in der Anlage sind die nachfolgenden Mittelsätze. Das Andante bringt — in Haydnscher Manier — fünf Variationen über ein Thema, das mozar- tisch anmutet. Die vierte Variation liefert, zum Scherzo umgestaltet, das Thema des dritten Satzes (Allegro vivace), der wie ein ländlicher Tanz wirkt und schon an das Scherzo der letzten Sinfonie erinnert, die Schubert geschrieben hat. Die freundliche Melodie des Trios bringen die Holzbläser, während die ersten Geigen (staccato) und die Bässe (pizzicato) begleiten. — Sehr selbständig ist die Final lösung des jungen Schubert, der hier erstmalig in die klassische Sinfonie-Tradi tion den unverfälschten, liebenswürdig-ungezwungen „Wiener Ton" einführt, in diesem jugendlich-übermütigen Presto-Finale, das halb ein Rondo, halb ein So natensatz ist, „pratert“ es reichlich. Ausgelassen-unwiderstehlich kommt das Hauptthema daher, das in kühne harmonische Experimente voller dramatischer Spannungen verwickelt wird. Charmant ist auch das Seitenthema. Dr. habil. Dieter Härtwig Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1971/72 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 JtG 009-105-71 «resoner (•hilharnnoinio 3. PHILHARMONISCHES KONZERT 1971/72