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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Freitag, den 30. Mai 1969, 19.30 Uhr Sonnabend, den 31. Mai 1969, 19.30 Uhr Sonntag, den 1. Juni 1969, 19.30 Uhr 10. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Dieter Zechlin, Berlin, Klavier Leos Janäcek 1854-1928 Suite für Streichorchester Moderato Adagio Andante con moto Presto — Andante — Presto Adagio Andante Ludwig van Beethoven 1770-1827 Konzert Nr. 5 für Klavier und Orchester Es-Dur op. 73 Allegro Adagio un poco mosso Rondo (Allegro) PAUSE Wolfg an 9 Amadeus Mozart Sinfonie Es-Dur KV 543 1756—1791 Adagio — Allegro Andante con moto Menuetto (Allegretto) Finale (Allegro) DIETER ZECHLIN, Professor an der Deutschen Hochschule für Musik und ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, errang in mehreren nationalen und internationalen Wettbewerben Preise, darunter den Solistenpreis der Stadt Weimar 1947 und den Franz-Liszt-Freis 1949; im internationalen Bach-Wettbewerb 1950 in Leipzig wurde er mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Der Künstler unternahm zahlreiche Auslandstourneen, u. a. durch Österreich, England, Jugoslawien, Finnland, durch die Sowjetunion, die SR Rumänien, die CSSR und die VR Bulgarien. 1960 konzertierte er mit der Staatskapelle Berlin in Kopenhagen und 1961 ebenso erfolgreich mit dem Gewandhausorchester in der VR Polen und in Japan. 1959 wurde ihm der Kunstpreis der DDR, im Oktober 1961 der Nationalpreis verliehen. ZUR EINFÜHRUNG Leos Janäcek, neben Bedfich Smetana und Antonin Dvorak eine der profi liertesten und eigenständigsten Persönlichkeiten der tschechischen Musikge schichte, ist den deutschen Musikfreunden vor allem durch seine meisterlichen Opernschöpfungen — darunter „Jenufa", „Katja Kabanowa", „Die Ausflüge des Herrn Broucek", „Das schlaue Füchslein", „Die Sache Makropulos" und „Aus einem Totenhaus" — vertraut geworden, aber auch durch verschiedene Instru mentalwerke wie die temperamentgeladene, trompetenüberglänzte Sinfonietta, das humorvolle Klavierconcertino, die Lachischen Tänze und hochbedeutsame Kammermusikwerke. Alle Kompositionen Janäceks künden von der überragen den schöpferischen Kraft und Originalität dieses mährischen Meisters. Die Quellen der Jandcekschen Musik liegen in der Volksmusik seines Heimatlandes. Er sammelte Volksliedermelodien und gab wertvolle Sammlungen heraus. In seinen neun Bühnenwerken gelangte der Komponist zu einem ganz eigenen realistisch-sensiblen Sprachgesang, der mit dem selbständig-sinfonischen Or chestergeschehen zu einer zwingenden Einheit verschmilzt. Auch impressionistisch« und expressionistische Einflüsse begegnen im urwüchsigen, vitalen Oeuvrl Janäceks, der erst im siebenten Jahrzehnt seines erfüllten Musikerlebens inter nationale Anerkennung fand. Die am 2. Dezember 1877 unter Leitung des Komponisten in Brünn sehr erfolg reich uraufgeführte Suite für Streichorchester stellt die erste über lieferte Instrumentalkomposition des tschechischen Meisters dar und weist auf verschiedene stilistische Einflüsse hin, die dieser in seiner ersten Schaffenszeit verarbeitete. So klingt manche Wendung an Wagner und Smetana an. Die unbedingte Aufrichtigkeit des Gefühls, die künstlerische Ehrlichkeit, die mannig faltigen Stimmungsgehalte, die ausgeprägte Farbigkeit der Partitur jedoch sind Eigenschaften, die dem Werk trotz gelegentlicher handwerklicher „Unfertigkei ten" eine unmittelbare Wirkung sichern. Die sechs Sätze der Suite waren ursprünglich mit Bezeichnungen versehen, die der Komponist später fortließ. Der Janäcek-Biograph Jaroslav Vogel äußerte über das Werk u. a.: „Der erste Satz (ursprünglich Prelude) wird nach Art eines Concerto grosso wirkungsvoll von einem stolzen Unisono-Motiv umrahmt (mit Vorschlägen ein wenig ä la Liszt). Das pastose Motiv, mit dem sich dieses Thema in Oktaven der zweiten Violinen und der Bratschen fortsetzt, bildet dann — vergrößert in den gleichen Instrumenten — den Mittelteil. Man hört aus diesem Satz wie auch aus dem anschließenden Adagio (ursprünglich Allemande) den Einfluß Wagners, vor allem von Wagners .Lohengrin' heraus. Dieser Einfluß äußert sich ziemlich auf fallend in der chromatischen Behandlung auch der Mittel- und der unteren Stimmen, ebenso in der Vorliebe für geteilte Streicher in hohen Lagen. Der dritte Satz trug ursprünglich die Überschrift Sarabande, obwohl er im Zweier- Takt ausschreitet und seinem Charakter nach weit eher eine Gavotte zu nennen ist. Sonst ist der Satz ein anheimelndes, biedermeierlich altväterisches Genr^ bild mit einem humoristisch gewagten Auftakt im Forte, auf dem ein plötzlich’ wohlgeartetes Piano folgt. Am ehesten zu Recht trögt seine ursprüngliche Benennung (Scherzo) der vierte Satz. Er ist — obwohl er mit einem D-Dur-Akkord schließt — in g-Moll gehalten (mit zahlreichen Ausweichungen nach c-Moll, denen keinerlei Ausweichungen in hellere Tonarten die Waage halten). Janäcek bestätigt dieses g-Moll unwill kürlich selbst, und zwar dadurch, daß er den Hauptteil des Scherzos mit der Tonika g-Moll beschließt und das Trio mit einer anmutig unregelmäßigen Melodie in G-Dur bettet. Am persönlichsten gehalten ist der ursprünglich ziem lich zutreffend Air benannte fünfte Satz (wieder ein Adagio). Noch eher wäre er ein schwermütiges Zwiegespräch zwischen der halbrezitativischen Solostimme der Bässe und der weich getragenen Melodie aller Violinen in tiefer Lage zu nennen." Das Finale der Suite, die Janäcek im Alter von 23 Jahren komponierte, zeigt die auffallendsten Anklänge, und zwar an Smetana: an die Oper „Die Brandenburger in Böhmen" im ersten Thema und an das Vysehrad-Motiv aus dem Zyklus „Mein Vaterland" im zweiten.