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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H Y G I E N E - M U S E U M Freitag, den 8. März 1968, 20.00 Uhr Direktübertragung im Rahmen des „Dresdner Abends” von Radio DDR II Sonnabend, den 9. März 1968, 19.30 Uhr Sonntag, den 10. März 1968, 19.30 Uhr 6. PHILHARMONISCHES K O N Z E R • Jean Sibelius 1865-1957 Dirigent: Kurt Masur Solist: Ryszard Bakst, VR Polen, Klavier Der Schwan von Tuonela Lemminkäinen zieht heimwärts Zwei Legenden nach dem finnischen Volksepos „Kalewala", op. 22 Nr. 2 und 4 Englischhorn-Solo: Gerd Schneider Dmitri Schostakowitsch Konzert Nr. 2 für Klavier und Orchester geb. 1906 F-Dur op. 102 Allegro Andante Allegro PAUSE Anton Bruckner 1824-1896 Sinfonie Nr. 3 d-Moll Mäßig bewegt Adagio, bewegt, quasi Andante Scherzo (ziemlich schnell) Finale (Allegro) RYSZARD BAKST, 1927 in Warschau geboren und einer Künstlerfamilie entstammend, begann bereits im Alter von vier Jahren Klavier zu spielen und wurde ausnahmsweise als Sechsjähriger schon in das Konservatorium seiner Heimatstadt aufgenommen. Bis 1941 setzte er seine Ausbildung in Bialystok fort, mußte aber in die UdSSR flüchten, nachdem er seine Eltern im Ghetto von Bialystok verloren hotte. 1944 bis 1947 studierte er am Moskauer Kon servatorium (u. a. bei Heinrich Neuhaus) und kehrte danach in seine Heimat zurück. Der pol nische Künstler — Preisträger des Internationalen Chopin-Wettbewerbes und Träger des Ritter kreuzes des „Polonia-Restituta"-Ordens — errang große Erfolge in seiner Heimat wie im Aus land. Er gastierte u. a. in Frankreich, der UdSSR, in Dänemark, Norwegen, der CSSR, in Rumänien, in der Schweiz, in Finnland, China. Israel, Bulgarien und den USA. ZUR EINFÜHRUNG Eine eigenartige, ja einsame Stellung in der Musikgeschichte des 20. Jahrhun derts nimmt Jean Sibelius, der Begründer einer national-finnischen Kunst musik großen Stils, ein. Der 1865 in Hämeenlinna (Tavestehus, Finnland) Ge borene sollte eigentlich Jurist werden, studierte jedoch Musik bei M. Wegelius in Helsinki, bei Albert A. Becker in Berlin und schließlich bei Karl Goldmark und Robert Fuchs in Wien. 1893 kehrte er wieder in die Heimat zurück und wirkte zunächst als Theorielehrer an Helsinkier Musikhochschulen, bis er sich, da er vom finnischen Staat ein Stipendium auf Lebenszeit erhielt, gänzlich sei nem kompositorischen Schaffen widmen konnte. Seit 1929 veröffentlichte Sibelius, der bis 1957 lebte, keine Werke mehr. Er schrieb fortan nur noch Musik, die niemand, nicht einmal seine Frau, hören durfte. An Stapeln von Notenblättern klebten Etiketten: „Nicht anrühren" oder „Eist nach meinem Tode zu öffnen". Aber der Nachlaß enthielt kaum Manu skripte. Der Komponist hatte offenbar alles kurz vor seinem Tode vernichtet. Er soll einmal gesagt haben: „Diktatur und Krieg widern mich an. Der bloße Ge danke an Tyrannei und Unterdrückung, Sklavenlager und Menschenverfol gung, Zerstörung und Massenmord machen mich seelisch und physisch kranlc Das ist einer der Gründe, warum ich in über zwanzig Jahren nichts geschaffel habe, was ich mit ruhigem Herzen der Öffentlichkeit hätte geben können. Ich habe manches geschrieben, aber etwas aufführen zu lassen, dazu fehlte mir. . . ja, das wollte ich eben nicht.“ Zum Bilde Sibelius' gehört es auch, daß er sich kurz vor und nach der Jahrhun dertwende der national-finnischen Freiheitbewegung gegen die Unterdrückungs maßnahmen der zaristischen Behörden anschloß. Seine berühmten Tondichtun gen nach dem finnischen Nationalepos „Kalewala" oder die sinfonische Dichtung „Finlandia" stehen in engem Zusammenhang mit diesen nationalen Bestre bungen. Zu Sibelius wichtigsten Werken rechnen neben zahlreichen Liedschöpfungen, Klavierstücken, Volksliederbearbeitungen, Chören, ein Violinkonzert, die sin fonischen Dichtungen und vor allem sieben Sinfonien, die den Komponisten als größten finnischen Sinfoniker ausweisen. So sehr auch der Meister von der Mythologie und Natur seines Landes zum Schaffen angeregt wurde, Motive aus der Volksmusik verwendete er nirgends. Die zwei Tondichtungen „Der Schwan von Tuonela" und „Lem minkäinen zieht heimwärts“ gehören zu den „Vier Legenden" op. 22, auch „Lemminkäinen-Suite" genannt. Diese in den Jahren 1893 bis 1896 komponierte große Suite entstand aus der Arbeit an einer Oper nach einem Motiv des finnischen Nationalepos „Kalewala" („Der Bootsbau"), die Sibelius im Sommer 1893 in Angriff genommen hatte, die aber nie vollendet wurde, da sie ihm bald „allzu lyrisch" erschien. Das als ein ziger Teil fertiggestellte Vorspiel der Oper reihte der Komponist unter dem Titel „Der Schwan von Tuonela" in seine durch diese Beschäftigung mit der „Ka lewala" inspirierten vier Tondichtungen op. 22 ein (zunächst als Nr. 3, später in geänderter Reihenfolge als Nr. 2). Die Uraufführung des Zyklus, in dem cü| eigenartige Atmosphäre einiger Episoden des Epos überzeugend eingefang^ wurde, fand im April 1896 statt. Sibelius arbeitete das Werk jedoch danach noch mehrmals um. 1900 erschienen die zwei heute zur Aufführung gelangen den, erst 1954 die beiden anderen, lange Jahre für verloren gehaltenen Teile der Suite („Lemminkäinen und die Jungfrauen von der Insel" und „Lemmin käinen in Tuonela") im Druck. „ Das der gedruckten Partitur der Tondichtung „Der Schwan von Tuonela ur sprünglich vorangestellte Programm lautete: „Tuonela, das Reich des Todes- die Hölle der finnischen Mythologie - ist von einem breiten Flusse mit schwar zem Wasser und reißendem Laufe umgeben, auf dem der Schwan von Tuonela majestätisch und singend dahinzieht." Die Komposition ist ein selbständiges, schwermütig-schönes musikalisches Stimmungsbild, das die Gefilde des dunklen Landes der Toten und des schwarzen Totenflusses (Schauplatz auch des dritten Teiles der Suite „Lemminkäinen in Tuonela") schildert, wobei gleichzeitig Na turstimmungen aus Sibelius’ Heimat anklingen. Das interessant instrumentierte