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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YG I EN E - M U S E U M 7. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Sonnabend, den 25. November 1967, 19.30 Uhr Sonntag, den 26. November 1967, 19.30 Uhr Dirigent: Lothar Seyfarth Solisten: Tania und Eric Heidsieck, Frankreich Klavier Christoph Willibald Gluck Ouvertüre zur Oper „Iphigenie in Aulis“ 1714 — 1787 Wolfgang Amadeus Mozart 1756 — 1791 Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 365 Allegro Andante Rondo (Allegro) PAUSE Johannes Brahms 1833 — 1897 Konzert Nr.1 für Klavier und Orchester d - Moll op. 15 Maestoso Adagio Allegro non troppo ERIC HEIDSIECK wurde 1936 in Reims geboren. Er stu dierte u. a. am Nationalkonser vatorium Paris, wo er 1954 mit einem ersten Preis ausgezeich net wurde, und vervollkommnete sich bei Alfred Cortot und Wil helm Kempff. Als Neunjähriger gab er seinen ersten Klavier abend, aber erst 1955 begann seine eigentliche Karriere. Nach einem erfolgreichen Konzert in Paris wurde er für Schallplatten aufnahmen und für eine aus gedehnte USA-Tournee ver pflichtet. Eric Heidsieck gehört zu jenen Pianisten der jungen Generation, denen eine große internationale Karriere voraus gesagt wurde und dessen Ent wicklungsgang es immer mehr bestätigt. Seit 1964 konzertiert er auch gemeinsam mit seiner Frau TANIA HEIDSIECK. Die 1939 in der Normandie ge borene Künstlerin wurde zuerst von ihrer Mutter, einer Orga nistin, musikalisch unterwiesen und erhielt dann Klavierunter richt von Blanche Bascourret de Gueraldi, Yvonne Lefebure und Marcel Ciampi, in dessen Klasse sie 1960 einen ersten Preis erhielt. Seit 1961 widmet sie sich vor allem dem Repertoire für zwei Klaviere und konzer tierte seitdem u. a. in Frank reich, Bulgarien, Westdeutsch land und Portugal. LOTHAR SEYFARTH, seit Beginn der neuen Spielzeit 1967/68 als Nachfolger Gerhard Rolf Bauers Dirigent der Dresd ner Philharmonie, wurde im Jahre 1931 in Bernsbach Erzge birge geboren und erhielt seit dem siebenten Lebensjahr Mu sikunterricht. Nach dem Abitur studierte er 1950 bis 1955 an der Hochschule für Musik in Leipzig zunächst Klavier, dann Dirigieren bei den Professoren Egon Bölsche und Franz Jung. 1955 ging er als Solorepetitor und Kapellmeister an das Theater der Werftstadt Stral sund. 1962 wurde er als musi kalischer Oberleiter an das Theater der Altmark Stendal berufen. 1964 bis 1967 wirkte er als Chefdirigent des DEFA-Sin- fonieorchesters in Potsdam-Ba belsberg. Gastdirigate führten ihn bisher an das Große Rund funkorchester Leipzig, an das Berliner Städtische Sinfonie orchester und zur Dresdner Philharmonie. Neben seiner di rigentischen Tätigkeit kompo nierte er Schauspiel- und Bal lettmusiken, Songs und Film musiken. ZUR EINFÜHRUNG Zu den großartigsten Schöpfungen aus Wolfgang Amadeus Mozarts früherer Zeit gehört das Anfang 1779 in Salzburg entstandene Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 36 5. Die tech nischen Ansprüche des meisterlichen, glanzvollen Werkes „lassen vermuten, daß es Mozart nicht für seine Schüler, sondern für sich selbst und seine Schwester komponiert hat. Tatsächlich ziehen die beiden Solisten auch einträchtig und vergnügt zusammen ihres Weges, wie die Mozartschen Geschwister: sie unter halten sich eifrig über dieselben Themen, wiederholen ihre gegenseitigen Ein fälle, variieren sie, fallen einander ins Wort und disputieren auch gelegentlich schalkhaft miteinander, aber ohne daß das gute Einvernehmen jemals durch ernst liche Meinungsverschiedenheiten gestört würde. Trotz einigen Freiheiten im Bau, Christoph Willibald Glucks musikdramatische Gestaltung des Iphigenie-Stoffes in seinen Opern „Iphigenie in Aulis" (1774) und „Iphigenie auf Tauris" (1779) erfüllt in der Verbindung von klassischem Geist der Antike mit den humanistischen Ideen der Aufklärung vollendet die Grundforderung dieses Kom ponisten nach „Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit". In der Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis" besitzen wir auf dem Gebiete der Instrumen talmusik eines der schönsten Beispiele der edlen Tonsprache des großen Opern reformators, ein Werk von klassischer Klarheit, formaler Geschlossenheit (Sona tenform) und vorbildlicher Instrumentation. Seine Ansicht von der Bedeutung der Opernouvertüre legte Gluck in dem berühmten, das Bekenntnis seiner reforma torischen Ideen enthaltenden Vorwort zu „Alceste" (1769) dar: die Ouvertüre solle „den Zuhörer" auf den Inhalt der darzustellenden Handlung vorbereiten". In diesem Sinne hat auch die Iphigenien-Ouvertüre einen ausgesprochen pro grammatischen Charakter, bereits hier wird das Drama in seinen große® Gegensätzen und erregenden menschlichen Konflikten entwickelt. Der Seelen kampf und die Zerrissenheit Agamemnons, der auf Artemis' Geheiß seine Tochter Iphigenie opfern soll, die Forderung des Volkes nach dem im Interesse der Allgemeinheit notwendigen Menschenopfer und die liebliche, jungfräuliche Zartheit Iphigenies erscheinen als die thematischen Kraftzentren der Kom position. Unmittelbar in den Anfang der Handlung übergehend und durch die Verwendung musikalischer Motive in engem Zusammenhang mit der Oper stehend, trägt die Ouvertüre schon gewisse Züge, die wir viel später im „Vor spiel" Richard Wagners wiederfinden. Dieser schätzte das Werk denn auch besonders hoch, fügte ihm einen heute allgemein benutzten Konzertschluß an und unterzog es eingehenden Betrachtungen. Wagner kennzeichnete bei seiner Analyse vier Hauptmotive: „1. ein Motiv des Anrufes aus schmerzlichem, nagen dem Herzeleid" (langsame Einleitung, Moll-Fugato), „2. ein Motiv der Gewalt, der gebieterischen, übermächtigen Forderung" (Unisono-Thema des Haupt satzes), „3. ein Motiv der Anmut, der jungfräulichen Zartheit, in Violine und Flöte" ((kontrastierendes Gegenthema in der Dominante), „4. ein Motiv des schmerzlichen, qualvollen Mitleids" (Fortführungsgedanke in Moll) und führte weiter aus: „Die ganze Ausdehnung der Ouvertüre füllt nun nichts anderes als der fortgesetzte, durch wenige abgeleitete Nebenmotive verbundene Wechsel dieser (drei letzten) Hauptmotive; an ihnen selbst ändert sich nichts außer der; Tonart; nur werden sie in ihrer Bedeutung und gegenseitigen Beziehung ebei durch den verschiedenartigen, charakteristischen Wechsel immer eindringliche gemacht, so daß... wir in das Mitgefühl an einem erhabenen tragischen Kos flikt versetzt sind, dessen Entwicklung aus bestimmten dramatischen Motiv^ wir zu erwarten haben." 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