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möglichkcitcn seinem Temperament mehr entsprachen und seiner Ansicht vom schöpferi schen Prozeß. Sein Verwurzeltsein im musikalisch-folkloristischen Heimatboden bewahrte ihn in all den Jahren in der Fremde, nicht zuletzt während seines Amcrikaaufenthaltes (1941 bis 1946), vor Nachahmung ihm nicht gemäßer Stile, Auffassungen, Richtungen. Stets stand er in engstem Kontakt mit der Heimat, war er sich seiner nationalen Sendung auch im Ausland bewußt und nahm lebhaften Anteil an dem traurigen Geschick seines Volkes während der Kriegsjahre. So schuf der Komponist unter dem Eindruck der Tra gödie von München, die das Schicksal seines Vaterlandes besiegelte und ihn äußerst un glücklich machte, eines seiner bedeutendsten Werke, das Doppelkonzert für zwei Streich orchester, Klavier und Pauken, und 1943 den Orchesterhymnus „Lidice“ als Protest gegen die Ausrottung des gleichnamigen tschechischen Dorfes durch die Faschisten und in memoriam der Opfer dieser Barbarei. Nachdem Martinü jahrelang Musikprofessor an der Princeton University und zeitweilig auch Kompositionslehrer am Manes College so wie in Tanglewood gewesen war, folgte er 1946 einer Berufung als Professor für Kompo sition an das Prager Konservatorium. Seitdem lebte er abwechselnd in Prag, New York, Prattcln (Schweiz) und auf Reisen. Am 28. August 1959 verstarb er in Liedsdorf (Schweiz). Das Konzert für Violine und Orchester schrieb Martinü 1943 für den Geiger Mischa Elman, der cs am 31. Dezember des gleichen Jahres mit dem Bostoner Sinfonieorche ster unter Serge Kussewitzky zur Uraufführung brachte. Das Werk nützt alle Möglich keiten der Geigentechnik und verknüpft auf überzeugende Weise klassische Elemente mit dem ganz eigenen Ausdruck des Komponisten. Martinü hat über die Komposition folgendes geäußert: „Die Idee des Konzertes erschien vor meinem geistigen Auge in fol gender Anordnung: Andante — ein breiter lyrischer Gesang von großer Intensität, der zu einem Allegro überleitet, das die Technik und die virtuosen Möglichkeiten des Instru ments ausnützt und die Gestalt einer einsätzigen Komposition hat. Die endgültige Form besitzt konzertante Struktur. Den ernsten Charakter habe ich im ersten lyrischen Satz gewahrt; und auch im Mittelteil (Allegro) kehrt das Andante-Thema gegen Ende wieder. Der zweite Satz ist eine Art Ruhepunkt, eine Brücke, die zum Allegro-Finale führt. Es ist ein Intermezzo moderato, fast bukolisch, begleitet von nur einem Teil des Orchesters; es mündet attacca in das in Allegro gehaltene Finale. Dies begünstigt die Violintechnik, die von breiten, massiven Tutti-Passagen begleitet ist. Das Konzert endet in einer Art Stretto, Allegro vivo.“ Die Musikgeschichte nennt Anton Bruckner mit Recht einen Sinfoniker, „nicht weil er im wesentlichen Sinfonien geschrieben hat oder weil er mit der Zahl neun in Beethovens Nachbarschaft steht, sondern weil er in dieser Form sein Gültiges so ausgesagthat, daß wir es aus der Entwicklungsgeschichte der Sinfonie nicht mehr wegdenken können. Bruckner hatte unablässig gelernt, geübt und ausgeübt, das letztere nicht wie ein Instrumental solist oder Dirigent auf breiter Basis, sondern auf der Orgelbank. Er hatte musikalisches Kapital in kleiner Münze angehäuft, aber nicht, um es wie ein Geizhals zu horten, son dern um Zinsen daraus zu schlagen zu gegebener Zeit. Er war, als er die Reihe der Sin fonien begann, weder ein Mann der kühlen Berechnung, der sich etwa gesagt hätte, dies oder jenes verlangt die Gegenwart, noch war er einer, der in blinder Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfonie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen“ (M. Dehnert). Berechtigt weist Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Weltanschauung von einer Reihe elementarer Gegen satzpaare bestimmt ist: „Gott und Teufel, Leben und Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Verdammnis, Licht und Finsternis, Niederlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt.“ „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vorstellungswelt sinnfällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Eindring lichkeit entwickelt. Man hat in der Beschreibung der Brucknerschen Tonsprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Einflüsse. Seine Melodik kommt weit eher aus der Tradi tion Beethovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prä gnanten und im Hinblick auf kontrapunktische Arbeit erfundenen Themen nicht zu über hören. Bei alledem ist Bruckners Tonsprache äußerst originell, und diese Orginalität verdankt er gerade jener Fähigkeit, die von seinen Biographen übersehen, von ihm selbst jedoch in sehr aufschlußreicher Weise dargestellt wurde: seiner Fähigkeit, aus der Beobachtung der Wirklichkeit neue Intonationen zu gewinnen“ (G. Knepler). Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstleistungen der Sinfonik des vergangenen Jahrhun derts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Bcethovenschcn Sinfonie, die thematisch-motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches, gegen über, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Melodiebögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bau prinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Episoden von innigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letzten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Tonsprache atmet echt romantischen, klang schwelgerischen Geist. Die Melodienseligkeit der Volksmusik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumental, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sinfonien, die einmal „zyklopische Orgelimprovisationen“ genannt wurden, doch niemals sind sie formlos. Ihre Gesetzmäßigkeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sondern erfordern vom Hörer intensive Aufmerksamkeit und Hörbe reitschaft. Die am 22. November 1874 vollendete erste Gestalt der Sinfonie Nr. 4 Es-Dur, der Ro mantischen Sinfonie, wie Bruckner sie nannte, wurde bald vom Komponisten verworfen, der sich erst nach mehreren Umarbeitungen zufriedengab. Verhältnismäßig spät, im Februar 1881, gelangte das Werk durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter zur Uraufführung. Heute gilt die „Vierte“ als die populärste unter den Brucknerschen Sin fonien. Man hat sie auch nicht zu Unrecht als die „Sinfonie des deutschen Waldes“ bezeich net. Der Begriff des „Romantischen“ verband sich in der Vorstellung Bruckners zweifellos mit dem Mittelalter, denn er charakterisierte die Stimmung des ersten Satzes folgender maßen: „Mittelalterliche Stadt - Morgendämmerung — von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe - die Tore öffnen sich - auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie - der Zauber des Waldes umfängt sic - Waldesrauschen - Vogelgesang - und so entwickelt sich das romantische Bild.“ Doch wäre es entschieden zu weit gegangen, wollte man diese auf eine Grundstimmung verweisenden Worte als ein konkretes Pro gramm auslegen. Uber dem Es-Dur-Tremolo der Streicher erhebt sich ein Hornmotiv, mit dem die erste Themengruppe des ersten Satzes (Bewegt, nicht zu schnell) beginnt. Gesanglich ist das zweite Doppel-Thema, das einen Vogelruf, den Ruf der Waldmeisc, nachbildet. In der kunstvollen, hochpoetischen Durchführung wird außer einem dritten Thema noch ein feierliches Choralthema in die musikalische Entwicklung einbezogen. Das große Es-Dur- Hauptthema bestimmt mit seiner gewaltigen, lichtvollen Wirkung die Koda. - Zu Beginn des zweiten Satzes (Andante quasi Allegretto) stimmen die Celli zur sordinierten Trauer marsch-Begleitung der Violinen und Bratschen einen seelenvollen, traurigen Gesang an. (Der Komponist sprach in diesem Zusammenhang von der „zurückgewiesenen Liebe eines verliebten Burschen“.) Vor dem Eintritt des den Bratschen zugeteilten, an die