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STEINSAAL DEUTSCHES HYGIENE - MUSEUM Dienstag, den 6. Oktober 1964, 19.30 Uhr Im Rahmen der Sozialistischen Musikfesttage 1964 1. K A M M ER MUSIKABEND der Kaminermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie Ausführende: Anita Popken, Sopran Helmut Rucker, Flöte Heinz Butowski, Oboe Werner Metzner, Klarinette Günter Erbstößer, Horn Helmut Radatz, Fagott Günter Siering, Violine Günther Schubert, Violine Herbert Schneider, Viola Erhard Hoppe, Violoncello Heinz Schmidt, Kontrabaß Kurt Kunert geb. 1911 2. Bläserquintett op. 17 für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott (Erstaufführung) Schnell und energisch Etwas gemächlich Ruhig Sch nell Gerhard Rosenfeld geb. 1931 Fünf Lieder für Sopran und Nonett (Uraufführung) Zitternd vor Frost (A. Wosnessenski) Familienereignis (J. Utkin) Am sonnigen Ufer (A. Prokofjew) Sei, bitte, etwas schwächer (R. Roshdestwenski) Wer kann mir sagen? (M. Issakowski) — Pause — Franz Schubert 1797-1828 Streichquartett d-Moll op. posth. „ Der Tod und das Mädchen” Allegro Andante con moto Scherzo — Trio Presto ZUR EINFÜHRUNG Kurt K un er t, 1911 in Stettin geboren, erhielt seine erste musikalische Ausbildung in der Staatskapelle in Anklam und am Loewe-Konservatorium in Stettin. Er studierte von 1930 bis 1939 am Landeskonservatorium. Leipzig und ist seit 1935 Soloflötist im Städtischen Orchester Erfurt. Von 1950 bis 1953 wirkte er als Dozent an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin. Das kompositorische Schaffen Kunerts, der auch als Leiter der Erfurter Kammermusikvereinigung tätig ist, umfaßt Orchesterwerke und eine große Anzahl von Kamermusiken, darunter sechs Bläserquintette. Das 2. Bläserquintett op. 17 schrieb Kurt Kunert im Jahre 1948; es gelangte unmittelbar nach der Entstehung zur Uraufführung. Zu diesem Werk gibt der Komponist folgende Analyse: „Der erste Satz, ,Schnell und energisch' überschrieben, gliedert sich in drei Teile. Der Rhythmus des zupackenden ersten Themas wird im zweiten, langsamen Teil des Satzes zum begleiten den Element, über dem sich eine getragene Melodie erhebt. Im dritten Teil wird das erste Thema fugiert und nach einer längeren Steigerung zum Abschluß gebracht. — Der zweite Satz (,Etwas gemächlich“) wird im wesent lichen vom Rhythmus des ersten Taktes bestimmt, der mit großer Hart näckigkeit immer wieder erscheint und nach vielfältiger linearer Verknüp fung den Satz beschließt. — Im dritten Satz (.Ruhig“) stehen sich zwei The men gegenüber: das getragene Gesangsthema der Klarinette und das vor wärtsdrängende des Fagotts. — Der vierte Satz ist von großer Lebendigkeit und Virtuosität. Polyrhythmen und eine gewisse Motorik kennzeichnen ihn.“ Gerhard Rosenfeld schreibt über seinen künstlerischen Werdegang: „Geboren wurde ich im Jahre 1931 in Königsberg (Pr.). Mein besonderes Interesse für Musik erwachte in den letzten Jahren meiner Schulzeit in Potsdam. Erst nach Absolvierung des Abiturs erhielt ich den ersten syste matischen Klavierunterricht. Später nahm mich die Humboldt-Universität Berlin für das Fach Musikwissenschaft an. Meine Kompositionsstudian begann ich 1953 bei Rudolf Wagner-Regeny an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin und setzte sie bei Hanns Eisler und Leo Spies in der Meisterklasse für Komposition der Deutschen Akademie der Künste fort. Jetzt bin ich einesteils freischaffend, andernteils als Lektor der Internatio nalen Musikbibliothek Berlin tätig.“ Wesentliche Werke des Komponisten sind neben zahlreichen Kompositio nen für Kinder die Sinfonische Trilogie für Orchester, Variationen über ein bretonisches Volkslied, ein Divertimento für Kammerorchester, ein Quintett für Streicher, ein Concertino per Cinque, Fabeln von Aesop für Chor a-cappella und das im Auftrag von Gustav Schmahl geschriebene, im vorigen Jahr von der Dresdner Philharmonie uraufgeführte Violinkon zert 1963. Die in unserem Kammerkonzert zur Uraufführung gelangenden Fünf Lieder für Sopran und Nonett komponierte Gerhard Rosenfeld auf Anregung von Anita Popken, der sie gewidmet sind und die sie auch heute zum Vortrag bringen wird. Die Lieder wurden nach Texten zeitgenössischer sowjetischer Lyriker geschrieben: fast durchweg geben die ausgewählten Gedichte — allerdings in ganz unterschiedlichen Stimmungen und Formen, zum Teil in volksliedhaft-schlichter Weise — Gefühlen liebender Menschen Ausdruck. In der instrumentalen Besetzung wurde den Liedern die klas sische Nonettbesetzung mit Flöte, Oboe, Klarinette. Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabaß zugrundegelegt, die entsprechend dem Charakter der einzelnen Kompositionen in verschiedenen Varianten ver wendet wurde. U. H. / Dr. D. H Von tiefer Ernsthaftigkeit erfüllt ist Fran z Schuber ts im Jahre 1824 komponiertes Streichquartett d-Moll, das durch den Variationensatz über das Matthias-Claudius-Lied „Der Tod und das Mädchen“ seinen Beinamen erhalten hat. Es ist sehr konzentriert und einheitlich angelegt. Schon die Einleitungstakte mit ihrem teils anrufenden, teils fragenden Charakter weisen auf die tiefernste Grundstimmung des Ganzen hin. Die Exposition des ersten Satzes (Allegro) beginnt mit einem düster-spannungsvollen, schrittweise vordringenden Thema. Eine vorübergehende Aufhellung der Stimmung bringt das innige, wohlklingende zweite Thema. Doch für glück haftes Besinnen bleibt kein Raum. Auch ein anderer spielerischer, lieb licher Nebengedanke vermag nicht von den immer stärker sich durchset zenden unruhevollen, verdüsternden Stimmen abzulenken. Zu mächtigen dynamischen Steigerungen, Kontrasten und Akzenten kommt es in der Durchführung. Wehmutsvolle Vorhaltsdissonanzen leiten zum erschüttern den Schlußteil des Satzes über. — Nicht heller, aber fern von der beängsti genden Spannung des ersten Satzes ist das nun folgende Andante con moto mit seinen beseel.igend-tröstenden Variationen. Schubert hat für die fünf Variationen die Weise des Todes, nicht die Stimme des angstvoll flüch tenden Mädchens aus seinem Liede ausgewählt: „Sei gutes Muts! Ich bin nicht wild“. Durchweg herrscht die Empfindung stiller Ergebung; schmerz volles Aufbegehren wird nur in der erregten dritten und im zweiten Teil der fünften Variation spürbar. — In den stürmenden Synkopen allerdings des Scherzos bäumt sich der Lebenswille wieder mächtig auf. Mehr grim mig als froh mutet indessen dieser scherzhafte Mollsatz an, dessen „unter Tränen lächelndes Trio“ (P.Mies) in D-Dur ein lichtes B>ld herbeizaubert. - Noch bewegender und erregender als im ersten Satz beherrschen im Presto Finale mit seinen phantastischen Tarantella- und Reitrhythmen die düste ren, bedrohlichen Kräfte das Feld. Unisono setzt das ruhelos hastende d-Moll-Hauptthema ein, das dem Finale etwas Totentanzartiges verleiht Das sehr markige, kraftvolle zweite Thema versucht, sich daneben zu bt haupten. Vergebens. Unaufhaltsam sind die Energien des Hauptgedankens — zumal im schaurigen Prestissimo. Texte der Lieder: Andrej Wosnessenski Zitternd vor Frost (1960) Zitternd vor Frost in der Fernsprechzelle hängt das Mädchen den Hörer an. Tränen rinnen Ihr über die Wangen . . . Mädchen, was hat man dir angetan? In die erstarrten Hände hauchend, wankt sie hinaus, wie betäubt vor Weh. Tränen, gefärbt vom Rouge der Lippen, tropfen wie Blut in den knirschenden Schnee. Heimwärts tappt durch eisige Gassen bitterer Kränkung blutige Spur, Herzenskälte hinter sich lassend, die sie zum ersten Male erfuhr. (Deutsche Nachdichtung: Martin Remane)