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Gewerbe-Haus. Sonnabend den 24. November 1877 Sinfonie-Concert von Herrn Kapellmeister II. Mannsfeldt mit seiner aus 45 Mitgliedern bestehenden Kapelle. P R O <5 RA M M 3. Sinfonie ('-moll (zam ersten Male) Joh. IJrahru*. Beethoven Oberthür. I.assen. Beethoven Wagner. 1. Fest-Ouverture . . . . . . . . . . . 2. Adagio aus der Sonate „pathetique“ . . . . 3. Tonbi'der aus dem Musikdrama „Die Walküre“. 6. Ouvertüre zu ..Egmont“ . . . . . . . . 6. „La priere“, Solo für Violoncello und Pedalbarfe. (Vorgetragen von Herrn Petersen und Frl. Frida Mannsfeldt.) 7. Frühlingszeit, Lied ......... R. Becker. 8. Hochzeitszug aus der Oper „Feramors“ . . . Rubinstein. Anfang »i thr. Entree 15 Pf. I Abonnements -Billets sind, ’6 Stück zu 3 Mark, an den bekannten [Verkaufsstellen, sowie Abends an der Casse zu haben. Die Konzertprogramme der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts waren für die Hörer oftmals Geduldsproben. Die Konzerte dauerten bis zu drei Stunden. Das Haupt werk des Abends stand in der Mitte der Programmfolge. Von 1871—1885 war Kp. Mannsfeldt Dirigent des Orchesters. Während seiner Tätig keit führte er drei Konzertreisen in das Ausland durch (Rußland 1871, Polen 1879, Holland 1884). Die Aufführungen der Werke von Brahms betrachtete er als seine vornehmste Aufgabe. Fesseln uns im ersten Satz das Neben- und Ineinander von Energiegeladenheit, echtem Pathos und Nachinnengerichtetsein (wobei auf das Meisterliche der Übergänge besonders hingewiesen sei), beleuchten die zwei großen Pianostellen der Durchführung und der verhaltene Ausklang des Satzes nach einer grandiosen Gipfelung die Gefühlsweite des Meisters, so ist der zweite Satz vom Ausdruck innerer Klarheit getragen, er atmet — trotz manchem, was aus dem ersten Satz noch nachwirkt und sich etwa in schroffen Modulationen und stellenweise heftiger Dynamik niederschlägt — Ruhe und klingt mit dem Tone des Versöhntseins aus. Der dritte Satz — auch er nicht ohne Einströmungen aus dem ersten — ist nicht ein Scherzo schlechthin, seine Grundhaltung ist gedämpfter, wenn auch vieles an natür licher Musizierfreude durchbricht. Das Finale endlich zeigt noch einmal die ganze Vielfalt der Brahmsschen Feder: Suchen nach Freiwerden aus den ungelösten Spannungen des ersten Satzes, das ungemein eindringliche Alphornthema und das echt volkstümliche Thema der Violinen zu Beginn des Allegro non troppo, endlich, im überzeugenden Schwung des grandiosen Schlusses, die Krönung eines Werkes von beispielhafter Gewichtigkeit, das schlechthin zu den Meisterwerken der Welt gehört, denen unsere ganze Liebe gilt. Günter Kochan SINFONIETTA 1960 Mit Günter Kochans Sinfonietta 1960 ist der Philharmonie, deren programmatische Zielstellung neben der sorgsamen Pflege des künstlerischen Erbes auf den Einsatz für alles tragfähige Neue gerichtet ist, eine schöne Aufgabe zugewachsen, würdig, im Rahmen eines Festprogrammes gelöst zu werden. Der Autor, 1950 bis 1953 Schüler Hanns Eislers in der Meisterklasse für Kompo sition an der Akademie der Künste und seit 1950 Dozent für Musiktheorie an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin, hat das Werk der Philharmonie und Nationalpreisträger Prof. Heinz Bongartz gewidmet. Es zeichnet sich durch konzen trierte thematische Arbeit, vitale Rhythmik und einen ausgeprägten Sinn für trans parente Orchesterfarben aus und gesellt sich würdig den anderen Arbeiten zu, für die Kochan mit hohen Auszeichnungen bedacht wurde (1950 zum 1. Deutschland treffen Preis für ,,Friedenskantate der Jugend“ gemeinsam mit A. Asriel; 1953 zu den Bukarester Weltfestspielen 3. Preis für das Violinkonzert; 1954 und 1955 Aus zeichnungen für Lieder zum 2. Deutschlandtreffen und zu den Warschauer Welt festspielen; 1959 Kunstpreis der Deutschen Demokratischen Republik und Natio nalpreis als Mitglied des Kollektivs der Rügenfestspiele). Den bislang von Kochan gepflegten Gattungen, vornehmlich Jugend- und Massen lied, Kantate, A-cappella-Chor, Filmmusik, eignet von vornherein eine formale Straffung, die auch die Faktur der Sinfonietta bestimmt. Bei aller Unterschiedlich keit der Grundstimmung, die sich aus den Überschriften zu den vier Sätzen (Ballade, Capriccio, Elegie, Finale) ergibt, sorgen thematische Beziehungen untereinander für eine ganzheitliche Gesamtwirkung, und wohl abgewogene Spannungsbögen in Ver bindung mit gewählter Instrumentierung lassen die einzelnen Sätze selbst zu über sichtlich geordneten Einheiten werden. Bei alledem ist aber die sorgfältige the matische Arbeit nichts weiter als die selbstverständliche Voraussetzung für ein Werk, das, so zeitnah seine Sprache ist, die überkommenen Grundlagen keineswegs außer acht läßt, sie vielmehr nutzt, um auf der Basis eines gesunden musikantischen Instinkts unseren Tagen zu neuer künstlerischer Aussage zu verhelfen. Prof. Walter Bänsch