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Der erste Satz (Invocatio) beschwört die Situation des magisch-rituellen Tanzes. Das Lamentatio bewegt sich zunächst im Ausdrucksbereich spontaner Klage, die sich gegen Schluß in der Form der Litanei beruhigt. Hier wird zum ersten Male die Beziehung zur Gregorianik spürbar. Die Laudation benützt die Ostersequenz (victimae paschali laudes) in der ursprünglichen gregorianischen Form wie auch in der deutschen Liedfassung ,Christ ist erstanden*. Nur einmal zu Beginn erklingt die Weise als cantus firmus, im übrigen wird sie, in ihre Bestandteile zerlegt, als Material für die gesamte Gestaltung ausgewertet. Im Alleluja der Liedweise klingt dieser Satz aus.“ Alexej Dawidowitsch Matschawariani ist ein neuer Name aus dem großen Kreis der sowjetischen Komponisten, der uns in Dresden begegnet. Er wurde am 22. September 1913 in Gori (Grusinien) geboren, studierte Musik am Konservatorium zu Tbilissi, vor allem in der Kompositionsklasse von Professor P. B. Rjasanow, die er 1936 erfolgreich absolvierte. Danach arbeitete Matschawariani noch einige Jahre als Aspirant des Konservatoriums. Bereits während seiner Studienjahre erregte der junge Komponist Aufsehen. Es entstanden Werke für Klavier, ein Vokaltrio, Chöre, Massenlieder und Orchesterwerke. In den Jahren nach 1940 wandte sich Matschawariani vor allem dem sinfonischen und musik dramatischen Schaffen zu. Erinnert sei an seine Oper ,,Mutter und Sohn“ (1943), an seine ,,Symphonie“ (1947), an sein Klavierkonzert (1944) und an sein Konzert für Violine (1950), das mit dem Stalinpreis ausgezeichnet wurde. Im ,,Handbuch sowjetischer Komponisten“ lesen wir: ,,Eine tiefreichende Verknüpfung mit der grusinischen Volksmusik, ideenreiche Konzeption in Verbindung mit schöpferischem Elan und vollendeter Orchesterbeherrschung machen Matschawarianis Schaffen zu einer der eminentesten Erscheinungen der sowjet grusinischen Musikkultur.“ Matschawariani lebt heute als Dozent für Komposition und Chordirektor am Tbilissier Konservatorium. Er wurde als ,,Verdienter Künstler der Grusinischen SSR“ ausgezeichnet. Das Klavierkonzert Alexej Dawidowitsch Matschawarianis wurde bereits mit Erfolg in Leipzig (Gewandhaus) und Halle (Staatliches Sinfonieorchester) aufgeführt. Es ist ein effektvolles Werk, das den Pianisten vor dankbare Aufgaben stellt. Der erste Satz wird durch eine ausgedehnte langsame Einleitung eröffnet: Die anfänglich bedrückte und etwas lastende Stimmung lichtet sich bald, hellt sich auf und bereitet den Allegro-Teil vor; eine kraftvoll-optimistische und mitreißend musikantische Musik. Thematisch sind Einleitung und Allegro miteinander verbunden und vielfach verknüpft. Eindrucksvoll und prägnant ist der Gegensatz der Themen geformt, die Kontrastierung von markanter Rhythmik und gesangvoller Melodik. Der zweite Satz — Andante amoroso — erhält sein besonderes Ge präge durch reizvolle exotische Anklänge. Klar und volksliedhaft einfach ist die dreiteilige Formanlage des Satzes, der beschaulich-nachdenklich beginnt, sich steigert, durch einen bewegten Mittelteil unterbrochen wird, um in die wehmütige Stimmung des Anfangs wieder zurückzufallen. Nach klassischem Vorbild ist das Finale gleich einem Rondo gestaltet, durchwoben von tänzerischen Elementen der grusinischen Volksmusik, heiter und lebens bejahend im Grundcharakter, eine musikalisch wie inhaltlich gleichermaßen überzeugende Steigerung zu einem zukunftsfrohen Abschluß des gesamten Konzertes. Die Eigenarten der Musik sind leicht zu erkennen: spontane Rhythmik, die Vorliebe zum orientalischen Klangkolorit, Verbindungen zur heimatlichen Folklore, der Zusammenklang russischer und westeuropäischer Traditionen, das Bekenntnis zu den überlieferten klassi schen Formen, die durch rhapsodische Freizügigkeit aufgelockert werden. Über allem steht die impulsive Freude am Musikantischen und eine heiter-optimistische Grundhaltung des Musizierens. Es war im Oktober 1802, als Ludwig van Beetho ven sein ,,Heiligenstädter Testament“ verfaßte. Vier Jahre danach entstand seine vierte Sinfonie. Es ist für uns schwer, ganz zu erfassen, mit welch übermenschlicher Willenskraft Beethoven seine persönlichen Leiden überwand, und wie wußte er das Persönliche ins Überpersönliche zu verwandeln! Zwischen den riesenhaften Blöcken der dritten und fünften Sinfonie ist die, »Vierte* * mit einem ruhigen Atemholen und glückhaften Verweilen zu vergleichen. Robert Schumann nannte die vierte Sinfonie eine ,,schlanke, griechische Maid zwischen Nordlandriesen“. Es ist durchaus denkbar, d?ß wirtschaftliche Erwägungen Beethovens den Ausschlag gaben, die Arbeit an der bereits 1805 begonnenen ,»Fünften“ zu unterbrechen und erst die anmuti gere, beschwingtere und insgesamt leichter verständliche ,,Vierte“ zu schreiben, die von dem Grafen Oppersdorf bestellt worden war und ihm auch gewidmet wurde. Der Beethoven- Biograph Ludwig Nohl ist der gleichen Meinung, wenn er sagte, daß Beethoven bestrebt war, „dem allgemein Gekannten und Beliebten der überlieferten Form und damit dem eigenen bessern Fortkommen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen“. Auch diese scheinbar nebensächlichen Dinge sind ein Beitrag zum großen Kapitel „Musik und Gesellschaft“. Eine ruhevoll-nachdenkliche, verhältnismäßig lange Einleitung eröffnet den ersten Satz, der eine heitere, frohbeschwingte Stimmung ausstrahlt und in dem durchweg das Sinfo nische vom Musikantischen überstrahlt wird. Von besonderer Schönheit ist das Adagio, in dem auch der Humor nicht zu kurz kommt: „Baß und Pauke betragen sich wie Falstaff“, meinte Robert Schumann von einer Episode des langsamen Satzes, und auch Hector Berlioz fand treffende Worte über den Zauber, der von dieser Musik ausstrahlt: „Das Adagio entzieht sich der Analysierung, es ist so rein in den Formen, der Ausdruck der Melodie ist so engelhaft und von so unwiderstehlicher Zärtlichkeit, daß die wunderbare Kunst der Bearbeitung vollständig verschwindet.“ Im Menuett, das im Grunde ein Scherzo ist, wiederholt Beethoven das Trio, in dem die Bläser besonders liebevoll bedacht sind, zweimal. Scherzhaft und herzlich ist wiederum der Charakter des Schlußsatzes. Freude und Humor vereinen sich in dieser Finalmusik zu einem fröhlichen „Kehraus“. Einer der zahlreichen Beethovenbiographen sagte einmal sehr treffend von der „Vierten“ : „Auf dem ganzen Werke liegt der mild-klare, doppelt wärmende Sonnenschein eines glücklichen Septembertages.“ Gottfried Schmiedel L I T E R AT U R H I N W E I S E zu Günter Bialas: Joachim Herrmann: „Musica“, Heft 11, 1957 Heinrich Lindlar: „Musica“, Heft 5, 1957 Musik und Geschichte in Gegenwart, Band I Bärenreiter-Verlag, Kassel Dr. Siegfried Köhler: „Musik und Gesellschaft“, Heft 7, 1957, Henschelverlag, Berlin Hans Joachim Moser: Musiklexikon 1955, Verlag Sikorski, Hamburg zu Alexej D. Matschawariani: G. B. Bernandt: Sowjetische Komponisten (Zentralvorstand der DSF) zu Beethoven: Karl Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende, Mitteldeutscher Verlag, Halle Vorankü ndig ung : Nächste Konzerte im Anrecht A 27. und 28. Februar 1960 8. Außerordentliches Konzert 1. und 2. März 1960 Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solist: Prof. Helmut Roloff, Berlin (Klavier) 5. PHILHARMONISCHES KONZERT 1959/60 6035 Ra III-9-5 ä6o 1,4 IrG 009 60