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Klaviersatz ein ähnliches Symbol der Vollkommenheit für die Romantik wie Johann Sebastian Bachs Choralsatz für das 18. Jahrhundert. In den Jahren, die Chopin in Paris weilte, konzertierte er'des öfteren mit Franz Liszt zusammen, der uns über Chopins Spiel berichtete: „Nun müßten wir noch von Chopins Spiel reden, wenn nicht der traurige Mut uhs dazu fehlte. Kann es gelingen, jemandem eine Vorstellung von dem Zauber einer unsagbaren Poesie zu geben, der sie nicht selbst empfunden hat? In den meisten seiner Werke liegt die Erinnerung irgendeines flüch tigen poetischen Hauches, der von einer Erscheinung herübergeweht scheint. Manchmal idealisiert er sie so weit, daß sie nicht mehr unseres gleichen anzugehören scheint, sondern sich der Feenwelt nähert. Wenn diese Inspiration Chopin überkam, dann nahm sein Spiel einen ganz besonderen Ausdruck an, ganz gleich, was er immer spielen mochte. Allem gab er eine ganz unnennbare Färbung, einen Pulsschlag von einer Vibra tion, die nichts Stoffliches mehr an sich hatte. Durch sein Spiel erweckte der große Künstler in bezaubernder Weise jenes Zittern von ängstlicher, atemloser Erregung, die über einen kommt, wenn man sich in der Gegen wart übernatürlicher Wesen fühlt, nahe denen, die man weder ahnen kann noch fassen, noch umarmen, noch beschwören.“ 1848 reiste Chopin nach England und Schottland, errang dort eine Menge schöner Erfolge, aber der Unstern des Geldverdienenmüssens verdunkelte diese Reise. Unmittelbar vor seiner Rückkehr nach Paris schrieb er 1849: „Meine schottischen Damen sind gütig, aber so langweilig! Einen Tag länger hier und ich werde verrückt oder ich sterbe.“ Die letzten Monate seines Lebens waren mit Leid und Widerwärtigkeiten bis zum Rande gefüllt. Chopin konnte weder komponieren noch unterrichten, Ersparnisse waren keine vorhanden. Freunde nahmen sich seiner an. Erschütternd ist der letzte Brief an seine Angehörigen: „Meine Geliebten, wenn Ihr es könnt, dann kommt. Ich bin krank, und kein Arzt wird mir helfen wie Ihr. Wenn Euch Geld fehlt, dann borgt es. Wenn es mir besser geht, werde ich leicht Geld verdienen und es dem zurückgeben, der es Euch geliehen hat, aber jetzt sitze ich zu sehr auf dem trockenen, um Euch etwas senden zu können.“ Noch immer hoffte er auf Genesung, aber der Tod war stärker. Am 17. Oktober 1849 starb Frederic Chopin, der wie Mozart als Wunderkind in die Welt eintrat und der — wie Mozart auch — als ein Frühvollendeter sein Leben beschloß, der aber auch als ein in sich Vollendeter sein Leben erfüllte. Textlidio Mitarbeit: Gottfried Schmiedel Literaturhinweise: E. Krause, „Richard Strauss“ • Niedis, „Frederic Chopin“ • Zagiba, „Peter Tschaikowski“