Die 6. Sinfonie Dmitrij Schostakowitschs entstand 1939. Sie erregte Bewunderung und Ablehnung, doch die Kraft der Erfindung, die Stärke der Aussage und nicht zuletzt die musikalische Substanz überzeugten im Laufe der Jahre auch die hartnäckigsten Skeptiker. Durch mehr maliges Hören mußten sie erfahren, daß die „Sechste" eine organische Weiterführung der umjubelten „Fünften" bedeutete. Beide waren Meisterwerke, wenn auch in Inhalt, Form und Aussage auf verschie denen Ebenen beheimatet. Schostakowitschs 6. Sinfonie bewies wie der einmal, daß der Wert eines Kunstwerkes nicht allein darin liegt, daß es beim erstmaligen Hören von jedem Menschen (gleich welcher Vorbildung) verstanden wird, sondern daß es auch Kunstwerke gibt, die uns Aufgaben stellen, die mit Forderungen an uns herantreten und unsere volle Hörbereitschaft verlangen, Sinn und Wert des Kunstwerkes — wie es einmal Johannes R. Becher formulierte — „zu enträtseln und zu forschen, was sich dahinter verbirgt". Das gilt nicht nur für die zeitgenössische Musik, sondern genau so für einzelne Schöpfungen der Klassik, denn wer wagte zu behaupten, Bachs „Kunst der Fuge" oder Beethovens späte Streichquartette ganz zu ver stehen? Ungewöhnlich ist die Form der „Sechsten", die aus nur drei Sätzen be steht, ungewöhnlich ist auch die Monothematik des ersten Satzes: Das Thema des einleitenden Largos trägt rezitativische Züge und wird ilm Laufe der) musikalischen Entwicklung variiert. Man hat das Largo einmal treffend mit einem „tiefen und verdichteten" Monolog verglichen: Ein Mensch sinniert und grübelt, philosophiert und denkt nach. Düstere Farben herrschen vor, Stimmungen der Schwermut und Resignation bestimmen den Charakter der Musik. Die Spannung ver dichtet sich. Klangreibungen unterstreichen diese Tendenz, doch es kommt zu keinem befreienden Aufschwung. Im Mittelteil wird das Prinzip der musikalischen Deklamation fast zu einem Sprechen der Instrumente gesteigert. Reizvoll die koloristische Untermalung durch die vielfältigen Triller in fast allen Stimmen. Die Koda faßt noch ein mal zusammen: Hoffnungslos, ohne Ausweg verklingt das Largo. Das fol gende Allegro kann mit einem beschwingten, anmutig bewegten Scherzo verglichen werden. Es ist, als ob die Klarinette einen witzigen Walzer anstimmen wollte, und auch das zweite Thema verstärkt mit seinem volkstümlichen Ländlerton den fröhlichen Grundklang der Musik. Witz und Parodie werden in diesem geistreichen Satz nie Selbstzweck: Auch die ungewöhnlichsten Kontraste klanglicher und rhythmischer Art werden der inhaltlichen Idee des Ganzen eingeordnet. Ein drittes Thema (in den Celli und Bässen erklingend) rundet den Satz. „Bekenntnis zum Leben" könnte über dem Finale als Leitwort stehen. Im Rhythmus eines Galopps beginnt das Presto. Ganz ähn lich im Charakter ist auch das zweite Thema. „Schelmisch und an mutig" nennt es Martynow, der Biograph Schostakowitschs. Die Vor schläge der Holzbläser vergleicht er mit tschilpenden Spatzen! Im Mittelteil des Finale werden von Schostakowitsch neue Gedanken gleich ergänzenden Episoden eingeführt. Im Gegensatz zu den beiden ersten kammermusikalisch durchsichtigen instrumentierten Sätzen verwendet der Komponist in diesem Mittel teil in weit stärkerem Maße den Zusammenklang des gesamten Or chesters und erreicht damit auch dynamisch einen organisch sich