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über Tschaikowskys VI. Symphonie, der „Pathetique“, wenige Wochen vor des Meisters Tod (1893) vollendet und uraufgeführt, webt es gleich Schatten der Todesahnung. In diesem Werk erblickte der russische Komponist die Krönung seines musikalischen Lebenswerkes, das unmittel barste seiner künstlerischen Bekenntnisse. „In diese Symphonie habe ich ohne Übertreibung meine ganze Seele hineingelegt," gestand Tschaikowsky. Im ersten, von einem schmerzerfüllten Adagio eingeleiteten Satze vollzieht sich unter stärksten Kontrastspannungen eine Auseinander setzung mit dem allgewaltigen Schicksal, auf deren Höhepunkt, gleich einem „Memento mori", die Choralweise der russischen Begräbnismesse aufklingt; trauermarschartig schreitet sodann die Coda dem Ende des Satzes zu. Völlig anders, stimmungsgegensätzlich der zweite Satz, jener berühmte Walzer im 6 / 4 Takt, in dem ein Bild festlichen Lebens und Genießens ebenso ver führerisch wie trügerisch emportaucht. Man hat dieses Stück als „ein Lächeln unter Tränen“ be zeichnet, was besonders für die zarte Wehmut des Trios Geltung hat. Nicht weniger faszinierend, großartiger, aufwühlender und nervenpeitschender noch wirkt der dritte Satz, Scherzo und Marsch zugleich. Eine letzte, trotzige, fast verzweifelte Willensäußerung des Lebens, das sich hier noch einmol aufbäumt, denn das Finale, bezeichnenderweise ein Adagio, ist ganz der inneren Welt zugewandt, atmet Abschiedsstimmung, Todesahnung. Es ist aus der Stimmung eines Herzens^ heraus empfunden, das die Welt nahezu überwunden hat. Schwermut und Verzweiflung scheirj gesänftigt, der Geist der Ergebung in ein Unabänderliches spricht aus diesen Klängen i ihrer dunklen Melodik und aus deren allmählichem Verglühen und Verlöschen. Max Regers „Mozartvariationen" (1914) entstammen jener Spätzeit seines Schaffens, in der der „Licht- und Liebesgenius" des Salzburger Meisters Gewalt über Reger gewonnen hatte. In anmutigem Wechsel zwischen Holzbläsern und geteilten Streichern erklingt zunächst das Thema aus Mozarts bekannter Klaviersonate in A-Dur. Variation I bringt das Thema noten getreu im Holz, umrankt von zärtlichen Umspielungen der Streicher. In Var. II übernehmen letztere die Melodie in der Umkehrung, Flöten und Klarinetten flechten nunmehr das Ara beskenwerk der Umspielung. Var. III verändert das Thema bereits einschneidender, indem sie es in die Tonart a-moll versetzt und rhythmisch umbildet. Diese neue rhythmische Struktur wird in Var. IV beibehalten unter klcfnglicher Vorherrschaft der Hörner und Trompeten. Var. V scheint das Thema in eine Art fantastischen Reigens verwandeln zu wollen. Aus diesem romantischen Geisterreich leitet Var. VI wieder in das ursprüngliche Mozartthema in D-Dur zurück und in neuer harmonischer Einfärbung, Das Grundwesen der Grazie teilt diese Variation mit der fol genden VII, wo das Thema in Horn und Cello mittelstimmenartig eingebettet wird, indessen die Geigen eine Gegenlinie darüber ziehen. Später kehrt sich das Verhältnis beider Stimmen um. Var. VIII erscheint als Ziel- und Höhepunkt. Sie wird zu einer Fantasie über das Thema. Die zarte Wehmut dieser Variation mündet in einen tröstlichen Übergang zur Schlußfuge. Zu erst erscheint in der ersten Violine das rhythmisch akzentuierte erste Fugenthema, dem sich in der Klarinette ein gegensatzvolles Gesangthema anschließt. Beide treten in kontrapunktische Beziehung. Gegen Ende der Durchführung mischt sich das Mozart-Thema ein, sodaß drei Themen gleichzeitig ertönen als „Lobgesang auf die ewige Schönheit". „Tod und Verklärung", 1889 vollendet, entbehrt nicht des äußeren und inneren Bezugs auf Richard Strauß’ Leben. Kurz vorher hatte der Komponist eine gefährliche Krankheit überstanden. Dem Inhalt entsprechend ist „Tod und Verklärung" in zwei Teile samt einer Einleitung gliedert. Der erste, vorwiegend in Moll gehalten, malt die Stimmung der Todesahnung,^^ der, rückblickartig, nochmals der vorausgegangene Lebenskampf vorüberzieht. Die Reprise des ersten Themas wird gleichbedeutend mit dem Eintritt des Todes. Pausenlos fügt sich der zweite, hauptsächlich in Dur gehaltene Teil an, die Verklärung. - Die Tondichtung baut auf plastisch geformten Themen auf. Die Einleitung wird beherrscht von einem Synkopenmotiv, das die bange Erwartung des Endes symbolisiert. Im ersten Teil fällt zunächst die Themengruppe der Lebens energie auf, zu der eine lyrische Flötenweise kontrastiert. In der Durchführung mißt sich mit diesen beiden Themen das Synkopenmotiv der Einleitung. Noch vor dem Eintritt des Todes leuchtet, einer Verheißung gleich, das Tonsymbol der Verklärung auf. Nach sturmbewegter Schilderung des Todeskampfes verhaucht das erlöschende Leben in ein Pianissimo. Dumpfe Gongschläge fallen in die nunmehr eingetretene unheimliche Ruhe. Von ferne schweben die Klänge des lyrischen Seitenthemas heran, werden zu Vorboten des Verklärungsthemas. Immer leuchtender breitet sich dieses aus und verliert sich, nachdem es seinen strahlendsten Glanz entfaltet hat, in überirdischen Höhen. DR. WILHELM ZENTNER