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ZUR EINFÜHRUNG Die Slawischen Tänze op.46 und op.72. 16 insgesamt, sind von Antonin Dvorak (1846—1904) im Aufträge geschaffen worden. Der Leipziger Verleger Simrock wünschte von ihm ein Werk, das den 1869 erschienenen ,,Ungarischen Tänzen" von Johannes Brahms entsprechen sollte. Simrock stellte ganz klare Forderungen in Hinsicht auf den Inhalt, daß nämlich die slawisch rassische Eigenart in ihnen einen unüberhörbaren Ausdruck finden sollte. Dvorak kam dieser Wunsch des Verlegers sehr entgegen. Er war ja nicht nur Komponist allein, sondern er war auch bewußt Tscheche. Das bedeutete damals sehr viel, da die österreichische Monarchie das tschechische Volk unterdrückte und ihm seine Selbständigkeit vorenthielt. Sich der Werte und Kräfte des eigenen Volkstums bewußt zu werden, war damals die einzige Möglichkeit, um sich als Volk zu fühlen und zu empfinden. Die Künstler waren jene Menschen, die dem Volke die Schönheiten und die Schätze des eigenen Volkstums künden konnten. Sie waren deshalb im letzten Grunde politische Menschen. Heute rechnet man Dvorak neben Smetana zu den Schöpfern und Erweckern des tschechischen Nationalgefühls. Dvorak schrieb die ersten 8 Tänze (op.46) im Jahre 1878. Die Melodien dieser Tänze sind durchweg eigene Erfindung. Sie sind ein Beispiel dafür, daß ein aus dem Volke stammender und im Volke verwurzelter Komponist so sehr in der Eigenart des Volkstums aufgehen konnte, daß die von ihm geschaffenen Melodien wirkliche Volksmelodien geworden sind. Dvorak, der selbst in seiner Jugend auf tschechischen Dörfern gelebt und dort zum Tanze aufgespielt hatte, kannte die Freuden und Leiden, die, Wünsche und Nöte seines Volkes genau, so daß ihm Melodien gelangen, die all dies ausdrucken konnten. Dvorak hielt sich in den ersten 8 Tänzen an die Form und die Eigenarten des Rhythmus tschechischer Tänze. Nr. 1 ist ein Furiant, Nr. 2 eine Dumka. In Nr. 3 verwendet er die Eigentümlichkeiten der Polka, die über die Grenzen des tschechischen Volkes hinaus bekannt geworden ist. Nr. 4 ist eine Sousedska, ebenso der 6. Tanz, während der 5. und der 7. von der Skocia inspiriert sind. Als 8. Tanz schließt wiederum ein Furiant diesen ersten Zyklus ab. Schon dieser Überblick zeigt di' Fülle der verschiedenen Formen, die mit den unterschiedlichsten Rhythmen erfüllt sind. Wenige wissen, daß diese Tänze ursprünglich für Klavier zu vier Händen geschrieben worden waren und von Dvorak später instrumentiert wurden. Er erhielt für sie 300 Mark. Sie wurden ein Welterfolg und machten Dvorak mit einem Schlage berühmt. Sie sind es nicht nur wegen ihres realistischen Inhalts, der tatsächlich aus dem Volke stammt, sondern auch wegen ihres schönen Klanges und des Glanzes der Orchestrierung geworden. Der Geschäftsmann Simrock wünschte eine zweite Serie, die Dvorak 1886 auch lieferte. Sie besteht allerdings nicht nur aus tschechischen Tänzen, sondern aus einer Reihe von Tänzen auch anderer slawischer Völker. In diesem op. 72 ist der 9. Tanz der slowakische ,,Odzemek“, der 10. und 14. Tanz sind polnischen Ursprungs als ,,Mazurka" und „Polonäse“; der 12 Tanz stammt aus der Ukraine und der 15. ist ein südslawischer „Kolo". Nur die Tänze 11, 13 und 16 sind tschechisch, sie stellen eine Skoäna, eine §parcirka und eine Soüse.dska dar. Dieser gesamte Zyklus von 16 slawischen Tänzen ist berufen, eine Brücke zwischen dem tschechi schen und deutschen Volke zu schlagen. Die Eigenart, das Temperament, die Lebensfreude und die Fülle und der Reichtum der Tschechen singen und klingen aus diesen Tänzen, die ein jeder sofort versteht. Hier fallen die Schranken, die die Verschiedenheit der Sprachen setzen, weg — hier ist eine freundschaftliche Verständigung sofort möglich. Diese Tänze sind Boten von unserem Nach barn, die um Verständnis und Einfühlung werben und bitten. Es gelingt ihnen. Denn wer könnte sich dem hinreißenden Zauber dieser echten und wirklich natürlichen Musik ver schließen? . Johannes Paul Thilman Musik - Brücke der Völkerfreundschaft