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nicht, was sie in ihrer Liefe birgt. Aber über Böhmens Land kommt Elend über Elend, von nirgendwoher wird ihm Hilfe. Da erwachen aus dem Traume die Helden des Blanik, greifen zu ihren alten Waffen, und aus dem ge öffneten Berge treten sic hinaus ins Land, dem sie Ret tung bringen. Mit ihnen kehrt das längst verlorene Heil zurück, und in neuem Glanz strahlt der Ruhm des ganzen Bölimcr- landes. (Nach Rychnovsky: „Smetana") Auf Bedrich Smetana (1824—1884), den genialen tsche chischen Komponisten, trifft das zu, was Hans Joachim Moser über die umstrittene und zwiespältige Gattung der Programmusik gesagt hat: „Insgesamt ist die Programm musik ein Abgleiten der Tonkunst in ihr nicht ganz wesens gemäße Bezirke, ja sie kann (wenn sie nicht von der Hand großer Meister geübt wird) geradezu auf eine Verun ehrung der Musik hinauslaufen.“ Nun, Smetana ist einer der großen Meister, die im Gegenteil eine glückliche Hand bewiesen, als sie sich der sinfonischen Dichtung zuwand ten und diesen Zweig der Komposition ergriffen. Der Ein fluß von Franz Liszt, dem Führer der neudeutschen Schule, istgleich in den ersten Werken Smetanas spürbar, die allerdings noch ganz der deutschen Bildungssphäre angehören. Smetana wächst dann allmählich in die tsche chische Welt hinein, der er zwar seiner Abkunft gemäß schon angehört, die es aber auch zu bekennen gilt. Nach dem er in seinem Schaffen (in seiner Erstlingsoper „Die Brandenburger in Böhmen") noch starke wagnerische Einflüsse verarbeiten und überwinden mußte, gelang ihm mit der 1866 geschriebenen Spieloper „Die verkaufte Braut“ der große Wurf, ein Werk, das so spezifisch tschechisch im Musikalischen war, daß von diesem Augen blick an in der Welt mit diesem Novum, nämlich dem tschechischen Anspruch auf Teilnahme am musikalischen Leben, gerechnet wurde. Da auch damals die Propheten nichts in ihrem Vaterlande galten, errang dieses Werk, das sich dann die Welt eroberte, erst 1892 in Wien jenen Erfolg, der ihm gebührte. Inseiner vierten Oper„Libussa“ greift er die Eigentümlichkeiten seiner tschechischen Ton sprache wieder auf und vervollkommnet sie so, daß man dieses Werk als das Meisterwerk tschechischer Dramatik schlechthin nennt. Nun ist Smetana im Vollbesitz seines Könnens, geschult durch die farbige Palette des Liszt- schen und Wagnerschen Orchesters, bereichert um die rassisch-rhythmischen Eigentümlichkeiten seines volk haften Erbes und erhöht durch das Selbstbewußtsein, das ihm aus dem Bekenntnis zur unterdrückten Heimat er wuchs. Gerade in diesem Augenblicke der höchsten Kraft fülle traf ihn, den zarten, äußerst sensiblen Menschen, ein Schicksalsschlag von ausgesprochener Grausamkeit: er ertaubte plötzlich im Jahre 1874. Wie aber das Schick sal auch Beethoven mit dem gleichen Schlag ni< ht niedei I werfen konnte, so meisterte es auch Smetana. Im selben Jahre begann er mit derNiederschrift zu den sinfonischen Dichtungen des sechsteiligen Zyklus „Mein Vaterland". Er arbeitete bis 1879 daran. Vor seinem inneren Ohr wer den Landschaft und Geschichte seines Volkes lebendig, werden dort tönende Wirklichkeit. Selten hat ein Musiker mit solcher Farbigkeit und Bildkraft geschaffen, selten ist aus einer so starken Heimatliebe und Inbrunst zum eigenen Volke und Lande heraus gestaltet worden, selten hat jemand seiner Innigkeit und Sehnsucht besser Aus druck verleihen können, als Smetana in diesem großen sinfonischen Gemälde. Hier scheint eingetreten zu sein, daß ein Kunstwerk ganz Natur wird. Bis heute hat diese sinfonische Dichtung ihren ursprünglichen Reiz bewahrt, ihren Schmelz, ihren morgendlich-jungen Charakter, ihre Frische, ihre Kraft und zugleich unnennbare Süße. Sme tana hat mit seinen Meisterhänden die Zweifel um die umstrittene Gattung Prograinrausik behoben. Bei ihm ist alles richtig, es sitzt alles, es ist alles so natürlich, weil es einmalig in seiner Vollkommenheit ist. Es ist kein Wun der, daß „Mein Vaterland" ein Welterfolg werden mußte. Smetana selbst zerbrach später doch an dem ihm vom Schicksal zugefügten Schlag: der Wahnsinn griff nach ihm, itn Ringen mit diesen Dämonen unterlag er 1882. Als er 1884 starb, betrauerte das tschechische Volk seinen größten Musiker, die Welt einen großen Meister der TooA kunst, der mit den Opern „Die verkaufte Braut", „Li^ bussa“ und dem sinfonischen Zyklus „Mein Vaterland" unsterbliche Werke hinterließ. Johannes Paul Thilman (31227 PI) III 9-5 551 0.92