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PROGRAM MEINFÜHRUNG Als Antonin Dvofäk seine Sinfonie „Aus der Neuen Welt" (Nr. V, c-inoll, op.95) schrieb, ahnte er nicht, daß ihm mit diesem Werk ein wahrhaft volkstümlicher Wurf gelingen sollte. Als Huldigung an Amerika gedacht, das ihm für einige Jahre zur Heimat werden sollte, nimmt er melodische Ele mente aus dem Indianischen auf, verarbeitet errhyth- mische Impulse aus Negro-Spirituals und versucht, ein Abbild des amerikanischen Optimismus dieser Jahre vor der Jahrhundertwende zu geben. Dies gelingt ihm ausgezeichnet. Aber es ist noch mehr in dieser Sinfonie enthalten. Niemals in diesen Jahren, da er Direktor eines amerikanischen Konservatoriums war, hat er seine tschechische Heimat vergessen, niemals hat er sein Heimweh ganz besänftigen können. Und gerade in dieses Werk ist seine Sehn sucht hineingeflossen. Vielleicht liegt in diesen beiden Eigenschaften: in der Darstellung der Kraftfülle eines jungen Kontinents und im Ausdruck weh mütigen Heimwehs nach der alten Heimat das Ge heimnis der großen Wirkung dieser Sinfonie begrün det. Der Bereich des menschlichen Gehaltes dieses Werkesist dadurch sogroß und umfangreich geworden Aber das ist noch nicht alles. Die Alte und die Neue Welt konnte an diesem Werke außerdem noch eine unerhört formale Könnerschaft Dvofäks bewundern. Man vermutet gerade bei ihm, dem Vollblutmusi kant, daß ihm formale Belange nicht so wichtig waren. Und doch ist alles da: die zwei Themen des ersten Satzes und ihre Durchführung, die dreiteilige Liedform des zweiten Satzes mit der wundersamen .Melodie des Englisch Horns, das kapriziöse Scherzo, und das gewichtige Finale, das in der Form des Rondos mit sehr melodiösen Zwischenspielen nieder geschrieben ist. Aber auch das ist noch nicht alles. Gekrönt wird dieses Werk, das so glücklich Inhalt und Form in einen Ausgleich bringt, von der Tat sache, daß alles klingt. Es klingt alles so schön, so hinreißend, so sinnlich, daß man diese Seite der Könnerschaft Dvofäks nicht mehr überhören kann, ja, daß man sie als vorbildlich und nachahmenswert hinstellen muß. Die Sinfonie „Aus der Neuen Welt" mußte ein Wurf sein, weil sie ein vollkommenes Meisterwerk ge worden ist. Und das empfand beglückt die Neue und die Alte Welt und dankte es Dvofäk dadurch, daß sie dieses Werk zu ihrem Liebling erklärte. Und das ehrt beide: Publikum wie Komponist. Mit Armin Schibier (geb. 1920) lernen wir nicht nur einen jungen Schweizer Komponisten kennen, sondern zugleich einen Vertreter jener Generation, die sich dem Erlebnis der Barockmusik ergeben hat. Die so starke Hinneigung zum barocken Musizieren, zum Konzertieren im alten Sinne, wurzelt in der Sehnsucht nach einer einheitlichen Weltanschauung, die viele der jungen Komponisten in solchen Namen wie Bach und Händel zum letzten Male verwirklicht zu finden glaubten. Nun reicht das Barockerlebnis von der bloßen Nachahmung der damaligen Stil elemente bis zur eigenwilligen Nachempfindung der Triebkräfte dieser Musik, und es kommt auf den einzelneh an, ob er sich gegenüber dieser stark uni formen Tonsprache zu behaupten weiß oder nicht. Schibier gehört mit seinem Konzert für Streich orchester, op. 12 a, zu den Persönlichkeiten, die sich ihre Eigentümlichkeiten bewahrt haben. Die maje stätische Einleitung mit ihrem Wechsel zwischen kräftigen Akkordsäulen und melodischer Linie ver mittelt sofort ein Bild der herben und strengen Sprache, die Schibier das ganze Werk hindurch spricht. Das anschließende Allegro deciso ist eine Fuge, die sich in den Schlußtakten zur majestätischen Breite und Wucht des Beginns zurückfindet. Das Adagio entwickelt seinen melodischen Reichtum aus einer einstimmigen Linie des gesamten Orchesters. Dieser Satz gibt einen Begriff von dem innerlichen Reichtum. Armin Schibiers. Der Schlußsatz be schwört eine tänzerisch-virtuose Welt, die das Elastische und Federnde des Sechsachteltaktes ver wirldicht. Das ganze Werk ist dazu angetan, einen Ausspruch Furtwänglers zu unterstreichen: „Schib ier weiß, was er will, und was er will, kann er."