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ALEXANDER BORODIN „Die Fünf“, „ Die Novatoren“ oder „ Das mächtige Häuflein“ wurden die fünf russischen Komponisten genannt, die in engster Zusammenarbeit die eben erst durch Michael Glinka aus dem Zauberschlaf erweckte national-russische Musik, mit Begeisterung fortführten. Klangvolle Namen sind es, die in die Geschichte eingegangen, doch nicht vergessen sind. Alexander Borodin Modest Mussorgski Cesar Cui Mili Balakirew 1834 — 1887 1835 — 1881 1835—1915 1837—1910 Nikolai Rimski-Korssakoff 1844—1908 Einem der „Fünf“, Alexander Borodin, ist anläßlich seines 60. Todestages der heutige Abend gewidmet. Wenn man bedenkt, daß die Geburtsstunde der eigenen national-russischen Musik erst 1836 mit der Aufführung von Glinkas Oper „Iwan Sussanin“ be gonnen hatte, ist es erstaunlich, wie es dieses Land fertig brachte, kaum innerhalb eines Jahrhunderts sich zu einer der bedeutendsten musikalischen Nationen aufzuschwingen. Borodin wurde am 12.Novemberl834 in Petersburg (Leningrad) geboren. Nach dem er Medizin und Chemie studiert hatte, wurde er Militärarzt. Kurz darauf übertrug man ihm eine Professur an der Petersburger (Leningrad) Akademie. Angeregt durch das sich so rasch entwickelnde Musikleben in Rußland, befaßte sich Borodin bald nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch mit der tönen den Kunst. Infolge der engen Freundschaft mit Balakirew konnte Borodin seine musikalische Ausbildung wesentlich erweitern. Durch mehrere Reisen nach Deutschland wurde er mit dem regen deutschen Musikleben vertraut und verdankt diesen Reisen manche künstlerische Anregung. Sein musikalischer Stil jedoch wurde durch diese Reisen nicht beeinflußt. Borodin blieb in seiner Tonsprache ein Eigener, ein Russe. Seine Hauptwerke, Werke die internationale Bedeutung gewannen, sind seine drei Sinfonien Es-dur, h-moll und A-dur, wovon die zuletzt genannte von Glasunow beendet wurde, zwei Streichquartette, A-dur und D-dur, die groß artige sinfonische Dichtung „Steppenskizze aus Mittelasien“ und das be deutendste, die Oper „Fürst Igor“, die noch heute neben Mussorgski’s „Boris- Godunow“ und Tschaikowski’s „Eugen-Onegin“ nicht nur zu den besten, sondern auch zu den nationalsten Opern, Rußlands gehört. — Die weiten Steppen Rußlands, die Menschen in der Einsamkeit mit ihrem wechselvollen Temperament, heute elegisch, morgen übermütig, lustig und froh, die un ermeßlichen Wälder, das Rauschen der großen Flüsse, all das spiegelt die Musik Borodins wider. Schließt man die Augen, so sieht man vor seinem geistigen Auge beim Hören der Werke Borodin’s Rußland wie es wirklich ist, ein naturverbundenes, kraftvolles Volk. Eine der besten Schilderungen der russischen Volksseele sind die „Polowetzer Tänze“ aus „Fürst Igor“. Hoch geehrt, Borodin wurde später noch Vorsitzender des Petersburger (Leningrad) Vereins der Musikfreunde, starb Borodin am 27. Februar 1887 in Petersburg (Leningrad). Das Tor ist für uns wieder offen. Wir können wieder über die Mauer sehen, uns an den Kulturgütern anderer Völker erfreuen und daraus lernen. Gerade die Musik ist eins der besten Bindeglieder der Völker untereinander. Wir wollen das Bindeglied nutzen und uns ein Wort des schwäbischen Dichters Berthold Auerbach zu Herzen nehmen: Musik allein ist die Weltsprache und braucht nicht übersetzt zu werden; denn da spricht Seele zu Seele. Werner Nieblich