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Wie alle Aussprüche des geistvollen Hans v. Bülow ist auch der über Felix Mendelssohn-Bartholdy, er sei „der nächste nach Mozart", mehr bildlich als wörtlich und mit einer gewissen Ein schränkung aufzufassen. Er wollte gewiß nicht Mendelssohn in eine Stellung hinaufloben, die ihm nicht zukommf (es gibt nach Mozart bedeutendere Meister der Tonkunst), er wollte nur das Mozartische in Leben und Werk des Romantikers, den man einen Klassizisten nennen kann, betonen. In der Tat. erinnert viel an Mozart: die vorzügliche geistige und musikalische Erziehung in einem behüteten Elternhaus, die erstaunliche Frühreife, die den 17jährigen Primaner die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum” schreiben ließ, das innige Verhältnis zu einer musikalischen Schwester, die frühen Triumphe im Konzertsaal, das bezwingende Wesen und auch — der frühe Tod. Mendelssohn allerdings — er hieß nicht ohne geheimnisvoll erregende Beziehung zu seinem Schicksal Felix, der Glückliche — war zeitlebens vom Glück begünstigt, anders als Mozart von Leid und Ungemach verschont: vielleicht zahlte er damit, daß er die allerletzte Sprosse die hinaufführf zur Unsterblichkeit, nicht erklimmen konnte . . Wenn die Musikstadf Dresden, einer Anregung Friedhelm Ra- bofskys folgend, die seit der Befreiung aus nazistischer Geistes knechtung erste Wiederkehr von Mendelssohns Geburtstag (er wurde am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren) zum Anlaß nimmt, eine Mendelssohn-Woche zu veranstalten, so soll damit gezeigt werden, welche Unsumme von wertvoller Musik, die in der klassisch-klaren Formung an Mozart heranreicht, zwölf Jahre den Deutschen vorenfhalfen wurde. Vielen von uns werden es vertraute, unvergessene Klänge sein, manchen aber auch, vor allem jungen Menschen, unbekanntes Land, auf dessen Boden sie zum erstenmal den Fuß setzen. E i n Werk ist es vor allem, das ihm — und es würde dieses eine genügen — Unsterblichkeit sichert: jene „Sommernachfsfraum''- Musik, von der Franz Liszt behauptet, sie habe das Bühnen gedicht des großen englischen Dichters der Bühne wiedergewon nen. Mendelssohn hat damit als ein Bruder Carl Maria von Webers (den er glühend verehrte) eines der schönsten Zeugnisse deutscher Waldmusik geschaffen — es ist interessant festzustellen wie er, den die Nazis seiner jüdischen Abstammung wegen aus Deutschland verbannten, immer wieder zu Preis und Ehren des Waldes musiziert. Die Liebe zum Wald ist aber geradezu eine Nationaleigenfümlichkeit der Deutschen. Auch wenn Mendelssohn auf Reisen geht und fremde Landschaften schildert (er ist ein Meister der Landschaffsmalerei!), geht sein Sehnen zurück nach Deutschland, gedenkt er des deutschen Waldes. So in seiner vierten Sinfonie in A-dur, einem Nachklang der italienischen Reise von 1830, die den (auch zeichnerisch begabten und ge bildeten) Musiker mit dem Künstlerkreis der Schadow, Cornelius, Thorwaldsen, Overbeck in Berührung brachte. Deutlich wird dieser Nachhall vor allem im vierten Satz, dessen erstes Thema unschwer als Volkstanz des Südens, als die neapolitanische Tarandella er kennbar ist. Auch über dem ersten Satz liegt der Widerschein italienischer Sonne, während sich in dem schwermütigen lang samen Satz das Heimweh meldet: im dritten sind die Gedanken des Komponisten daheim, im Wiener Ländlerfon des Haupffeiles und erst recht in den Weberischen Hornklängen des Trios. „O Hei mat, alle Wege suchten dich", heißt es in einem Gedicht Johannes R. Bechers, das er in der Verbannung schrieb. . . . AAusikalische Landschaftsschilderung ist auch die dritte Sinfonie, die in a-moll, die „schottische". Das Scherzo knüpft an eine schottische Volksmelodie an, der Komponist selbst hat geäußert, daß ihm die ersten Einfälle zu diesem Werk an den Stätten Maria Stuarts gekommen seien. In ihrer Schwermut, in ihren wie von grauen Nebeln verhangenen Stimmungen hat sie in der Tat ein Kolorit, das an die Melancholie der schottischen Landschaft er innert. Die vier Sätze folgen einander pausenlos, so daß die Sinfonie etwas von einer sinfonischen Dichtung gewinnt, ihr pro grammatischer Charakter wird dadurch unterstrichen. Von den übrigen Sinfonien Mendelssohns kommt noch die zweite (im ganzen schrieb er fünf, die Numerierung entspricht jedoch nicht der Entsfehungszeit!) zur Aufführung. Sie ist, wie Beethovens neunte Sinfonie, eine Mischform aus Sinfonie und Kantate und trägt daher unter dem Titel „Lobgesang” die Bezeichnung „Sin fonie-Kantate nach Worten der heiligen Schrift”. Entstanden 1840 als Beitrag zum Leipziger Gufenbergfesf, gehörte sie einstmals zu