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Beethovens Ouvertüren sind Sinfonien im kleinen, und zwar „Programmsinfonien“ wie die dritte, die fünfte, die neunte. Die „Egmont“-Ouvertüre ist ein Teil der Bühnenmusik, die Beethoven zu Goethes Trauerspiel geschrieben hat. „Aus Liebe zum Dichter“, den er so sehr verehrte, von dem er einmal sagte: „Die Verehrung, Liebe und Hochachtung, welche ich für den einzigen unsterblichen Goethe (Göthe, schrieb Beethoven) von meinen Jüng lingsjahren schon hatte, ist immer mir geblieben, so was läßt sich nicht wohl in Worte fassen, besonders von einem solchen Stümper wie ich, der nur immer gedacht hat, die Töne sich zu eigen zu machen.“ Um so schwerer wiegt das Urteil Marianne von Willemers, der Suleika des „Westöstlichen Divans“, über die Musik zum „Egmont“. Sie schrieb an den Dichter: „Er hat Sie ganz verstanden; ja man darf fast sagen, derselbe Geist, der Ihre Worte beseelte, belebt seine Töne“. Die Ouvertüre charakterisiert in der langsamen Einleitung mit herrisch hingesetzten Akkorden die Despotennatur Albas, der die Geißel über dem niederländischen Volke schwingt. Das Allegro schildert dann den Kampf Egmonts, der das Symbol des unter drückten Volkes, das Symbol der freiheitlichen Gesinnung ist, gegen die brutale Gewalt, deren Motiv immer wieder hereindrängt, zuletzt noch einmal mit herrischer trotziger Ge bärde, als habe sie gesiegt. Aber das folgende Allegro con brio mit seinem gewaltig aus- brechenden Jubel (die „Siegessinfonie“, die Goethe von seinem Musiker verlangt hat) be lehrt uns, daß die Idee der Freiheit ewig ist. So wie das erste Thema des ersten Satzes in der vierten Sinfonie ist das ganze Werk: leicht, heiter, übermütig. Die Romantiker nannten sie die „griechisch-schlanke“. Gewiß spürt man, daß Beethoven in der Zwischenzeit die „Eroica“ geschrieben hat. Die innerliche Größe, die er damit erreichte, ist nicht aufgegeben. Aber sie ist aus dem Monumentalen ins Idyllische gewendet. Das berührt uns besonders anheimelnd im Adagio, das man als den vielleicht schönsten langsamen Satz Beethovens bezeichnen kann. Übermütig gibt sich das Scherzo, das noch wie bei Haydn als Menuett bezeichnet wird. Und der letzte Satz klingt wie Liebesgeflüster, wie heimliche Verabredung, wie Tanz mit der Geliebten, wie ein gra ziöses Sichwiegen im Rhythmus der geschwindzüngigen Instrumente. Man hat den lang samen Satz in Verbindung mit <dem Leb r. BeeWicveus gebracht. Man glaubt in ihm Denkmal für eine Frau, für Beethovens „unsterbliche Geliebte“ sehen zu können. Inter essant zu beobachten, daß diese Deutung bei weitem nicht so populär wurde als die etwa der „Schicksalssinfonie“. Dieses in lichten Farben gehaltene, von Glück überströmte Bild einer Frau paßte aber auch so gar nicht zu dem Mythos, den man um Beethoven, den „hero ischen“, den „einsamen“, den „Sonderling“, gewoben hatte. In Wirklichkeit hatte Beet hoven Glück bei Frauen. Wie weit und bei welchen die Grenzen der Freundschaft über schritten wurden, das wissen wir nicht und es ist gut so. Auch hier ist es ein literarisches Dokument, das uns die Seele des Meisters öffnet, der im Nachlaß gefundene Brief an die „Unsterbliche Geliebte“. Daß er die Frau, die er suchte, nicht gefunden hat, machte ihn nicht verbittert. „Alles Schöne an Ihre Frau, leider habe ich keine. Ich fand nur eine, die ich wohl nie besitzen werde, bin aber deswegen kein Weiberfeind“, schrieb er an Ries. Beethovens Musik ist im Grunde unerotisch. Das schönste Denkmal, das er einer Frau setzte, ist — seine Oper „Fidelio“ — ein Denkmal der Treue. Das Violinkonzert steht in der Mitte zwischen diesen beiden Werken. Es hat als „Kon zert“ die Musizierfreudigkeit der Sinfonie und anderseits bedingt die Behandlung der Vio line durch Beethoven, daß es an seelischem Ausdruck nicht hinter der Ouvertüre zurück steht. Das reiche Gedankenmaterial des ersten Satzes wird zuerst vom Orchester vorgeführt, bis sich dann die Solovioline am „Konzertieren“, an dem Wettstreit der Instrumente be teiligt. Schon hier vermeidet Beethoven alles Virtuose, die Thematik ist von seelenvoller Ge- tragenheit. So kann man kaum von einem ersten und zweiten Thema sprechen, eher von zwei Gesangsthemen, wie es eben dem Charakter des Soloinstruments, der Geige, entspricht. Der langsame Satz ist erst recht ein einziger Wechselgesang zwischen Orchester und Solo violine. Erst das Schlußrondo bringt einen virtuosen Zug in das Werk. Der lebhafte Sechs- Achtel-Rhythmus des Hauptthemas, die beweglichen Sechzehntel-Figuren der Zwischen themen bringen das ohne weiteres mit sich. Dr. Karl Laux