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und mit einem chromatischen Terzengang der Holzbläser und Violinen entflieht die Seele aufwärts ins All. (Wieder schildert uns Strauß, wie auch im jüngst gehörten ,,Till Eulen spiegel“, das En tseeltwerden, diesmal aber nicht ironisch-grotesk wie im,,Till“.) Das Tamtam symbolisiert mit seinem unheimlichen Klang den Ernst der Stunde. (Dritter Teil.) Der letzte (vierte) Teil wird von dem Erlösungsmotiv beherrscht, das in dritter Wandlung seiner Bedeutung nun zum Motiv der Verklärung wird. Zugleich aber ertönt auch das Kind heitsmotiv, das man hier mit viel Berechtigung als das Motiv der ewigen Jugend gedeutet hat. Von besonderer Schönheit ist der Ausklang des Werkes, wo noch einmal das Motiv der Verklärung erklingt, diesmal aber nicht in der sieghaften reinen Harmonik wie bisher, son dern mit schmerzlich-herben Vorhalten (As-Dur, a-Moll und C-Dur), die die gewohnten Deutungen von einem ,,machtvollen“, einem „hymnischen“ Ausklang eigentlich Lügen strafen. Das klingt eher wie schmerzlicher Verzicht. Es steht außer allem Zweifel, daß Strauß mit „Tod und Verklärung“ reine Programm musik geschaffen hat. Denn er schildert einen Vorgang aus dem Leben, man kann diese Tondichtung an Hand eines Programms von der ersten bis zur letzten Note verfolgen. Auf der andern Seite aber ist schon früheren Betrachtern aufgefallen, daß das Werk sich der Sinfonieform nähert, das heißt ein von Introduktion und Epilog eingeschlossener Sinfonie satz ist. Damit wird ein Vorwurf entkräftet, der so oft der Programmusik gegenüber erhoben wird, und den der I-Ialbjude Hanslick, der ewige Widersacher der deutschen Musik, der Gegner Wagners und Bruckners, in die Worte kleidete, Strauß komponiere „mit poetischen statt mit musikalischen Elementen“ und er nehme „durch seine Emanzipation von der musi kalischen Logik eine Stellung mehr neben als in der Musik“ ein. Es gibt eben, vorausgesetzt, daß dem Komponisten etwas einfällt, keine unmusikalische Musik. Wir kommen dem Problem an Hand des „Hymnus für Orchester“ des Schweizer Kom ponisten Willy Burkhard genau von der entgegengesetzten Seite her bei. Zunächst etwas über den Komponisten. Burkhard wurde am 17. April 1900 in Leubringen über dem Bieler-See geboren. Er studierte nach Absolvierung eines bernischen Lehrerseminars in Leipzig bei Karg-Elert und Teichmüller (1920—21) und später noch in München bei Courvoisier (1921—24). Später war er in Bern als Lehrer für Klavierspiel und Theorie (seit 192S auch am Konservatorium) tätig. Er gehört mit dem 1901 geborenen Conrad Beck und dem 1897 geborenen Albert Moeschinger zu den meist aufgeführten Schweizer Komponisten der mittleren Generation. (Die junge Generation wird durch den begabten Heinrich Suter meister repräsentiert). Neben Chor- und Orgelwerken hat Burkhard eine Sinfonie und ein Streichquartett veröffentlicht, die durch ihre kühne neue Sprache, ihre prachtvolle Poly- phonie von sich reden machten. Der Unterschied zwischen Strauß und Burkhard, zwischen den Generationen, ist eine Schwerpunktsverlagerung. Auch die beiden Sätze des Jüngeren tragen Überschriften. Auch sie sind mit Versen „erläutert“. Aber während Strauß schildert, sieht Burkhard davon ganz ab. „Der Tag“, „Die Nacht“, das könnten Vorwürfe für Orchestergemälde sein. Hier aber liegt der Unterschied: Burkhard stellt die musikalischen Elemente in den Vordergrund und läßt die poetischen zurücktreten. Bei Strauß stellt man hinterher fest, daß seine Ton dichtung „eigentlich“ eine Sinfonie sei. Beim Anhören des Burkhardschen Werkes hört man vor allem das musikalische Geschehen (was der Komponist durch das Beiwort „Präludium“ deutlich macht) und kommt hinterher auf den Gedanken, tondichterische Elemente zu rekonstruieren. Weil für Burkhard die musikalischen Gesetze, die Gesetze der musikalischen Logik die ausschlaggebenden sind, ist es schwer, mit Worten (ohne Notenbeispiele) etwas über das Werk auszusagen. Der Hörer entnehme den manchmal ungewohnten kühnen Klängen des ersten Satzes die „Idee“ des Tages, strahlendes Licht, Kampf, Daseinsfreude, helle Bereit schaft zum Leben, und den dunklen Farben des zweiten Teiles die „Idee“ der Nacht, das Geheimnisvolle, das Unaussprechliche, wie es Novalis in seinen „Hymnen an die Nacht“, die eigentliche Göttin der deutschen Romantik, ausgedrückt hat. Zwischen diesen beiden Werken steht das Klavierkonzert von Tschaikowsky, als „Konzert“ die absoluteste absolute Musik, die nichts ausdrücken will, ein Spiel der Kräfte, des Soloklaviers und des Orchesters Dr. Karl LauX.