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Josef Haydns „Glocken-Sinfonie" Nr. 4 in D-Dur Unter Eingeweihten ist es längst kein Geheimnis mehr, daß Josef Haydn, der älteste unserer drei klassischen Meister, die große Entdeckung der kommenden Jahre sein wird. Er ist heute eigentlich dem großen Publikum noch wenig, auf Jeden Fall oiel zuwenig bekannt. Man weiß, daß er die Melodie des Deutsdilaad-Liedes gefunden, daß er in seinen großen Ora torien einige schöne Arien komponiert und in der Sinfonie mit dem Paukenschlag die eingeschlafenen Londoner unzart geweckt und geneckt hat. Daß er der „Vater der Sinfonie“ genannt wird, weiß man vielleicht vom Hörensagen. Ueber das „Warum“ herrscht Unwissenheit. Und doch war er einer der ganz Großen, einer jener einmaligen Geister, die das Ge sicht einer Epoche bestimmen. Wie hätte Beethoven seine Sinfonien schreiben kön nen, wenn er nicht Haydns „Russisdie Quartette“ gekannt hätte, in denen das Prinzip der thematischen Arbeit in der Durchführung zum ersten Male bewußt an gewandt wurde. Daß Beethoven späterhin' weit über Haydn hinaus gelangte, nadi der Richtung einer grenzenlosen Vertiefung und Vergeistigung des musikalischen Aus drucks — steht auf einem anderen Blatte. Haydn aber legte den Grund für den Wunderbau der großen Instrumentalmusik. Er befreite sie von den Fesseln der zopfig- galanten und der affektierten Empfindsam keit. Er gab ihr die freie Sprache des künstlerisch gebändigten Gefühls. Gerade die „Vierte“ Haydns in D-Dur — „Glodcen-Sinfonie“ oder „Die Uhr“ (the clock) wegen des tickenden Begleitmotivs der Fagotte im Andante genannt — zeigt den Meister in höchster Form. .,Weim das ganze Werk aus einem Guß ist, ist es eben nadi einer Idee geformt und alle müssen bestrebt sein, diese Einheit Ereignis werden zu lassen.“ Diese Worte Verdis diarakterisieren diese Sinfonie. Es ist ein „aus einer Idee ge formtes“ Werk „aus einem Guß“. Es ge hört in Hadyns Londoner Zeit, in die Jahre seines geschichtlich bedeutendsten Schaffens. Eine Schöpfung von unerhörter Eingebung und Vitalität. Das Werk ist, wie fast alle Haydnsdien Sinfonien, ungemein klar in der Struktur und dem organisdien Aufbau, die Instrumentation ganz durchsiditig und doch voll, die Thematik denkbar einfach und dodi von sprühendem Geiste. Eine Fülle musikalischer Einfälle — wie eben gerade in dem höfig-humorigen Andante satz, dem die Sinfonie ihren Namen ver dankt — prägt sich darin aus. Wenn man diese Sinfonie hört, ist es einem sdiier unbegreiflich, daß man einen solchen Könner und Meister jahrzehnte lang vernachlässigen, ja fast vergessen konnte über sehr problematischem Neu- tönertum. Max Reg er s „Böcklin- Suite Vier Tondichtungen nadi Bildern ’ von Arnold Bödclin (opus 128) Reger als „Programmusiker“! Als diese Suite erschien, wirkte sie 'bei ihrer Urauf führung in Essen (unter des Komponisten Dirigentenstab) wie eine Sensation. Man fragte sidi: Ist Reger des trockenen, ge lehrten Tones überdrüssig geworden, machte er eine entscheidende Schwenkung, hat er die Basis seiner künstlerischen Anschauung verändert? Oder sollte das nur eine kleine Extratour, ein kleiner Ferienabstecher in fremdes Gebiet (des .jRosenkavalier“-Strauß des Neoimpressionisten Debussy) sein? — Die Zeit lehrte, daß sich Reger länger als er wartet in diesem Gebiet aufhielt. Seine „romantische“ und seine „Ballett-Suite“ l>e- weisen es. Auf jeden Fall bedeutete dieser Regersche „Böcklin“ eine Kollision zwischen des Komponisten Eigenart und der Modernen — die allerdings auch sdion Mode von gestern geworden ist. Einen Vorteil freilidi gewann sidi Reger aus dem programmati schen Vorwurf: den Vorteil eines für seine Verhältnisse ungewohnt farbigen Instru mentationsantriebes. Reger instrumentiert hier zum ersten Male modern — so wie er, der gewaltige Kontrapuiiktler und sucherische Modulationsharmonikcr, in den kleinen Suite-Formen umgänglicher wird, —- allerdings ohne den Ernst aufzugeben. Nur gelegentlidi läßt er sich durdi das „Genre“ zu ordiestralen Effekten um ihrer selbst willen verleiten oder assimiliert seinem an Badi und Brahms inspirierten massigen Musik-Deutsch leichterwiegende romanisdie Einflüsse. So bringt denn auch diese Regersche „Programmusik“ keine deskriptive Musik.