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Die IX. Symphonie von Bruckner- 3ur Srudner»5eier von Genetalmufilbirefior ©buarb SRörife. „3d) lebe mein ßeben in wad)fenben Gingen, bie fid) über bie Singe aießn. 3d) werbe ben lebten vielleicht nid) {vollbringen, aber verfucßen will id) ißn. 3d, treife um ©ott, um ben uralten Turm unb id) treife jaßrtaufenbe lang; unb Ich weiß noch nid)t: bin id) ein Saite, ein Sturm ober ein großer ®efang . . ." jo Hingt unb fdjwingt’s in 'Hainer SJlaria Kiltes Stunbenbud). Unb mit ihrem Schwingen unb Singen follen biefe Kerfe ben ©eleitfpr ud) geben über Brucfners IX. Symphonie unb fein Te deuni. 3a, ber Kleifter, ber fd)lid)te bemütige ©ottesbiener, bet fülle '.Beter im füllen Stift gu St. glorian, bas Kinb feines i)err» gottes, ift in biefem SBert nur noch ein großer ©efang. Hießt mehr gälte, ber aielbewufet am blauigen ätßerge» fpannten Fimmel auf bas fd)arf erfaßte $iel nieberftöfet, — nidjt mehr Sturm, ber mit Braufen wie taufenb I)tmmlifcfye Dr» geln, tünbet bie 3Racßt bes Scßöpfers, bie ftets neu erfcßaffenb ift, wie am erften Sag — nein, nur ein großer ©efang. Kber ein ©efang von unenblicßem ßeiben, ein ©efang von einem 2ßei» fen, als ob ber liebe ®ott geftorben märe. ©in Sefang eines 'Blenfdjenßeraens, bas gelebt unb gelitten, gebulbet u. getämpft, gehofft unb entfagt, gebebt unb froßlocft, gejaueßat unb getla» get, verjagt unb gebetet hat. ®tn ©efang ©ines, ber ßeimgefunben borthin, roo alle Qual fcßlummert, wo grieben weilt unb Tränen trotfnen. (Jin ©efang ©ines, ber betannt: Homo sum! 3d) bin ein 9Renfd)! ©s ift vollbracht! Das ift bie IX. Stjmphonie. Das legte äöert bes fcßltcßten ©ottesbieners. Seine Bebens» beichte, fein 'Betenntnis, fein „2Ibfd)ieb vom ßeben", wie feine rjanb am Raube ßinfeßrieb. Drei Säge finb ber 3Renfchßeit gefeßentt. Sewaltig groß, wie eine öralsburg auf 'JJlontfalvats ijößen. 3m 3rbif<ßcn wurjelnb bis in weitefte Seitenfernen fid) erftrectenb, wie bie girnen unb ©letfcßer, beren weiß»fd)immernbe Kronen ben Stufe ber ewigen Sonne erhalten. 3nnerlüß burcßlebt wie bas fjei- lige Baterunfer eines Heuigen. Sffieitfcßweifenbe Bogen fpan» nenb, jufammenraffenb ju einer Kuppel, gewaltiger als bie bes KHcßelangelo ju Eßren bes ijeiligen Beter auf ben fieben Sjügeln ber ewigen Stabt. Unb boeß bas 2ßert nidjt vollenbet. greunb 5>ein nahm ihm ben ©riffel aus ber nimmermüben Jjanb. Unvoüenbet! Sännen wir begreifen, was ber Titan hätte als Sdjlufeftein auftürmen wollen? — Kein! Denn überwältigenb fteßt bas Un« üoüenbcte vollenbet vor uns. ©in heiliges ©rfeßauern erfafet uns mit bem 'Beginn. Denn in buntlem XRifteriofoton eraittern unb tremolieren bie Strei» djer. 2luf biefem Untergrunb ertlingen feierlich 8 fjörner, au» erft in bem 3ntervall ber Tera, bann ber Quinte — eine Borwelt empfängt uns — noch ertlingt nicht bas Jjaupttßema. SBoßl wenben fid) bie fjörner, mit einer energifdjen $jarmonie»!Ißen= bung, traftooll ber S)öt)e au, aber noch rtnat ber erbengebunbene URenfd) mit bem 2lnblict bes ßimmlifdjen Richters. Sdjmeravoll tlagt ein furaes ©eigenmotiv. Dod) ber 'Blicf öffnet fid) aur höße, „als wenn brüber wär . . ." ba eine Steigerung, ein Hingen, ein promethibenhaftes Kämpfen — im ©intlang bes gefamten Qrcßefters fteht bas f)aupttßema in übermenfchlidjer ®röße vor uns. Der ©ott bes alten Teftamentes, ber bonnergewaltige 3e» hova vom 'Berge 5)oreb, ber flammenbe Ricßter forbert vor bem ewigen Ridjterftußl. ©ine bange Stille. gureßtfam Hingen bie Biccicati ber Streicher, währenb ein fd)meravolles Stöhnen ber Jjoljbläfer bie Stille belebt. Die flagenben Stimmen ver» hauchen. Das aroeite Thema! Die erften ©eigen fingen es. Singen unb fagen von barmßeraiger, alles veraeihenber ©ottesliebe. nicht ber ftrafenbe ©ott, fonbern ber ßimmllfcße Kater, beffen Sohnesblut am Kreua von ©olgatßa in mitleibsvoller ßiebe floß, empfängt bie irrenbe Seele. Unfagbar fd)ön fingt bas Thema, hinftrömenb voll Cmpfinbung, verfößnenb unb erlöfenb Hingt ber ©efang, um in friebvoller Stille au vertlingen. Das britte Thema fcßliefet fid? an. 2Boßl im buntlen D»moll, wie anfangs, aber voll ftiHer Ergebenheit. 3n fid) gelehrt, burdjflutet von tiefem, füfeem ©mpfinben. Sdjwärmerifd), innig leudjtet eine aarte Wtelobie auf. Damit ift bas gefamte tßemaüfcße 2Raterial gefunben, wel» eßes nun in 'Brucfnerfcßer SReifterfcßaft verarbeitet wirb, jeber Stimmung willfährig. Reue Unwetter, Kämpfe ber Kerjweif» lung, troftlofe Riebergefcßlagenßeit, fcßmeraoolle Betrübnis, — um am Schluß bes erften Sages aum erften Thema in unver» änberter ©eftalt aurüctauteßren. Unb ber jjerr ftreefte bie fjanb aus, ba erbebten bie Erben in ihren geften. ©in hartes ßs»bur ber Trompeten fteht biffo» nierenb auf bem D=moU bes j)aupttßemas, um in ben leeren Quintatforb ber fjaupttonart fid) aufaulöfen. Keine Befreiung. Keine ©rlöfung. 3d) bin ber f)err Sebaotß! ©in SRenfcß ßat mit feinem Sott gerungen. 3m Staube liegt ber ÜBurm. „Entbehren follft bu! Sollft entbehren!" 2. Sag. Sdjerao. „Kinber, (ernt bod) über eud) hinweg lachen! 3d) fpraeß bas Bachen heilig!" Diefes heilige Sachen 3aratßuftras erfüllt biefen genialen Sag. Urfräfte ftürmen baher. Berwegene 2lt» torbbitbungen burtßeilen bas Drdjefter. Keine Bauern='Rßi?tß» men, wie oft bei Brucfner, ein phantaftifches ßebensftiürf. „®enn ißr’s nidjt fühlt, ihr werbefs nicht erjagen." 3. Safe. 2Ibagio. ©in Epilog eines Schaffens. Der 2lbgang eines Ktenfcßen, ber bereits im Sinne von Rooalis auf ben ©renagebirgen fteht unb hinüberfchaut in jenes Banb, in bem nicht bas ßicf)t ber Un» raft häuft. Der Kbgefang eines Belabenen, ber fein Kreua ge» tragen, feinen ßeibensweg burchfdjritten hat, angelangt auf feinem ©olgatha — Kater, Dein UBille gefchefee! Unb alles, wie es tarn, fegnet er als göttliche Begnabigung. ©infam, von ber Ußelt unb ihrem ßidjt verlafjen, fteht ber SRenfd) mit feinem Kreuj. Unb bie einfamfte Tlufit ertlingt, bie je gefungen worben ift. Sdjmerairrenb, heraverrounbet, weh» aerriffen, tlagt bas erfte Thema in ben ©eigen, ©in Kreis voll 3ammer, eine ©eit voll Sdjmeraen öffnet fid) — ba (eudjtenbe Trompetentlänge, wie eine fdjmeraerlöfenbe Berheifeung, ftrahlt bas weiche D»bur, um fich bann in Kertlärungshöhen au per» lieren. Dann ein fdjmeraoolMeibenfchaftlicher äluffchwung, um überauleiten au bem friebvollen Safe ber Tuben u. i)örner, mel» d)en Brucfner felbft mit „2lbfd)ieb vom ßeben" beaeichnet hüt. ©in brittes Thema hebt an. Die ©eigen tragen es im wet= d)en 2Is»bur. SBonne ber Sffieljmut. Die ®teland)olien ber ®r= lebniffe fließen aufammen. 3mmer fteigen bie Streicher, um djoralmäfeig non ben Römern abgelöft au werben. Unb wieber bas erfte Thema. Run aber in funftvollfter Berarbeitung. ®e- waltig ertlingen bie Blechbläfer. Miserere nobis! Dona pacem flehen bie Streicher. Da wirb bie ©renae aum legten grieben überfchritten. i)ol3bläfer unb Tuben, Bofaunen, Trompeten — ein großes Qrgelroerf — intonieren ein djoralartiges Schluß» thema. Rußiger, burdjfidjtiger werben bie Slttorbe. ßidjte Harmonien fteigen herab. 3m friebvollen S»bur löft bie ®r» löfung aus. Kbgewot]\n ift ber Grbe Bürbe, losgelöft von allem 3rbi» fdjen ftrebt bie Seele ihrer f)eimat gut Der Sag ift 31t ©nbe! $u einem ©nbe geführt, baß bie ©orte 5)ebbels umfaßt: „Schlafen, fdjlafen, nichts als fdjlafen! Kein ©rwaeßen, feinen Traum! 3ener Sßeßen, bie mich trafen, ßeifeftes ©rinnern taum, Daß icß, wenn bes ßebens gülle Rlebertlingt in meine Ruh’, Rur nod) Üefer mich verhülle, gefter ju bie Bugen tu.