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2. Wagner „Die Frist ist um“ aus Der fliegende Holländer Die Frist ist um, und abermals verstrichen Sind sieben Jahr’. — Voll Ueberdruß wirft mich Das Meer ans Land . . . Ha, -stolzer Ozean! In kurzer Frist sollst du mich wieder tragen! Dein Trotz ist beugsam, — doch ewig meine Qual! — — Das Heil, das auf dem Land ich suche, nie Werd’ ich es finden! — Euch, des Weltmeers Fluten, Bleib’ ich getreu, bis eure letzte Welle Sich bricht, und euer letztes Naß versiegt! — — Wie oft in Meeres tiefsten Schlund Stürzt’ ich voll Sehnsucht mich hinab: — Doch ach! den Tod, ich fand ihn nicht! Da, wo der Schiffe furchtbar Grab, Trieb mein Schiff ich zum Klippengrund, — Doch ach! mein Grab, es schloß sich nicht! — Verhöhnend droht ich dem Piraten, Im wilden Kampfe hofft’ ich Tod, „Hier“ — rief ich — „zeige deine Taten! Von Schätzen voll ist Schiff und Boot,“ — Doch ach! des Meer’s barbar’scher Sohn Schlägt bang das Kreuz und flieht davon. — — Wie oft in Meeres tiefsten Schlund Stürzt’ ich voll Sehnsucht mich hinab. — Doch ach! den Tod, ich fand ihn nicht! Da, wo der Schiffe furchtbar Grab, Trieb mein Schiff ich zum Klippengrund, — Nirgends ein Grab! Niemals der Tod! Dies der Verdammnis Schreckgebot. — — Dich frage ich, gepries’ner Engel Gottes, Der meines Heils Bedingung mir gewann: War ich Unsel’ger Spielwerk deines Spottes, Als die Erlösung du mir zeigtest an? — Vergeb’ne Hoffnung! Furchtbar eitler Wahn! Um ew’ge Treu’ auf Erden — ist’s getan! — Nur eine Hoffnung soll mir bleiben, Nur eine unerschüttert stehn: So lang’ der Erde Keime treiben, So muß sie doch zugrunde gehn. , Tag des Gerichts! Jüngster Tag! Wann brichst du an in meine Nacht? Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, Mit dem die Welt zusammenkracht? Wann alle Toten auferstehn, Dann werde ich in Nichts vergehn. Ihr Welten, endet euren Lauf! Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf! 3. Eugen Schmitz Ritter Olaf, Ballade I. Vor dem Dome stehn zwei Männer, Tragen beide rote Röcke, Und der eine ist der König Und der Henker ist der andre. Und zum Henker spricht der König: „Am Gesang der Pfaffen merk ich, Daß zu Ende schon die Trauung, Halt bereit dein gutes Richtbeil!“ Glockenklang und Orgelrauschen Und das Volk strömt aus der Kirche; Bunter Festzug, in der Mitte Die geschmückten Neuvermählten. Leichenblaß und bang und traurig Schaut die holde Königstochter. Keck und heiter schaut Herr Olaf Und sein roter Mund der lächelt. Und mit lächelnd rotem Munde Spricht er zu dem finstern König: „Guten Morgen, Schwiegervater, Heut ist dir mein Haupt verfallen, Sterben soll ich heut. O laß mich nur bis Mitternacht noch leben, Daß ich meine Hochzeit feire Bei Bankett und Fackeltänzen. Laß mich leben bis geleert der letzte Becher, Bis der letzte Tanz getanzt ist; Laß bis Mitternacht mich leben!“ Und zum Henker spricht der König: „Unserm Eidam sei gefristet Bis um Mitternacht sein Leben, Halt bereit dein gutes Richtbeil!“ — II. Herr Olaf sitzt beim Hochzeitsschmaus, Er trinkt den letzten Becher aus. An seiner Schulter lehnt Sein Weib und stöhnt: „Der Henker steht vor der Tür.“ Der Reigen beginnt und Herr Olaf umfaßt Sein junges Weib mit wilder Hast. Sie tanzen beim Fackelglanz Den letzten Tanz. Der Henker steht vor der Tür. Die Geigen geben so lustigen Klang, Die Flöten seufzen so traurig und bang. Wer die beiden tanzen sieht, Dem erbebt das Gemüt, Der Henker steht vor der Tür. Und wie sie tanzen im dröhnenden Saal, Herr Olaf flüstert zu seinem Gemahl: „Du weißt nicht, wie lieb ich dich hab — So schwarz ist das Grab“ — Der Henker steht vor der Tür. III. Herr Olaf, es ist Mitternacht, Dein Leben ist verflossen! Du hattest eines Fürsten Kind In freier Lust genossen. Die Mönche murmeln das Totengebet. Der Mann im roten Rocke, Er steht mit seinem blanken Beil Schon vor dem schwarzen Blocke. Herr Olaf steigt in den Hof hinab, Da blinken viel Schwerter und Lichter. Es lächelt des Ritters roter Mund, Mit lächelndem Munde spricht er: „Ich segne die Sonne, ich segne den Mond Und die Stern’, die am Himmel schweifen; Ich segne auch die Vögelein, Die in den Lüften pfeifen. Ich segne das Meer, ich segne das Land Und die Blumen auf der Aue, Ich segne die Veilchen, sie sind so sanft, Wie die Augen meiner Fraue. Ihr Veilchenaugen meiner Frau, Durch euch verlier ich mein Leben. Doch seg’n ich den Hollunderbaum, Wo du dich mir ergeben!“ Heinrich Heine