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Täglich früh 7 Uhr. Inserate wrrdrn angr»omm«„: dis Abends ü, Lomit«aSr biö Mittags 12 Uhr Marirnstratzei»; in Neustadt: Buchdruckerei von Joh. PLßler» gr. Klostergasse a Anzeigen io dies. Blatte finden eine erfolgreiche Verbreitung. Austaner »V,««« Exemplare. Tageblatt für Unterhaltung and Geschäftsverkehr. Druck und Eigenthum der Herausgeber: Liepsch k Reichardt. — Verantwortlicher Nedacteur: Julius Reichardt /öounemevt: BierteljLhrlich 26 Ngr. bei unentgtldlicherLit- serung tn'e Hau«. Durch dir -vnigl. Post vierteljLhrl. 2ip/»Ngr. Einzelne Nummrm 1 Ngr. Inseratenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: 1 Rgr. Unter „Singefandt" dir Zeile 2 Ngr. Nr.:kI4. Fünfzehnter Jahrgang: Mitredacteur: Theodor Drobisch. Donnerstag: 1V. November 1870. Drcötcn. 10. November. — Heute gehen in fünf besondere Lowrvö jene Liebesgaben für die Soldaten in'ö Feld von Dresden ab, welche bekanntlich durch die bekränzte» Sammelwagen unter obligater Trompetcn- mciodie zusammcngcbracht wurden. Die Herren Kauflcute Schlüter und Krüger, sowie Weinhüntler Kimme! begleiten den Transport, dessen Lvwrv's mit besonderen Plakaten signirt sind. — Bon der Festung KSnigstcin sind in einer der letzten Nächte drei französiscvc Gefangene entsprungen, die in sebr wag halsiger Weise sich mittelst einer Leine an der separaten Fried- richsburg bcruntcrgelaffcn und dann das Weite gesucht haben. Schon in Mardorf in Bölnnen aber wurden sie von einem Gcnödarm ergriffen, woraus ipr Weitertransport nach Wien er folgte. Sie werden von Oesterreich an Frankreich auögclicscrt. ^ Der Durchzug gefangener Franzosen dauert fort. Gestern Morgen gingen 2(»oo Mann unter Bedeckung von 2 Osflcicrcn und 4t Mann Preußen nach Neisse durch. Die Gefangenen gehörten der Kaisergarte an und hinterlicßen einen durchaus stattlichen Eindruck, der wenig mehr von den Entbehrungen er kennen ließ, welche sie erduldet hatten. Kurze Zeit daraus traf ein Krankenzug mit Preußen ein, welcher 150 Mann »ach Licg- nitz, loo nach Görlitz und 20 nach Zittau weiter spedirtc. Weiter ist gestern Abend ein bei Sedan schwer verwundeter und seit- dem amvutirtcr preußischer Fahndrick', v. Notbkirch, unter der treuen Obhut seines Paters cingctroffcn. Derselbe ging, nach dem er vier übernachtete, »ach Schlesien weiter. <Dr. I.s — Daß selbst die Soldaten im Felde sich an den Wohl- thätigkeltowcrkcn in der Hcimath bctbciligcn, beweist der Brief cincö in Cave vor Paris stehenden Soldaten dcö Negimcntv ?!r. 105, der dritten Compagnie, auö Laudcgast, den bis jetzt die feindlichen Kugeln verschont. Um nun auch ein Scherslein zum Vesten der Verwundete» darzubringen. nebenbei seinem kleinen zurückgclasscnen Söhnchcn Mar eine Freude zu bereiten, hat der Brave an die Inhaber der hiesigen Industrie-Autzstcll- nng in der alten Bildergalerie, an die Herren Kühne! und Wcitzmann, die ja bekanntlich eine patriotische Verloosung be absichtigen , 10 Ngr. sür ein Loos cingcsendet, mit der Bitte, dasselbe dem „Lohn dcö Landwchrmannö" nach Laubcgast zu senden. Mögen diese Zeilen, sobald sic in Frankreich dem Tapfe ren zu Gesicht kommen, ihm alö Quittung über den Empfang gelten. — „Es wäre eine Lüge, wenn ich von bitterem Loose schriebe. Mir gel t cs ganz vorzüglich, Gott sei Dank!" — So endet der "or uns liegende Feldpostbrief cincö sächsischen Soldaten vor 'Es. in welchem er in gcmütblichcr Weise am :u. Octobcr der LZnigen gedacht und nicht genug die Freude schildern kann, als „laur BNel'i" die Kunde von der Eapttulation der Festung Metz in'ö Lager .Langte. Ein herzinniges „Nun tanket Alle Gott"! war taS Elfte, o as die Mannschaften sagten und sangen, da sie wohl daran dachte», daß es nun schärfer au> Paris und schäncr auf taSEnde des Feldzuges losgchcn würde. De Mar ketender machten glänzende Geschälte, die Feldflaschen wurden nicht leer und im Schlosse zu Elichh wurde die Siegesfeier arrangirt. Die Leute wohnen dort wie die Grafen. Das lau nige Schicksal hat die ärmsten Soldaten in die prunIvoMen Salons geworfen. Fünfundzwanzig Mann logircn im pracht voll dccorirtcn Billard- und Spm'csaai im Schloß Elichv. Ein Soldat, der nebenbei sächsisch,«' Volksschullchrcr ist, mußte am dem Pianoforte zum Tnnze aufspiclcn, der bis spät in die Nacht hinein die Beine in Schwung erhielt unk weit hinaus klang mitten hindurch: „Lieb' Vaterland, kannst ruhig sein!" Am sel bigen Tage wurde ein Mobilgardistc gefangen, der in Paris cocr die Capitulation von Metz gewußt, als die deutschen Trup pen vor Paris. Er erzählte, daß cs in Paris an Allem mangele. 'Aus Befragen, wie er übcr,,Napolium" denke, malte er in sein Notizbuch einen Esel und schrieb darüber. Der Brief crzihlt aui'ö Neue, daß an Fleisch, Brot, Salz, Kartoffeln, mafsce, Erbswurst, Reis und 'Nudeln re. kein Mangel ist. — Während bereits mehreren Acrztcn daö eiserne Kreuz mit der Berechtigung verliehen worden ist, cs am schwarzwcißc» Bande zu tragen, soll jetzt, wie die „Ger. Ztg." einem Feldpost briefe entnimmt, laut höherer Ordre den Acrztcn der 'Armee das eiserne Kreuz nur am weißen Bande verlieben werden. Oer Gcncvalarzt dcö sächsischen Armee-Corps, I)r. Notb, soll infolge dessen daö ihm verliehene eiserne Kreuz am weißen Bande wieder zurückgcschickt habe», weil er cs nicht sür annehm bar erachtet hat, daß den Acrztcn, welche im Feuer gewesen sind, mit ihren Truppen dasselbe Band verlieben werde, wie den Post- und Proviantbcainkcn, welche nicht einmal sin die Nähe dcö feindlichen Feuers gekommen sind, während die Main-Offiziere, sowie sämmtlichc Lazarcthgchilscn, die unter den 'Augen der Acrzte verbunden haben, das schwarzwcißc Bant für Eombattantcn erhalten haben. — Bon der Feldpost „Befinden gut" — so beginnt ein Brief aus SoissonS und so beginnen und enden sic wohl jetzt alle die gcpflügeltcn Boten aus Feindesland. Nur die FranctireurS machen die Verhältnisse mitunter unbeaucm, waö allerdings mit Pulver und Blei bestraft wird. So am I. No vember, alö die 12. Compagnie dcö Regiments 100 zwei Franc- tircurö, ferner einen auf Ehrenwort entlassenen »nd wieder ge kangencn Osstzier und noch einen Mobilgartistcn aus dem Walde von Villcrs-Eottcrctö geknebelt ins O.uarticr brachte. Dic Frci- sctxirlcr endeten nach dem kriegsgerichtlichen Urthcil alöbald aus dem Sandhaufen 'Nachmittags halb 1 Uhr in den Wall gräben der Festung. Ein halbe Compagnie des Landwchr- bataillonö Landöbcrg Nr. 8 gab ihnen die letzten Salven, die nun freilich keine Ehrensalve war. Der wortbrüchige Offizier wurde an daö Generalcommando zu Rheims abgclicicrt. lieber die Erecution In Bezug auf die bcidm Freischärler erzählt uns unser Corrcspondcnt Folgendes: „Mittags halb 2 Uhr gingen vom Staböauartier des oben genannten Bataillons 8 Mann Pionniere mit dem Major und Bataillonöcommandantcn aus die nordöstliche Seite der Festung, erschlossen den Durchgang und gruben auf der äußeren Seite des Walles ein reichlich tt Ellen langes und 2V« Ellen breitcö Loch, daö Grab der Ver brecher. ES waren 2 junge, schöne, kräftige Gestalten, der eine ungefähr 18, der andere 2t'» Jahre alt. Die Mutter dcö einen, die Frau des andere» standen vor der Conunantantur weinend und waren nickst von der Stelle zu bringen. Fast unbemerkt wurden die Gefangenen durch ein Hinterpförtchen an Ort und Stelle gebracht. Der Adjutant trat mit einem Geistlichen ein, welch letzterer längere Zeit mit de» Deligucntcn sprach, wäh rend der Osstzier „laden" und „Gewehr ab" machen ließ. Ein Unterofizicr verband den Beiden die Augen und führte sie aus ihren Platz. Der Jüngere ging festen Schrittes seinen letzten Weg, der Acltcre zitterte vor Todesangst und mußte fast mit Gewalt geführt werden. Sie mußten dicht am Grabe niedcr- kniecn. „Cbargirt! legt an! Feuer! Beide sanken^ jeder von 0 Kugeln getroffen in s Grab. Der Acltcre war, seiner un- ruhigen Haltung wegen, nicht ganz tödtlich getroffen, cin Lank- wehrmaun sendete ihn» noch eine Kugel in den Kops — immer noch regte er sich, biö eine letzte Kugel in die Stirn endlich alles Leben nahm. Selbst die fremden Soldaten waren von der Scene tief ergriffen. Man wird aber die Strafen gerecht finden, wenn man weiß, wie diese FranctireurS aus dem Hinterhalt aus die deutschen Soldaten schießen; erst am Tage vorher hatten ihre Collcgen 2 Pionniere, einen Soldaten und einen Otstcier schwer verwundet. — In den Ortschaften St. Pierre, Auloncourt, Mcstoinville und Heodclh sollten am 1. November wegen Be tbeiligung am „Franctirircn" üioo Franken Contribution ein- getrieben werden. Da kein Geld da war, wurden die Herren mitgenommen. — Ein anderer Brief aus Sevran an einen Bewohner Alt-Stricßcnö weist energisch die Behauptungen in der Hcimath über die Noth der Fcldtruppcn zurück. Die Ver pflegung ist schon seit Wochen eine geregelte. Gicbt cö nun gerade keine Leckerbissen, so ist doch nahrhafte Kost vorhanden. Von den Proviantcolonncn wird abwechselnd Rind- und Schöpscnflench bezogen, Brot, Speck, Caffce und Salz regel mäßig „gefaßt". Kartoffeln liefern die Felder und Erbswurst, Gulasch, Reis, Nudeln w. gicbt'S auch. Wenn ein Mann 0 biö 8 Kartoffeln, verdorbenes Fleisch und Brod gegessen, so kann das nur in den Tagen der Schlachten, nicht aber im October vorgckommen sein. Man tan nur daö biöchcn Weg auf's Feld nicht scheuen und Kartoffeln sind in Menge da. Selbstverständlich haben die cingcsantten Liebesgaben viele Freude gemacht, ohnedies wurden von der Intendantur wollene Hemden, Jacken, Socken und Leibbinden geiaßt. Die Vorposten und Schiltwachcn erhalten Pelze. Und da bcißt'S noch, die Leute leide» Notb.' re. — Mit einiger Spannung haben wir dem Resultate der vorgestrigen Generalversammlung der Kcttenschlcppschifffahrt der Ober-Elbe cntgegcngcsehc», um so mehr, als die Erweiter ung der Strecke nach Preußen der Gegenstand der Tagesord nung war. Selbstverständlich kann das Unternehmen nur erst dann seine volle Lcbcnothätigkcit entfalten, wenn die Strecke endlich zum 'Anschluß in Magdeburg vollendet ist und somit der Schiffer andere Beförderungsmittel nicht mehr zu Hilic zu nehmen gezwungen ist. Der Dienst der Bomätschcr und der Zugpferde ist jetzt schon vollständig verdrängt, und wird das Rciultat der Kettenschlepper dann noch bedeutender sein, wenn die Schiffe durch Belegung der ganzen Elbstreckc mit der Kette die Scgclvorrickstungcn ganz entbehren können. Der empfind lichste Eintrag dürfte auch dann den Rcmorgucurc» geschehen, die jetzt noch für die große Güterschiffia rt unentbehrlich sind. ES kann daher nickst wundern, wenn von Seite» des Publi kums dem hoffnungsreichen Unternehmen der Kettenschiffiahrt ganz besondere 'Au'mcrkiamkcit geschenkt wird. Die Generalver sammlung war daher außerordentlich zahlreich besucht, und außer einer ganz geringen Opposition sprach sich eine gün stige Stimmung allgemein aus. Die 'Anträge des Vcrwaltungs- rathcs aus Erhöhung des Acticn - Capitals bis 800,00»> Thal« wurden denn auch mit entschiedenster Majorität aeceptirt unk sielst somit zu erwarten. daß demnächst die 'Ausschreibung der neuen Emission geschieht und taS Unternehmen schon im näch- sten Frühjahr eine ansehnliche Erweiterung erfährt. Ein kurzer Bericht, der von Seiten der Verwaltung an die Actionärc ver weilt wurde belegte, daß die s. Z. im Prospekt angenommenen Zahlen zum größten Thcil weit übcrtroffcn sind, und thcilcn wir das nicht uninteressante Faktum mit, daß in den abgclau- iencn >2 Monate» bereits 4440 Fahrzeuge mit 1,010,188 Ctr. Ladung 11,120 Meilen befördert, und tanir circa :!1.5-10Tblr. eingenommen worden sind; diese Lcistungs»ähigkcit wird sich bei Verlängerung der Strecke bctcntcnd erhöben, unk kann cd kei nem Zweifel unterliegen, daß diese Eisenbahn aus dem Wasser bald zu den scgcnbringcntilcn unk bestlutrirendcn zählen wird. — Außer der gestern erwähnten Verkaufsstelle verkauft noch Herr Lottcriccoiiectcur Barthold, Krcuzstraßc, Loose der Kasseler Industrie-Ausstellung. — In einem Hause der Marienstraßc ist in der vorgest rigen Nacht in einer zu ebener Erde befindlichen Lokalität, wahrscheinlich durch ei» zum offen gewesenen Fcnstcr herein gefallenes glimmendes Streichhölzchen veranlasst, ein unbctcu- tendcr Brand entstanden, jedoch sehr bald und noch vor dem Eintreffen der alarmirtcn Feuerwehr wieder gelöscht worden. — Im Hotel zur Stadt Coburg in Neustadt sind in der vorvorigen Nacht aus dem im Hole befindlichen Pkerdestalie ackst Enten und zwei Gänse entwendet und von dem unbekann ten Dieb gleich an Ort und Stelle abgcschlaclstct worden. — Vorgestern 'Abend zwischen 10 und halb ll Ubr wurde bei Nendorf der daselbst stationirtc Bahnwärter Rotbc durch eine Lokomotive überfahren und sofort gctödtct, da die Maschine über Kops und Arm gegangen war. Durch welches unglück selige Mißvcrsländniß der Man» aus das Balmglcis gekommen war, ist nock' nickst aufgeklärt. — Wenn die Bühne besonders die Stätte ist, um von ihr herab de» Lvinpatbicen des Volkes Rechnung und Ausdruck zu geben, so ist unsere jetzige Zeit wohl besonders dazu angctban, diese schöne Pflicht vom Theater zu verlangen. In diesem Sinne wird nächsten Sonnabend im hiesigen Hoitbcatcr der von Julius Pabst gctickstctc und von Julius Rietz für Solo, Chor und Orchester in Musik gesetzte Hhmnus „das große deutsche Vaterland" die Erstellung des 'Abends eröffnen. Schon bei der letzten großen Musitaufführung im neuen Con- certbauS kam taS zündende, schöne Werk zu Gehör. ES folgt nock' eine Scene auö der Gegenwart: „dcö Kriegers Frau" und sodann daö vieraktigc Schauspiel: „dcr Lanowirth" von der bc- kannten, unlängst von der Erdendübne geschiedenen hohen Ver fasserin. Dem Vernehmen nach hofft man Se. Majestät den König, nach langer Pause im Hostbcatcr zu sehen, waö dem Abend eine besondere Weibe verleiben und die Freute aller Anwesenden erhöhen wird. — An gekündigte Gerichtsverhandlungen. Frcikag. den il. Novbr., Vormittags 10 Uhr. Hauptverhand lung weder Amalie Auguste Schonncrt, wegen Diebstahls. Vor sitzender : GerichtSrath Gross. Dresden, 9. November. Räthselhaft bleibt immer noch Manches an den WaffenstillstandSunterhandlungcn, wenn auch die neuesten Meldungen Bismarcks, er habe nicht blos für den Kall des Eintritts der Waffenruhe die Wahlen gestatten wollen, sondern seine unbegrenzte Bereitwilligkeit, auch während des Krieges wählen zu lassen, zu erkennen gegeben, einiges Licht verbreiten. Diese als ourta dlLnekw von Bismarck Herrn Thiers zur beliebigen Benutzung und Ausfüllung eingehändigte Erlaubniß wäre fast als ein Triumph Thiers' anzusehen; er kommt nicht ganz mit leeren Händen zurück, sondern er hat es von Bismarck, daß er, es mag der französischen Regierung be lieben, wann immer, eine Volksvertretung einzuberufen, dies nicht nur gestattet, sondern fördert. Das ist ein Zugeständniß von größter Bedeutung, cs liegt darin aber auch das dringende Verlangen Bismarcks, endlich einmal zu einer Regierung zu kommen, welche der wahre Ausdruck des Volks von Frankreich, nicht blos des von Paris ist. Unbegreiflich ist es dabei nur, wie man französischerseits ein so großmüthiges Anerbieten zurück- weisen kann. Wir verstehen cs nicht, wenn die Franzosen sagen: Wir nehmen cs von Dir gar nicht an, daß Du uns einmal später, wenn es uns beliebt, Wahlen auszuschreiben, die Vor nahme derselben gestatten willst. Das ist der Helle Unsinn, so was läßt sich ja gar nicht zurückwcisen. Die Franzosen ver öffentlichen Depeschen über die Unterhandlungen, die von dieser Bismarckischen Lesart etwas abweichen; darnach hätte Bismarck die Wahlen im Elsaß und in Deutschlothringen „mit gewissen Vorbehalten" vornehmen kaffen wollen. Das würde unsere gestrige Vermuthung bestätigen, daß an diesem Punkte wcsent lich die Unterhandlungen scheiterten. Es wäre aber in der Thal ein Zugeständniß der weitestgehenden Art gewesen, wenn Bismarck nicht die Theilnahme der genannten Departements an den Wahlen schlechterdings abgclehnt, sondern, nach dem Bekenntniß der Franzosen selbst, blos einige Verwahrungen daran geknüpft hätte. Nach beiden Lesarten ergiebt sich aber sonnenklar, daß Bismarck dem geschlagenen Feinde goldene Brücken bauen und bis an die Grenze des Menschenmöglichen gehen wollte. Was bewog nun Trochu, der die Seele des Widerstandes darstellt, zu solcher Hartnäckigkeit? Aus einer seiner letzten Proklamationen an die Pariser erhellt, das; dieselben die Einleitung von Waffenruhe Unterhandlungen ihm als das Vorspiel der Capitulation aus legten. Hat er den Waffenstillstand bloS darum hintertricbcn um nicht mit den Capitulanten von Sedan und Rietz als de: Dritte im Bunde genannt zu werden? Uns däucht, Trochu betonte zu einseitig seine Stellung als Commandant einer Feslun. und bedachte zu wenig das Geschick des ganzen Landes. Cc will als Festungscommandant seinen Platz nicht in Feindes Hand fallen lassen, er kümmert sich den Kukuk, was dadurch aus dem Lande wird, während Thiers und Favre, die das Schicksal des ganzen Landes im Auge haben, einen, dem Lande vorthcilhaften Waffenstillstand befürworteten. Nun, cs ist vielleicht bester und führt in kürzerer Zeit zum Ziele, wider den Willen der Franzosen, wenn Paris ohne den Zwischenfall eines Waffenstillstandes in unsere Hand fallt. Bismarck scheint, der Ansicht der Times zufclge, gewußt zu haben, daß der Waffenstillstand nicht zu Stande kommen würde; er hätte noch mehr anbietcn können, die Franzosen hatten es abgelehnt: blos wenn er die ungehinderte Zufuhr von allem Möglichen, mit Ausnahme des Kriegsmaterials, zugcstand, wäre die Waffen ruhe eingctreten. Daß aber gerade Trochu als Militär und Commandant der Festung so hartnäckig war, erklärt sich, außer den obengcdachtcn Gründen, vielleicht mit dadurch, daß er sein ganzes Vertrauen aus einen großen Schlag gesetzt zu haben scheint, den er vor halte. Die Cintheilung sämmtlicher Waffen träger in Paris in drei große Armeen, deutet auf diesen Plan. Wir werden sehr bald von erneuten, heftigen Ausfällen in größerem Style lesen. Er will Paris von Innen aus entsetzen. Aus die Frage der Vcrproviantirung von Paris lasten wir uns nicht ein. Rietz hat über Erwarten einen langen Wider stand geleistet. Kann; ist es gefallen, so ergiebt sich, daß ein zelne Speculantcn noch große Vorräthe an Lebensmitteln auf- gchäuft hatten, die sie im Moment der schwersten Noth theuer verkaufen wollten. Es ist ein Streit entbrannt, ob wirklich dort der Hunger sein Schrcckensregiment geführt oder nur sein bleiches Gesicht in nicht zu großer Ferne gezeigt hat. Bei Paris kommen noch moralische Elemente in Bewacht, die geistige Wi derstandskraft, das gegenseitige Mitthcilen der letzten Bissen, was sich Alles der Berechnung entzieht. Es wird sich ja bald zeigen, wie tief sich die großen Menschcnmassen von dem Geist des Zusammcnstehcns in 'Noth und Gefahr durchdringen lassen