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Rr. 36. ^rscheiut: «Wch früh 7 Uhr. Inserate werben angenommear bt1»be»d»«,Sott»- tag» bl, Mittag» LN llbr: Marteuftraße 1». tL^g. in dies Blatt«, jetzt k,LLS«0 2x«»pla«u erscheint, isttden «tu« erfolgreich« »«chreitnng Elfter Jahrg Montag, 5. Februar 1866. Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. Mitredacteurr Theodor Arobisch. Abonnement: vierteljährlich 20 Ngr bii uurutgeldlichrr Lie ferung tu'» Hau». Durch die Nöuigl Pof »terteljährlich 22 Ngr. Slujel«» Nummer» 1 Ngr Knseratmpreise: Für dro «am» eüwtz gespaltene» Zetk»; 1 «gr. Unter „Äingwf saodr' die Zetli r «gr. Druck «ud Utgenthum der Heraukgeber: Ltrpsch 4k Neichardt. — Verantwortlicher Redakteur: InttNI Nrichüldt. «MM, Dresden den 5 Februar. — Im Eyclus im Zwinger hält heute Abend um 7 Uhr Herr geh. Hofrath Neichenbach den ersten seiner drei angekün digten Vorträge, und zwar über: „Die Entwickelung des Gebens -aus dem Unbewußten in das Bereich der Ahnungen." Da der Vortragende, besten wissenschaftlich hohe Bedeutung nicht blos in Europa, sondern überall, wo die Naturwissenschaften gepflegt werden, gekannt und anerkannt ist, seinen reichen Schatz naturwissenschaftlicher Kenntnisse in das Gebiet philosophischer Anschauungen zu erheben versteht, so dürften wohl diese Vor träge allen Denjenigen willkommen sein, welchen cs Befriedig ung gewährt, wenn die Wissenschaft die Schale durchbricht und zu dem Kern zu gelangen strebt. — Die stets gilt besuchten Evncerte der Liederhalle zum Schillerschlößchen in Dresden, derer: sämmtliche Mitglieder Vor zügliches leisten, tragen ihren guten Ruf auch nach auswärts, welches das am 29. Jan. d. I. im Saale des schwarzen Roß Hu Freiberg gegebene Concert bestätigt, woselbst der Erfolg ein Außerordentlicher zu nennen war, und so dürfte wohl in Schandau, wohin die Mitglieder für nächsten Donnerstag berufen find, das Resultat ein eben so günstiges sein. — Aus Leipzig wird mitgetheilt, die preußische Negie rung habe sich an die sächsische mit dem Ersuchen gewandt, ihr Auskunft darüber zu ertheilen, welche Wirkungen das we gen der Aufhebung der Zinsbeschränkungen unterm 25. Oct. I fi64 Publizirte königl. sächsische Gesch auf den Preis des Kredits und besten Markt gehabt habe. Herr v. Neust hat darauf die Handelskammern zur Mittheilnng ihrer Erfahrungen über die- fen Gegenstand veranlaßt. — Am 1. Febr. feierte Herr Astestor Bauer im königl. 'Gerichtsamt Dresden sein 25jährigeö Jubiläum als Beamter; ^derselbe genießt bei Allen, welche mit ihm im amtlichen Ver kehre stehen, eine außerordentliche Beliebtheit, es haben sich da- cher, um diesem Gefühl Ausdruck zu geben, in den meisten Ortschaften, über die sich die Wirksamkeit des Herrn Jubilars erstreckt, di: Ortsvorstände geeinigt, und denselben durch eine aus ihrer Mitte gewählte Deputation beglückwünscht, auch durch Ueberreichung eines passenden Ehrengeschenks die Feier des Ta ges zu erhöhen bemüht. — Ohngefähr 10 Minuten vor Zuges Abgang erschien -vorgestern Nachmittag am Albertsbahnhof ein Gerichtsdiener in Begleitung eines ihm zum Transport nach Döhlen anver- Irauten Mädchens. Nachdem er dieselbe an die Thüre, welche nach dem Perron führt inwendig an der Thürschwclle aufge stellt, um an der Kasse Billets zu lösen, hatte sie ihren Platz dergestalt gewechselt, daß sie sich außerhalb der Thürschwelle an der Wand aufstellte. Als nun der Dimer der Gerechtig keit sich nach seiner Pflcgbesohlenen umsah und diesen Platz wechsel wahrnahin, rannte er, ohne sich umzuseycn, sofort nach der Stadt zu, in der Meinung, das Mädchen sei ihm entlaufen. Endlich, nachdem der Zug längst fort war, erschien -er geängstigte Transporteur wieder am Bahnhofe, sah das Mädchen am angegebenen Platze ruhig stehen, packle sic und ohrfeigte sie links und rechts. Hierauf ging die Reise zu Fuße fort nach Döhlen. — Am Freitag stand ein 7jjähriges Kind auf dem hie sigen Versatzamte im Gedränge und hatte eben für ein hin gegebenes Pfand 1 Thlr. 15 Ngr. in Empfang genommen, als thm die 15 Ngr. aus den Hündchen zur Erde glitten. Ein ohngefähr 12jähriges Mädchen mit lila Kopftuch benutzte sofort diese Gelegenheit, hob heimlich das Geld auf und entfernte sich auf Nimmerwiedersehen. Das Kind «einte bitterlich und sämmtliche Anwesende waren entrüstet über die verschwundene kleine Diebin. — Am Donnerstag Vormittag stand ein Milchwagen an der Ecke der Wiesenthorstraße, bespannt mit einen: der bekannten kleinen Milchpferdchen. Die Verkäuferin war fortgegangen um Milch abzuliefern, hatte aber dicht hinter dem Pferdchen einen Krug mit ungefähr 30 Kannen stehen lassen, welchen das Thier durch einige muntere Bewegungen umstieß, so daß der schöne weiße Inhalt in den Straßengraben strömte. Durch das Zerbrechen des Kruges war aber das Pferdchen ganz confus und scheu geworden und rannte mit seinem Gespann im wilden Zickzack der Elbe zu, wo cs glücklich von einigen Soldaten auf gefangen wurde. Das arme Milchmädchen soll nach ihrer Rück kehr natürlicherweise ein sehr betrübtes Gesicht gemacht haben. — Das erschütternde, in der Leipziger Abendpost erzählte Familiendrama betreffend, ist zu berichtigen, daß der Vater gar nicht auf dem Bahnhof zugegen war, erst auf der Polizei dazu kam und hier der Mutter selbst sein Kind zum Küssen frei willig hinhielt; daß auch die angebliche Härte nicht vom Vater gegen die Mutter, sondern vom Bruder der Mutter gegen die Schwester des Vaters ausgeübt wurde. — Gestern erschoß sich in der vierten Etage der großen Infanterie-Caserne Flügel L. ein Soldat der 2. Compagnie dsS 13. Bataillons, Namens R., mit seinem Dimstgewehr. Furcht vor einer bevorstehenden Prügelstrafe soll der Grund zu diesem Selbstmord sein. — Nach den Freuden des Maskenballes auf der gülde nen Aue ergab sich auf der Mathildcnstraße früh Morgens um 5 Uhr noch ein Intermezzo zwischen zwei in der Scheidung liegenden Eheleuten. Dem Mann war nämlich seine Ehehälfte auf der Maskerade abhanden gekommen und im Costüm als Hanswurst hatte er sie zwei Stunden lang vergeblich gesucht. Er glaubt sie zu Hause anzutreffen, aber vergebens. In Ermangel ung eines Hausschlüssels klettert der- betrogene Harlekin durch ein Fenster in seine Wohnung und wartet, bis sein zweites Ich an kommt, was denn nun geschah. Sie kam in Begleitung eines Ehe mannes und darob ergrimmt, ging der Harlekin in das Fach der Wüthriche über. Die Scene war großartig. — Nächste Mittwoch den 7. Februar wird der Schau spieler und Gcsangskomiker Herr Louis Dittrich in dem neuen prachtvollen Saale des Herrn Restaurateur Starke in Pieschen die erste humoriftisch-musikalisch-dcclamatorische Abend-Unterhal tung, verbunden mit Jnstrumental-Concert, veranstalten. Allgemeine Betrachtung. P Der glückliche Ausgang eines Unternehmens ist noch kein Beweis für die Vortrefflichkeit des Planes, ja mancher schlecht angelegte Plan schlägt durch das Hinzutreten unerwar teter Glücksfälle oft in erfreulicher Weise aus. Viele Men schen Pflegen solche unvermuthete Ausgänge auf »das Conto ihres Berstarü>es zu setzen und das, was ihnen Fortuna bot, als das Product ihres Scharfsinns auszuposaunen. So macht es jetzt Oesterreich mit dem Gasteiner Vertrag. Wollte man den Versicherungen österreichischer Regierungsblätter Glauben schenken, so liegt in den Gastciner Abmachungen die Quintessenz einer noch nie dagewesencn staatsmännischen Weisheit verbor gen. Warum? Weil Preußens Position in den Herzogtümern täglich unhaltbarer, sein Einfluß auf Deutschland täglich ge ringer werde. Hatte Oesterreich, möchten wir eine Lessing'sche Frage anwenden, darum zu Gastein Recht, weil ihm der Aus gang in Schleswig-Holstein Recht giebt? Nein! Einmal erweist sich der Gasteiner Vertrag als ein Machiverk der alten Diplo- matenschule, welche kein Verständniß für die vernünftigen For derungen eines gesetzlichen Volkswillens hat, sondern mit künst lichen Schachzügen der Weltgeschichte ihre Bahn vorzuschreiben meint, die den Zeitgeist zu regieren glaubt, wenn sie von ihm geschoben wird. Allmälig aber kommt doch jetzt auch in der Diplomatie die Ehrlichkeit etwas mehr zu Ehren, die Politik der Jntrigue und der geschickten Lüge gilt nicht mehr als die höchste Kunst eines Staatsmannes, sondern man erkennt, welch unzerstörbare Kraft der Wahrheit und dem Rechte inneivohnt, wie nur derjenige Staatsmann dauernde Erfolge erringen kann, der, von sittlichen Begriffen getragen, für Wahrheit und Recht, für Gesetz und Ehre seines Volkes wirkt. Abgesehen aber da von, daß von einem Verständniß für eine ehrliche und dem deutschen Volkswillen entsprechende österreichische Politik im Gasteincr Vertrag verzweifelt wenig zu spüren war, so haben die Oesterreich so günstigen Chancen in dm Herzogtümern und Deutschland vorzugsweise die Fehler Preußens, nicht Oester reichs Weisheit, bereitet. Oder konnte man voraussehen, daß Preußen im General Manteuffel einen Mann nach Schleswig schicken würde, der das pure Gegcntheil des humanen, redlich«: und dabei doch äußerst gewandten Gablenz ist? Würde Der nicht als Narr erklärt worden sein, der vor einem halben Jahre prophezeit hätte, daß Preußm, um die Neigung der Schlcs- wiger zu gewinnen, sie auf alle Weise quälen und thrannisi- ren, sie nicht wie die Dünen mit Ruthmstreichcn, sondern mit Skorpionen traktiren würde? Und konnte Oesterreich wissen, daß Gras Bismarck auf diesem jetzt so oft mit Glück bctretenm Wege eine kalte Badereise nach Biarritz unternehmen, leider aber durch die Abenteuerlichkeit seiner Pläne den schlauen Mann an der Seine vor den Kopf stoßen und allenthalben einen ungünstigen Eindruck hintcrlassen würde? Und seit dem Tage von Biarritz wuchs die Hoffnung der Schleswig-Holsteiner, erstarkte ihr Muth — ohne Zuthun Oesterreichs. Will jetzt Oesterreich, wie cs scheint, die ihm so günstige Stellung in Holstein ausbeutcn, so »nag es sich offen und ehrlich zun» Recht bekennen. Damit ist den Herzogthümcrn nicht gedient, fortwährend von den freundlichen Gesinnungen Oesterreichs zu hören und nie einen thatsächlichen Beweis davon zu sehen. Alles recht schön und gut, daß Oesterreich nicht die Mcmteuffel'sche Musterwirthschaft in Holstein anwendct, aber endlich fühlen die Holsten doch, daß rnan von schönen Worten und glatten Formen nicht satt wird. 'Möchte sich Oesterreich doch endlich entschließen, die zweifelhafte Rolle des Zauderns aufzugcbcn und den Holsteinern das Wenige geivähren, »vaö sie wünschen, ein Bischen Recht und Gesetz und daher zunächst die LcmdcSvcrtretung cinberufen. Es gehört nicht viel Muth dazu, den armen Nedacteur Matz, der von preußischen Gerich ten wie ein edles Wild gehetzt wird, entwischen zu lassen, u« diplomatischen Erörterungen aus dem Wege zu gehen, statt ihn zu schützen gegen brutale Gewalt, wie es einem mächtigen Staate »vohl ansteht und Pflicht ist. Wenn sich Oesterreich nicht bald von der Leisetreterei und dein halben Spiele er mannt, um durch Einberufung der Stände ganz Deutschland mit einen: Schlage »vieder aus seine Seite zu bringen, so büßt cs seine deutschen Sympathie«: vollends ein. Hat es doch schon genug davon eingebüßt durch das Edict, welches den Gemeinde behörden in Vorarlberg verbietet, Adressen an den Landtag zu richten und womit es dort jedes öffentliche Leben vernichtet, durch das fernere Edict, welches die Errichtung protestantischer Gemeinden in Throl von der Zustimmung der Gemeinde ab hängig, will sagen, ganz unmöglich macht, durch die Begünstig ung der Ungarn, endlich durch das Sprachgesetz, welches rein deutsche Gemeinden in Böhmen zwingt, in ihren Schulen die czechische Sprache zu lehren, um so nach und nach Böhmen, das seine ganz« Cultur deutschem Neiße und deutscher Intelli genz verdankt, zu verwenzeln. Kurz, Oesterreich hat sich so gegen den deutschen Genius vergangen, daß es in der That eines kräftigen Auftretens für das Recht Schleswig-Holsteins bedarf, um sich in der öffentlichen Meinung Deutschlands etwas wieder zu rehabilitiren. Wie prächtig paßte der Augenblick jetzt! Preußen jist durch den Conflict im Innern geschwächter, denn je. Man kan« sich wirklich kaum eines Gefühles des Mitleids für das arme preußische Volk erwehren, wenn man die Schläge sieht, mit denen es jetzt von seinem reaktionären Ministerium regalirt wird. Vor solcher Behandlung vergißt man, daß auch das preußische Volk mit daran Schuld ist, daß man so mit ihm umspringt; man vergißt aus Theilnahme für sei»« Leiden, daß es die Devise Bismarcks: Gewalt geht vor Recht! gegen die Herzog- thümer selbst gut geheißen und ihin dainit ein zweischneidiges Schwert gegeben hat, das Bismarck nun gegen das Volk selbst kehrt. Diese Erinnerung schweigt vor dein Eindruck der ungeheuer lichen Entscheidung des Obertribunals. Gegen den klaren Sinn und Wortlaut der Verfassung beschließt dieser höchste Gerichts hof Preußens die Verfolgung der Abgeordneten wegen ihrer Aeußerungen in der Kammer. Verjagt ist nunmehr in Preußen die Freiheit aus dein letzten Asyl, umgeftürzt ist die Redner tribüne, wo trotz vieler Ungehörigkeiten, immer noch ein offne» Wort gesprochen wurde. Die Presse liegt in Banden, die Ver eine füll» mundtodt, nun wird auch noch den Abgeordneten der Mund gestopft. Wie ist es aber nur möglich, daß derselbe Gerichtshof, der in früheren Entscheidungen die Redefreiheit im Abgeordnetenhause anerkannte, heute ein solches Attentat gegen sie verübt? Es ist die systematische Corruption, die von Seiten des preußisch«: Ministeriums gegen dieses oberste Tribunal an gewendet wurde. Abgesehen von sonst unstatthaften Einflüssen hat das Justizministerium bei Vakanzen nur solche Leute im Obcrtribunal angestellt, auf welche es sich unter allen Um ständen verlassen konnte. So hat diese Gerichtsbank nach und nach eine ganz bestimmte reactioiräre Färbung angenommen, so hat sich die Justiz zur gefügigen Augendienerin einer politischen Partei machen lassen. Trotzdem ist ihr jüngster Beschluß ei« solcher, der »vie betäubend wirkt. 'Noch immer fragt man sich, ob es wirklich möglich war, einen solchen Verfassungsbruch aus dein Munde ergrauter Juristen zu erhalten? Ja, eS ist mög lich, und die Rationalzcitung, ein prononcirt preußisches Blatt, sagt richtig, daß so etivas nur in Preußen möglich »var. Kein Land aus der Erde hat etivas Aehnliches aufzuweisen. Was thut nun aber das durch diesen Obertribunalsbcschluß tödtlich verwundete Parlament? Wir fürchten, nicht das Rechte. Die Fortschrittspartei beschließt einstimmig, unter Protest gegen jeden- Bruch der Privilegien des Abgeordnetenhauses, diesen Beschluß für null und nichtig zu erklären, und eine Anzahl Mitglieder des linkm Eentrums stimmt bei. Wir glauben, eS wäre daS Unglücklichste, was das Abgeordnetenhaus thun könme, wenn es auf diesen Antrag cingingc. Wo soll es im Staate hin- kommen, wenn ein Parlament ein Urtheil eines Gerichtshofes cassiren darf? Nicht einmal Bismarck, der doch gewiß nicht prüde ist, würde es gewagt haben, die Entschließung des Ober- lribunals, wenn sie gegen ihn ausgefallen wäre, umzuiverfen. Das Urtheil eines Gerichtshofs, und wenn es noch so ungerecht ist, muß allemal respcctirt werden, — die Folgen fallen auf das Haupt der ungerechte!: Richter. Das Einzige, ivas daS Parlament retten könnte, wäre, mit Würde zu sterben, in Masse das Mandat niederzulcgen und die Folgen denen zu überlassen, welche eine so heillose Rechtsvcnvirrung im Lande anrichten. Wir fürchten, aus dem Vorhaben der Fortschrittspartei wird das Ministerium das Recht ableitcu, das Abgeordnetenhaus aufzulösen, die Verfassung überhaupt «uszuhcbcn. Aus solch eine gute Gelegenheit, wo das Parlament offenbar seine 'Functionen überschreitet, hat Bismarck lange gelauert, und er ist nicht der Mann, der, wenn ihm das Parlament den kleinen Finger bietet, nicht gleich die ganze Hand nähme.