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Rr. 886. Zehnter Jahrg. Erscheint: «glich früh 7 Uhr. Inserate »»«rdeu angenommen: bi« Abends 6,Sonn tags bis Mittag» 12 Uhr: Varienstraß« IS. >uz«ig. in dies Blatte, da» setzt in Exemplaren erscheint, ßnden «ine erfolgreich« Verbreitung. Montag, 14. August 1863. Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. Mitredacteur: Theodor Drobisch. »ruck und Stgrnthum der Herausgeber: Liepslh 4k NkicharLt. - BerantwoNlicher Redacteur: Julius Nelchardt. Abonnemmt: vlerretjährtich 2V Ngr, bei uneiitgeldllcherLt^ ferung in's HauS. Durch die KLnigl. Pos vierteljährlich 22 Rgr Einzelne Nummerr 1 Ngr. Inseratenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: i Ngr. Unter „Eing«4 sankt" die Zell« L Rgr. i -i Dresden, den 14 August. — Der stolze schöne Bau der Sängerhalle fällt stündlich immer mehr unter der Axt. Nur Etwas hält sich noch auf recht und dieses ist das Deficit, welches Vielen wie ein drohendes Gespenst e:scheint und nach ihrer Ansicht wie ein drückender Alp auf der Stadtkasse liegt. — Als König Carl X I. in Bender war, legte ihm sein Günstling und Schatzmeister Gruithusen eine Rechnung von 50,000 Nnchsthalern vor, die in zwei Linien und folgenden Worten abgefaßt war: „10 000 Rthlr. auf Befehl Sr. Majestät den Schweden und Janitscharcn gegeben und den Nest von mir durchgebracht!"— Das ist aufrichtig, sagte der König, und so liebe ich, das; mir meine Freunde ihre Rechnungen ablegen. — Jedenfalls wird der Finanzausschuß deS Sängersestes diese Anekdote nicht ohne Seufzen lesen und auSrufen: O, schöne, alte Zeit! — In der Bevölkerung giebt es freilich hier und da noch engherzige Seelen, welche die Bedeutsamkeit des Festes nicht fassen können, das nicht nur Dresden, sondern dem ganzen Lande zur hohen Ehre gereicht. Man lese nur die ersten tonangebenden französischen Zeitungen. Mit welchen Nuhmesworten wird da der Vau der Sängerhalle gepriesen, die Dresdener und überhaupt der ganze sächsische Volksstamm in seinen industriellen Bestrebungen. Man werfe einen Blick in englische und amerikanische Ze Lungen, wie sie von deutscher Kunst und deutschem Gesang, von säch sischer Biederkeit und Gastfreundschaft reden und den Ruhm Dresdens in alle Welt verkünden. Es sind diese Zeitungs- Artikel Frescogemälde auf die Tafeln der Zeit- und Cultur- geschichte gemalt; genannte Philisterseelen aber sehen in solchen Gemälden nur ABC Buch-Bilder. Sie wollen sich nicht aus der Zeit rütteln lassen, die sie sich selbst gestalten; sie ver schmähen jegliche Charakterfestigkeit, sie bilden sich ihre eigene Makrobiotik, wo, im Gegentheil von Hufeland, um alt zu werden, man keine Grundsätze haben dürfe. Springen wir ab von diesen Leuten, die an der Flamme des Prometheus ihre Kartoffeln kochen und gehen wir zu den spekulativen Geistern über, welche in Betreff des Sängerfestes mit Artikeln verschiedener Art vor die Oeffentlichkeit traten Es ist mit diesen Augenblicksrittern immer eine riskante Sache. Irgend ein Handelsartikel wird mit dem Ereigniß des Tages in Verbindung gebracht und das industrielle Kind empfängt nun einen Namen. Großen Absatzes erfreuten sich eigentlich nur die Festmedaillen in allen Formen, was aber die anderthalb Thaler kostenden Pokale betrifft, die Gür tel mit dem elngewebten Sängerspruch, die Gipsmedaillons mit den Portrails von Componisten, die Lithographien mit Ansicht der Sängerhalle, so war das Geschäft äußerst flau, was sich auch von den literarischen Erzeugnissen sagen läßt, die. mit Illustrationen versehen, auf das Sängerfest Bezug haben sollten, meist aber einen Humor entwickelten, der die Spuren eines tief eingewurzelten Stockschnupfens an sich trägt — Am meisten gewannen die Bi r- und Speisewirthe und Alle« diesen voran das Waldschlößchcn, das in der Bierliefer- »ng den ersten Treffer zog. — Eme allbekannte Persönlichkeit unserer Stadt, ein Mann, dessen Name tief im Volksthum wucherte und vorzüg lich der Jugend bekannt war, ist am Sonnabend Nachmittag 4 Uhr gestorben. Es ist Reh ahn, der Diogenes Dresdens, de allbekannte Straßenfigur der Residenz, das Ueberblcibsel, der Kehraus von dem Bunde, den dereinst der selige Helmert, Peter Kroll und die Vogel-Markise mit ihren Zippen und Rothkehlchen bildeten. Der moderne Barfüßler mit seinen Uhren, Bilderbogen und AlleriveltSkram starb in seiner Wohn ung, Schäferstraße 75. Er hinterläßt eine erblindete Wittwe und wird Dienstag Vormittag um 10 Uhr auf dem Friedrich- siädter Kirchhofe begraben. — Vorgestern Abend hatte sich ein kleines Mädchen auf der CaruSstraße einen Stein so tief in's linke Ohr hineinge bohrt, daß das Ohrgewinde an zu schwellen fing und ärztliche Hilfe m Anspruch genommen werden mußte. In der Hilfs station auf der großen Kirchgafse wurde der Stein glücklich herausgezogen. — Ein „Letzter seines Namens", dem der Leicheicherold das zerbrochene Wappen mit in die Gruft giebt, ist am 8. August hier in Dresden gestorben: der Oberst v. Bourk, ehemaliger Commandant der Leib-Jnfanterie-Brigade. In der veröffent lichten Todesanzeige wird auf besonderen Wunsch des Ver storbenen Blumenschmuck verbeten. — Auf der Bahn HerlaSgrün-Eger geht zur Zeit eine Bau-Lokomotive. Der Heerde eines Kühjungen — leider ist uns die Gegend nicht genannt worden — war das dampfende Ungeheuer eine so unbekannte, furchtbare Erscheinung, daß diese bei einem gellenden Pfiff, den die Maschine gab. sofort nach allen Gegenden der Windrose auseinander stob, der Küh- junge aber seine liebe Noth hatte, die Pflegbefohlenen wieder zu sammeln. „Warte, du L.d.r," sagte er da bei sich selbst, „ich will dir drin Schreien schon vertreiben!" Er legt sich einen Stein zurecht, und als des nächsten Tags die Maschine in seiner Nähe wieder „schreit" und sein Vieh verjagt, schleu dert er den Stein mit Macht auf die Lokomotive. Natürlich konnte sein Versuch, dem Ungeheuer den Schreimund stopfen zu wollen, nicht ungeahndet blftben. Jndeh steht zu erwarten, daß der Richter die Naivctät des Attentäters nicht unberück sichtigt lasten werde. — Aus dem obcrn Erzgebirge laufen die günstigsten Nachrichten ein. Eine reiche Ernte steht dort in Aussicht, die gewerblichen Verhältnisse sind glänzend, eS giebt Arbeit und lohnenden Verdienst genug, so daß alle Hände zu wenig sind. — Einem Lehrer in Chemwtz wurde von einem ehe maligen, vor Kurzem verstorbenen Schüler aus Dankbarkeit die Summe von 100 Thlrn. testamentarisch ausgesetzt. (Dieser Trstator ist ein weißer Sperling) Allgemeine Wochenschau. Die Lage Deutschlands — Schleswig-Holsteins Zukunst. — Von der polnischen Kreuze. — Tie Unwersrtcitsseier iu Wien- — Französisches. — Das Kabel. I.' Die Blicke von Deutschland, ja von Europa hangen jetzt an Gastein. In den Gebirgen Tirols und des Salz kammergutes hat sich ein schweres Gewitter gesammelt und jeden Augenblick kann der Blitz in Gestalt des telegraphischen Funkens die Kunde von einer preußischen Mobilisierung in's Land tragen. Es kann aber auch der jetzt unermüdlich klap pernde Taster dex Telegraphenleitung nur das Wetterleuchten signalisiren, wornach. wenn sich die hochgespannte Temperatur in dm hohen Regionen abgekühlt, die Erde dichter wieder auf- athmet. Vielleicht also Krieg, vielleicht auch Friede. Es liegt in der Natur diplomatischer Unterhandlungen, daß ihre Re sultate nicht gleich fix und fertig wie Minerva aus dem Haupte Jupiters herausspringen, sondern daß die einzelnen Schachzüge langsam vor sich gehen und die, neugierige Welt wird sich wohl noch einige Zeit gedulden müssen, ehe sie Sicheres erfährt. Das was äußerlich wahrnehmbares Factum ist, ist Folgendes: Der österreichische Unterhändler Graf Blome war, da er dm König Wilhelm unbeugsamer als je gefunden, unverrichteter Sache nach Wien zurück^ekehrt. Er hatte Audienz beim Kaiser, welcher aus Ischl nach Wien kam, man veranstaltete ein Mi nisterconseil, auf Grund dessen Graf Blome mit weiteren Voll mächten nach Gastein zu König Wilhelm reiste. Inzwischen traf auch der Minister Sachsens von Neust in Wien ein, wurde allseitigäußei st zuvorkommend empfangen, hatte eine Audienz beim Kaiser, eine Verathung mit dem Minister des Auswärtigen Graf Meusdorfs in Wien, eine Zusammenkunft mit dem Kö nig von Preußen und dem Herrn von Bismarck in Gastein, mit dem bairischen Minister v. d Pfordten in München, und stattete schließlich unserem König, welcher in Possenhofen weilt, Rapport ab. Graf Blome ist daher in diesem Augenblick die jenige Person, an deren Fähigkeit, Tact und Energie das Wohl und Wehe der nächsten Zeit für Deutschland hängt. Bleibt Preußens König unbeugsam, hält er Oesterreichs stram meres Auftreten nach so unendlichen Beweisen von Schwäche für nichts als eine Demonstration, reist er am 14. von Gastein ab ohne Resultat, bleibt auch die Zusammenkunft, welche er noch in Salzburg mit Franz Joseph wünscht, ebenfalls ohne Ergebniß, so dürfte der Abbruch der diplomatischen Verhand lungen zwischen Oesterreich und Preußen das Nächste sein, das sich nach dem Verlassen des österreichischen Gebietes durch den König Wilhelm herausstellt. Ist dies aber zu befürchten? Aufrichtig gestanden - nein! Einen Bruderkrieg wünscht bis auf die preußische Militärpartei, welche von Avancement und Orden träumt nnd bis auf etliche Großpreußen, welche, koste es was es wolle, Preußen größer sehen möchten, in Deutsch land Niemand. Vielleicht hetzt Louis Napoleon etwas, welcher bei einem Kampfe in D.utschland gern etwas schlucken möchte; indessen schreit das Bedürfniß der Völker nach Frieden so laut, daß es den voreiligen Schlachtgesang einiger Heißsporne überlönt. Bei dieser Lage der Dinge kommt es aber auf die Hal tung namentlich der Mittelstaaten gar sehr an. Sie sind recht eigentlich dazu berufen, die Schale des einen steigen, des an dern sinken zu machen. Wenn Oesterreich sich auf die Mittel- staaten Verlassen kann, so verfügt die gerechte Sache Schles wig-Holsteins über eine Million Bajonette, die denn doch auch auf einen Staat, der seine Kräfte so sehr überschätzt, wie Preußen, ihren Eindruck nicht verfehlen werden. Preußen kann bei der schlechten geographischen Beschaffenheit seiner Grenzen, bei der Ausdehnung seines Gebietes, bei dem Zer würfnis; im Innern einen Krieg nicht gegen ganz Deutschland wagen. Zwar hat es einmal unter Friedrich II. dies sicgr-ich unternommen, indessen König Wilhelm ist kein Friedrich II. und die Armeen der deutschen Bundesstaaten bedeuten heute doch etwas Anderes als die „eilend- Neichsarmce" von Anno damals; in manchen Regimentern Sachsens, Baierns, Würtem- bergs und Hessens fleckt ein Kern, eine Kraft, die man in manchen Linienregimentern Preußen« vergeblich suchen würdej Wenn diese Mittelstaaten nur einig wären! In dusir Bezie hung ist die außerordentliche Thättgkeit des Herrn von Neust von besonderem Interesse. Er hat cs erkannt, daß es hierauf zunächst ankommt und er faßte das Ding, so zu sagen, beim rechten Zipfel an. Vaiern schmollt etwas auf Sachsen, weil.. weil zur Londoner Conferenz als Vertreter Deutschlands nicht Herr v. d Pfordten, sondern Sachsens Premier gewählt wurde. Die Zusammenkunft des Herrn v. d. Pfordten mit Herrn von Bismarck in Salzburg hatte letzterem Hoffnung gemacht Baiern auf seiner Seite zu haben. Vor dem Ernst der Lage aber muffen solche kleine Empfindlichkeiten zerfallen. Herr von Neust reiste nach München und der Erfolg zeigt sich, daß Baiern nunmehr in ein herzliches Einvernehmen mit einer ehrlichen, treuen deutschen Bundcspolitil getreten ist. Wir leben daher der Ueberzeugung, daß nun am Bunde eine große Thätigkeit beginnen und Friedrich VIll. als H-rzog von Schleswig-Hol stein von den Bundesstaaten und Oesterreich mit überwiegen der Majorität erklärt werden wird. Preußen stimmt entweder dem bei oder nicht. Thut es das letztere, so muß es aus dem Bunde scheiden. Dann ist es aber ein Staat zweiten Ran ges; denn in seinem Einfluß aus den Bund beruht sein ganzes Gewicht. Darum Muth, mögen jetzt auch dis Preußen in dem armen Schleswig-Holstein noch so schalten. Um das Recht zu haben, scharf einzuschreiten, bereisen jetzt etliche preußische Offiziere in Civil das Land als agents provocuteursj d. h. sie führen aufrührerische Reden und suchen das Landvolk zur offnen Auflehnung zu reizen, um sie dann denunziren und das ganze Land in Belagerungszustand erklären zu können. Jammervolle Politik, die nur noch von dem Verfahren im eigenen Lande überbotm wird! An der polnisch-preußischen Grenze bildet Herr von Bis marck jetzt fliegende Colonnen, um diejenigen unglücklichen Polen, die der Aushebung zu dem entsetzlichen russischen Mili tärdienst entspringen wollen, aufheben und nach Art der Ge richtsschergen an Rußland ausliefern zu können. Ein Pole wurde auf preußischem Gebiete von russischer Polizei erwischt, entsprang aber mit Hilfe zweier preußischer Bürger. Die Russen schleppten die beiden als — Ersatzgefangene fort und wahrscheinlich sind sie schon gehenkt Und dem Herrn von Bismarck, der sonst für das, was er seine Ehre nennt, sofort mit den Waffen in der Hand eintritt, steigt nicht die Scham- röthe in's Antlitz, daß er die ihm von Gott anoertrauten Unterthanen so schrecklich verwahrlost? Einen im Ganzen de- und wchmüthigen Eindruck hat die Feier der 500jährigen Wiener Universität hinterlassen. Die Studentenschaft hatte sich fern davon gehalten, weil nicht der Stiftungstag, sondern nur die Erinnerung an die geistliche Oberhoheit, an die päpstliche Bcstätigungsbulle der Universität gefeiert wurde. Der Rector Hyrtl zeigte seine großen Talente, seine glänzende Beredtsamkeit, dabei aber auch seine Unterord nung der freien Wissenschaft unter den Glauben. Es giebt in seiner Rede Stellen, welche der or.hodoxeste Kapuzinerpater nicht ohne stille Rührung würde lesen können Darüber, daß die Studenten unter Ferdinand II den Jesuiten überliefert wurden, hatte er kein Wort verloren, hingegen machte er über das Ver/ahren des freigcistigen Joseph ll einen ungeheueren Wortschwall. In Frankreich hat sich he:ausgestellt, daß die Wahlen der Gemeinderäthc doch mehr gegen den Geist der Regierung ausgefallen sind, als man erst vermuthcte, trotzdem, daß sie sich zeither viele Mühe ge-cbcn hat. den Gemcindegeist zu unterdrücken Einen um so günstigeren Eindruck hat das Rundschreiben des Ministers von Lavalctie hinterlafsen, welches eine größere Selbstverwaltnng den französischen Gemeinden in Aussicht stellt. Gleich günstig hat die Rede des Unterrichts- Ministers Duruh bei einer Preisverthcilung in der Sorbonne gewillt, welche das, was den nie cren Classen Frankreich- vor Allem noth thue, orlenllichen Schulunterricht zu haben bespnaft. Louis Napoleon lebt jetzt in Plombü'-res auf eine einfache, gemüthliche Weise. Kein großes Cercmonicll, keine Machtent faltung, er giebt nicht Audienzen, er spricht mit jedem, der ihm angenehm ist, er sitzt harmlos ans der Promenade, er kneipt wie ein biederer Deutscher Natur; dann und wann fin det c n D ncr im Freien statt, bei d.m herz'ich gelacht wird. Jetzt ist er in das große Miliiättager nach Chalons abze- cangen und tufft mit Abd-el-Kadcr zusammen, der einen Attesten nach England gemacht hat. Ob Letzter er die ihm zuzedach'.c Würde eures algieuschen Vice Königs noch erhalten wird, bezweifeln Viele. Zum Lchluß noch eini c Vemeilungcn über das trans atlantische Kabel. Mar dasselbe j tzt auh, wie zu fürchten, nicht gelegt werden können, eec Wen ist gezeigt, und ein drittes Mal gelingt vielleicht, was zwei Mal mißlang. Nicht ! e.' I