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«L rsi. Zehnter Jahrg. Mittwoch, S. August 1883. Erscheint: «stich früh 7 Uhr. Inserate «erd« angenommen: »w Abend- v,Sonn tags bis Mittags 12 Uhr: Marienstraße IS. 5 Monnemenl: «trneljährlich 20Ngv bei ilnentgrldlicherAr» strnng in'« HanS. Durch die Königs Pos vierteljährlich 22 Ngr Einzelne Nummer» 1 Ngr. Unzeig- in dies. Blatte, da° jetzt i° Exemplare» erscheint» Puden eine erfolgreich« Verbreitung. Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. Mitredacteur: Theodor Drobisch. Inseratenpreise: FUr den Raum einer gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Einge sandt" dir Zeil« 2 Ngr. Druck und Sigenlhum der Herausgeber: Piepslh öl tzteichardt. — Beraniwortlicher Redaeteur: Julius Rellhardt. Dresden, den 9 August. Wie bereits in diesen Blättern gemeldet, ist das Lincke- sche Bad durch Kauf in die Hände d«s Herrn Wrüchy über- qegangen und Herr Schmidt, früher Ober- und Zimmer kellner bei Herrn Henne, dann Pachter der Gerlach'schen Wein handluna, hat pachtweise das bekannte Etablissement übernom- inen Das Local wird glänzend hergerichtet und Herr Musik- direcior Louis Pohle hat vorläufig die >ür Donnerstag und Sonntaa anbcraumtcn Concrrte übernommen. Von d.m treff lichen Leiter und seiner musikalischen Capelle, sowie von der Energie und dem feinen Takt des Herrn Schmidt läßt sich daher das Beste erwarten und die feine Gesellschaft, welche bisher auf dem Lincke'schcn Bade verkehrte, dürfte sich von neuem und um so zahlreicher in den Räumen einfinden, da die Namen der Obgenannten Bürge für Genüsse sein dürften, welche die Annehmlichkeiten des Lebens erhöhen — Geht man den im Ganzen Kur seiten auftauchenden Beschwerden gegen die Polizei auf den Grund, so ist es in der Regel die Unzufriedenheit, durch ein untergeordnetes Organ dieser Behörde nicht diplomatisch fein genug erinnert oder ver warnt worden zu sein. Für 20 Th ler monatlich wird aber schwerlich immer ein Bismarck oder Palaierston zum Stadt- Gendarm zu gewinnen sein, und wer weiß, ob solche vornehme Herren so gut wie es im Allgemeinen bei uns zu finden, ihr Amt versehen würden. Gleich eben auf der Vogelwiese haben wir ein prächtiges Beispiel der Gewandtheit eines Gendarmen erlebt. In einem Bratwurstzelt war zwischen einem Gast und dem das Feuer besorgenden Manne ein lebhafter Streit aus gebrochen Der patröullirende Gendarm kam dazu, ließ fick von beiden Seiten gleichzeitig, auf jedes Ohr ein Sprecher, ganz ruhig die Streitfrage erzählen, und sagte nur ganz liebens würdig zu dem Gaste: „Ihre Wurst wird wohl kalt werden " Sofort eilte der Gast zu seiner Wurst, der Feuermann zu sei nem Feuer, und der Zank, der am Ende schon erhebliche Di menfionen angenommen hatte, löste sich zur allgemeinen Zu friedenheit. — Dem Vernehmen nach hat der „Literat und Dichter" Kießling, welcher in den letzten Tagen mit mehreren an deren Complicn wegen Erpressung auf der Anklagebank ge> festen, zu Ende vorigen Jahres zwei von ihm verfaßte Lust spiele in einer reaommirten, hiesigen Buchdruckers! drucken lasten ohne daß er jedoch den gewünschten und gehofften schriftstelle rischen Ruhm erlangt hätte. Da es ihm nicht gelungen, sich durch dis Presse unter dem Publikum bekannt zu machen, so hat er sich der Erpressung zugewendet, und der Ruhm, in die Listen der Verbrecher eingereiht zu werden, ist ihm dadurch wenigstens gesichert. Es dürfte nicht uninteressant sein, die Ideen, welche dieser erpressungssüchtige Liebling der Musen in seinen Werken zum Wohl der Menschheit niederzulegen sich ge müßigt gefunden hat. näher kennen zu lernen. — Bei dem diesjährigen großen Vogelschießen sind nach stehenden Herren Prämien zugefallen: der KönigSspahn an Zimmermeister Scheibe (durch Meubleur Menzer), der Duca tenspahn an Mechanikers Sippel lsilbst geschossen), die Nu dolph'sche Medaille an Kaufmann Roßbach (durch Adv Zumpe), die Friedrich-August-Jubelprämie an Nedcrcteur Walther (durch Schlossermeister C. Richter), das Koplkleinod an Restaurateur Helbig (durch Zinngießermeister D eßler). das rechte oder Elbflügelkleinod an geh. Regicrungsrath Häpe (durch den De putaten Flechsig), das linke oder Landflügelkleinod an Tuch- scheerermeister Schnüdelbach (durch Silberspieaelfabrikant Ha- nrmann), das Schwanzkleinod an Lohnfuhrwerksbesitzer Winckel- mann (durch den Deputaten Noch), die Krvnenprämie (v Lin- denau'sche Medaille) an Gew»hrgalerieinspector Hänisch (durch den Deputaten W. Pfund), die Neichsapfelprämie (v. Lin- drnau'sche Medaille) an Kaufmann Wilhelm Drensinger (durch Kaufmann Alex. H-ssel), die v. Polenz'sche Prämie an Hof hutmachermeister Lehmann (durch Len Deputirten Noch), die Scepterprämie an Apotheker Schussenhauer (selbst geschossen) und die Schnabelprämie an Kaufmann Hessel sen. (selbst ge schossen) — Bei dem Mittwoch stattgehablcn Damenschießen schoß Frau Schneidermflr Pietzsch den Kön^sspahn. — Auf der Antonstraße wurde vorgestern dir Ehefrau eines Schneidergeseüen von einem bisher unbekannt gebliebe nen Ofsizierdiener überritten und am Hinterkopf und einem Oberschenkel nicht unbedeutend beschädigt Eine Herrschaft, die nun darauf in eleganter Equipage an der fraglichen Stelle vorüberfuhr, wo das Unglück gescheben und die arme Frau noch immer besinnungslos dalaz, nahm sie in ihren Wagen auf und setzte fi; an ihrem Wohnhause auf der Bautz- nnstraße ab. — Sachsens größtes Rindvieh ist nicht mehr. Gestern Bonniltag wurde im hiest,en Schlachthof der kolossal« Ochs geschlachtet, 'welcher bei der letzten landwirthschaftlichen Aus stellung den Preis davon trug. Es wog diese- kapitale Vieh circa 2700 Pfund und war Eigenthum des Fleischermeistcr Griitzner auf der Badergasse. Schon bei seinem vorgestrigen Transport nach dem Schlachthaus erregte dieser Goliath unter den Wiederkäuern allgemeines Erstaunen, und eine zahlreiche Menschenmenge gab ihm das Geleit nach dem Schlachthofe — In der vorvergangenen Nacht wollte sich im Zwin gerteich das Dienstmädchen Au rüste Schneider aus Freiberg, das hier bei einem Restaurateur dient, ertränken Ein Bäcker geselle. Namens Schlick, der zufällig dazu kam. rettete sie. Darüber, weshalb die Schneider sich das Leben nehmen wollte, ist nichts Bestimmtes bekannt. — Zweite telegraphische Depesche aus der Neu stadt. Das Gewissen der Neustädter Thurmuhr hat sich ein bischen gerührt. Gestern früh ist sie — hört! hört! um 10 Minuten weiter gerückt; sie zeigt jetzt 12^ Uhr. Es lebe der Fortschritt! — In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag (3. bis 4. August) sind mittelst Erbrechung von 4 Lokalitäten bei dem Kaufmann Standfuß in Possendorf und nach Durchsuchung vieler Kisten, Kommoden rc„ mehrere Quantitäten Cigarren, sowie Champagner und ca. 50 Thaler Geld, größtentheils alte Münzen (Dollar. Kroncnthaler, Francs. Bremer Grote. Bergmannsthaler, Sterbethaler, Goldstück mit Bildniß re.), entwendet worden. — An dem Schausinster eines Sirumpfsabrikants auf der Hauptstraße der Neustadt war während des Sängerfestes folgender Vers zu lesen: Womit uns Tiploniatcnkunst beglückt, Ist sicher nur verwirkt und auch verstrickt: Und ist es erst bezahlt ans deutschen Taschen, Tann geht zuletzt noch Alles aus den Maschen. D'nnn, wollt ihr etwas häb>n von Bestand, Dann nehmt den Faden selber in die Hand, Und webt und wirket fleißig ohne Stocken, Tann bringt ihr Deutschland sicher ans die Socken! — — Ein in seinen Folgen unberechenbares Unglück hätte — wie die „D. A. Z " berichtet — in der Nacht auf den 7. August um 1 Uhr den Lindau-Berliner Courierzug, welcher um 3 Uhr 40 Minuten auf der baierschen Bahn in Leipzig anlangte, auf der S.recke zwischen Mehltheuer und Hof be treffen können. Eine ruchlose Hand hotte nämlich in der Nähe des Dorfes Sirau quer über das Gleis, auf welchem der er wähnte Zug zu fahren hatte, eine Eisenbahnschiene und vor dieselbe, um ihr mehr Widerstandsfähigkeit zu geben, noch meh rere große Steine gelegt. Das teuflische Werk sollte indcß nicht gelingen. Denn durch die an der Locomotive vorn angebrachten sogenannten Räumer wurde die Schiene vom Gleise herunterge schoben und durch die Gewalt der im schnellsten Laufe daherbrau senden Maschine tief in den Bahndamm hineingebohrt. Infolge dessen aber stoben Erdreich und Steingeröll in die Höhe, auch wurden die bei der Schandthat verwendeten großen Steine in die Höhe und in den Nebenbau der Maschine, unter welchem das Fahrpersonal sich aushielt, hineingeschleudert, so daß die darin befindlichen Fenster total zertrümmert wurden. Ein großer Stein traf auch den Wagenmeister Noscher und verletzte ihn nicht unerheblich am Kopfe, im Uebrigen aber kam dcr Zug, der nur einen stallen Stoß erhielt, Gott Lob! unbeschädigt über das ihm bereit-.te unheilvolle Hinderniß hin weg. Als der Unthat verdächtig ist ein Einwohner von Sirau angehalten worden, welchen man unmittelbar nach dem Eceiz- niß unter einer Bvhnüberbrückung, anscheinend lauernd, be troffen hat. — Dem Vernehmen nach ist der Kais. Russische wirk liche Staatörath v. Kotzebue, der nach der Abberufung des früheren K. Russischen Gesandten am dikß'eiligm Hofe, des wirklichen Geheimen Rath von Kakoschk.n, Excellenz. dis Ge schäfte der Gesandtschaft geleitet hat, zum K. Nuss Gesandten am badischen Hofe ernannt worden, und wird demzufolge in der nächsten Zeit von hier nach Carlsruhe übersiedeln. Dar- über, wer als Gesandter Rußlands nach Dresden kommm wird verlautet noch nichts Gewisses, doch spricht man davon, daß hierfür der bisherige Gesandte Rußlands am k. griechischen Hofe in Athen, Graf Plutoff in Aussicht genommen sein soll. — Wie wir hören, soll dis Frauensperson, die sich wäh rend der vergangenen Vogelwiese als „Flora" ausstellen ließ, aus Berlin stammen, und die Ehefrau eines gewissen Epp- mann von dort sein, der sich in ihrer Begleitung auch hier befunden hat. — Der für Frachtbcförderung und Schleppdienst be- st'mmle Dampfer „Joseph Ruston", erstes Schiff der neu,ge. qründeten Etbdampsschifffahrtsgesellschaft, machte am Sonn abend seine erste gelungene Probefahrt. — Am Ausgang der Marienbrücke (Altstädter Seile) rechts steht ein blühender Birnbaum, welcher zugleich Früchte trägt. — Ein fremder Schiffseigner war am vergangenen Sonn abend nach Dresden gekommen, um sich die Vogelwiese ein mal anzusehen. Zur Erhöhung des gehofften AnrlTcmentS, cngagirte er sich in einer hiesigen Restauration cmc junge Dame, die er dort zufällig getroffen und als rccht unterhal tend kennen gelernt hatte Er ließ sich vorher ncch einen Zwanzigthalerschein wechseln, den er sich vornahm, mit seiner Dulcinea zu verwichsen und fuhr darauf mit ihr in einem eleganten Zweispänner nach der Vogelwiese ab. Kurz nach ihrer dort erfolgten Ankunft, war seine Begleiterin aus seiner Nähe verschwunden. Er fand sie auch nicht wieder; sie hatte ihn treulos verlassen, trotzdem sie ihn auf der Fahrt noch um armt und geherzt. So sehr ihn auch ihr Benehmen wurmte, so wußte er sich doch darüber hinwsgzusetzen und stürzte sich nunmehr allein in den Strudel der Vergnügungen. Bald gab es eine Gelegenheit, wo e: nach seinem Gelbe greifen mußte. Da Plötzlich vermißte er von jenen 20 Thalern, die er sich, gegen die Banknote eingewechselt, den Betrag von 14 Tha lern. Dieselben mußten ihm aus der Westentasche, in der er sie verwahrt, gestohlen worden sein. Und wer weiter sollte sie ihm gestohlen haben, als jenes Mädchen, das er mit auf die Vogelw-ese g bracht, und dis sich alsbald darauf von ihm weggedrückt hatte. Er zeigte den Vorfall der Polizei an, diese ermittelte das Mädchen, und in ihm auch wirklich die Diebin. Sie hatte den Diebstahl im Wagen verübt, bei Ge legenheit, wo sie ihren Begleiter wiederholt umarmt hatte. Letzterer war naiv genug cewesen, darin einen besonderen Grad der Zuneigung seiner Begleiterin zu ihm zu erblicken, und soll ob der ihm widerfahrenen Täuschung beschlossen haben, im Engagement von Damen zukünftig vorsichtiger zu Werke zu gehen — Aus dem Plauen'schen Grunde. Am verflosse nen Sonntage Nachmittags wurde in Döhlen unter stark.r Betheiligung von Seiten der Parochianen ein neuer, großer und sehr schön gelegener Gottesacker vom Herrn Pastor Rö misch daselbst feierlich eingeweiht. Die bei dieser Gelegenheit von dem obengenannten Geistlichen gesprochene, sehr erhebende Weihrede machte auf alle Hörer sichtlich tiefen Eindruck; man ches Auge, das sonst nie geweint, wurde feucht und Mancher gedachte wohl schmerzlich der bereits entschlafenen Seinen und der Stunde, wo man auch ihn hierher betten wird, daß sein Leib zu Asche werde, die Seele aber sich aufschwinge zu Gott, der sie gegeben hat! — — In Meißen fand am Sonntag in der „Sonne" die Jahresversammlung des Gesammtvereins der sächsischen Ste nographen statt. Geh. Neg.-Nath Häpe präsidirte, Professor Hehde hielt einen längeren Vortrag, die Versammlung bewil ligte 50 Thlr. als Beitrag für die jetzt ins Leben tretende Rätzsch-Stiftung. Nachdem noch mehrere geschäftliche Dinge abgewickelt waren, vereinte man sich zu einer frohen Tafel und machte schließlich noch einen Spaziergang in die Umgegend Meißens. — st Oeffentliche Gerichtsverhandlung vom 8. August. Friedrich August Mohn, Steindruckcr, 25 Jahre alt, unverheirathct, schon oft bestraft,Kist der Unterschlagung angeklagt, die er im August 1863 in Dresden begangen. Da sungirte er hier bei dem Nudclfabrikantrn Neumann als Handarbeiter. Am 25. August wurde er beauftragt, eine Kiste mit Nudeln an den Kaufmann Alberti zu bringen. Er bekam die qusttirte Rechnung mit und sollte das Geld ein- ziehcn. Das that er Alles. Er zog die 2 Thlr. 15 Ngr. ein ging aber zu Reumann nie wir der hin, sondern reiste nach Leipzig. Die zweite Sache lpiclt plötzlich in Ungarn und zwar in Pesth. Im März 1864 kam Mohn nach Wien und lernte dort den 24 jährigen Steindruckereibesitzcr Leopold Deutsch aus Alt-Ofen kennen. Deutsch cngagirte ihn als Gehilfen mit monatlich 12 Gulden und freier Hin- und Rückfahrt per Dampfschiff. Er gab ihm 2 Gulden Drauf geld und fuhr nach P.sth. Abends fuhr Mohn auf der Do nau nach Das Passagürgeld hatte D u'.sch selbst für ihn be-ahlt. Mohn kum an, sah sich die Druckerei an, fand aber, wie er sagt, daß er diesen Arbeiten nicht vorstch-.n könnte. Scine Mitgkhilfen sprachen kein Deutsch nur ein Leipziger war da, dcr sich seiner annahm. Doch schon am an'ern Tage war auch hier Mohn spurlos verschwunden, nachdem er sein Arbeitsbuch zurückgc lasst». Im Herbst 186t taucht Mohn plötzlich in Breslau auf und zwar als Stcindruckcreigehilfe in der Offizin des Oberschlesischen Bahnhofes. Dort arbeitete er vier Monate schon mit einem täglichen Gehalt von 11 Sil- bergrosch n Er hatte sich lange . Zeit kein Lohn auszahlen lassen, >o daß etwa 9 Thaler zusammengckommen waren. In dicstr Babnhoss-Druckerei arbeircte er unter Aussicht des Ober druckers Schmelzer, der ihn für einen ehrlichen Menschen hielt; denn er hatte erzählt er gehöre Lein evangelischen JünglingS- vcrein an und besuche auch regelmäßig'die Andachlsstunden. Am 23. Oktober 1864, cs war eines Sonntags, arbeitete er wieder m der Offizin und sah, wie Schmelzcr einen gestrickten Geldbeutel in den Tisch schloß, in welchem 30 Thaler lagen.