Volltext Seite (XML)
Nr. 218. Zehnter Jahrg. ^»scheint: «glich stütz 7 Uhr. Inserate «erden angenommen: btr Abends 0,Sonn tag- bis Mittag» 12 Uhr: VtarienstraS« 18. Unzelg. in dies. Blatt«, da» stvt in U,l^U Exemplaren erscheint, Audeu eine ersolgreich« Verbreitung. Sonntag, 6 August 1863. Tageblatt für Unterhaltung nnd Geschästsvcrlehr. Mitredacteur: Theodor Drobisch Druck und Ligenthum der Herausgeber: Oiepsäj tlr ^Iklchardt. — Verantwortlicher Redacteur: JullUS Rklchardt. Fksnnemerlt: Vierteljährlich 2v8tgv bei uiici>tgeldli6-er itl> serung in'e Haus. Durch die LSnigl. Pof vierteljährlich 22 Ngr Einzelne Nummerr 1 Ngr. Anserakenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Einge sandt" d e Zeile 2 Ngr. Dresden, den 6 August. —f Das am Freitag Abend stattgehabte Feuerwerk auf der Vogelwiese verlief, wie alle Jahre, gut, obgleich sich der Enthusiasmus des Publikums diesmal gerade nicht so geltend machte, wie sonst. Auch war der Andrang kein so starker. Freilich standen schon ganze Reihen von Zuschauern an der Blasewitzer Straße lange Zeit vorher aufgepflanzt, und es war diesmal mit Freuden zu bemerken, daß die Equipagen sus dem Wege geräumt waren, während im vorigen Jahre mehrfache Unglückssälle sich erei neten, dadurch, daß die Wagen mitten in das Publikum hineinfuhren und die Pferde beim Abbrennen der Feuerwerk?körper scheu wurden und auf die Seite ins Publikum hineinsprangen. Diesmal lief Alles in Ruh: und Fueden ab. Was das Feuerwerk selbst betrifft, so bot cs zwar mcht viel Neues, doch war es mit aller Kunst arrangirt. Einen interessanten Anblick gewährte die Beschießung der Festung. Das Wetter war günstig und stachen die herr lichen Feuerblumen in allen Farben von dem dunklen Nacht- Hammel ab. Bald verlief sich die Menge wieder und ergoß sich in die Straßen der Vogelwiese in Strömen, durch welche hier und da fröhliche Karawanen mi: Gesang zogen, aus denen einzelne maskirte Gestalten hervorragten. Ader Alles in Ge- müthlichkeit! Alles in Liebe! Wenn auch hier und da einmal ein unverschämter Ellenbogen sich in die SJte des Neben mannes einbohrte, das wurde nicht beachtet. Auch die Schau buden machten an diesem Abende gute Geschäfte. Alles drängte sich hinein, um seinen Neugroschen los zu werden. Die Ca- roussells raffelten im raschen Kreise, die Bratwürste glühten, die Wü fel rollten auf den Trschm herum, die Menge an lockend, um ein n baumwollnen Regenschirm für 20 Ngr, oder einen Salznapf für 10 Pfennige zu gewinnen Die Pfrffer- küchler unv Kuchenbäcker setzten ihre süße Waare in Menge ab. Leider war diesmal tie Bettelei sehr stark vertreten Jede Minute wurde Einem eine Mütze, oder ein Teller, oder ein Blechkasten unter die Nase gehalten, wa« eigentlich nicht als Brtte galt, sondern nur als kategorischer Imperativ: „Mensch, bezahle!' In manchen Schaubuden fand man aller dings nicht Das, was man erwartete; denn hinter den pom pösen Paradebenennungen steckte oft werter nichts, als bloße Stereoskopen, die wir längst an den Schaufinstern gesehen. Die Tanzsäle, namentlich der Apollosaal, machten glänzende Geschäfte. — Vor einigen Tagen logirte sich in einem hiesigen Hotel ein Lerr wit zwei Damen ein, die er für seine Braut und künftige Schwiegermutter ausgab. Dieselben stammen aus einem in der Nähe gelegenen kleinen Herzoglhum. Dort hatte der Herr ihre Bekanntschaft gemacht und sich mit seiner Zu künftigen verlobt Diese sowie ihre Mutter waren ihrem Bräutigam und Schwiegersohn in spo nach Dresden, seinem Geburtsorte, gefolgt, um hier eine Erbschaft zu erheben, die ihm zugefallen sein solste. Nachher wollte man ins.esammt nach dem Wohnort der Schwiegereltern zurückrcisen, dort sollte ofort darauf die Hochzeit gefeiert werden und die jungen Ehe leute wollten sich daselbst ankaufen und dauernd niederlaffen. Unter solch glücklichen Auspicien ließ man es sich hier im Hotel recht wohl ergehen Man dinirte und soupirte höchst fein und nie durfte bei diesem Anlaß eine feine Flasche Hochheimer fehlen. Da plötzlich verschwand die Schwiegermutter in 8pe. TagS darauf blieb auch die angebliche Braut aus dem Hot l weg; und als vorgestern auch noch der B äutigam in de sel ben Weise verduften wollte — natürlich ohne vorher die auf gelaufene Zeche zu bezahlen — da wurde dem Hotelier die Sache doch bedenklich; er machte kein großes Federlesen mit dem sauberen Gast, sondern schloß ihn in sein Zimmer ein und suchte sich Hilfe bei der Polrzet. Diese erkannte in dem Durchbrenner einen oft bestraften Schloffergeffllen von hur, der bis auf 7 Ngr aller Geldmittel baar und ledig war, so daß dem Hotelier nach Lage der Sache nichts übrig blliben wird, als seine Forderung in die Oesse zu schreiben. Natür lich war auch die vermeintliche Erbschaft, von der er leinen Damen vorgeredet, nicht vorhand-n. Jedenfalls sind L tztere noch während ihres Hierseins darüber aufgeklärt worden und haben es daher vorgezogen, sich bei Z ilen von hier zu ver ziehen und die Pläne mit ihrem Begleiter aufzugeben. — — Der von un» gestern erwähnte Privatbuchhalter, der vor einigen Tagen bei Gelegenheit seiner Arretur eine größe e Quantität in Wasser aufgelösten Phosphor in der Absicht zu sich genommen hat. um sich dadurch zu vergiften, wird, wie wir neuerdings erfahren, jedenfalls am L<ben erhalten werden. Er ist verheirathet und Vater von vier kleinen Kindern. Sein Verdienst war fast immer nur so gering, daß er zur Unterhal tung seiner Familie »icht auSreichte. Als die Noth einmal wieder recht groß war, wurde er zum Verbrecher und kassirte ohne Auftrag und Erlaubniß einen Geldbetrag von 300 Tblr». fiiu, de» einer seiner früheren Principal« von eine« Geschäfts freund außerhalb Dresdens zu fordern- hatte. Natürlich lie ferte er ihn nicht ab, sondern verwendtte ihn in seinem und seiner Familie Nutzen. Leider hat er sich einer ähnlichen Handlungsweise schon früher einmal schuldig gemacht und er scheint sonach rückfällig. — — Gestern Vormittag E10 Uh? ist eine Colonne vom CommiffariatStrain, bestehend aus vier mit Mehl beladenen zweispännizen Wagen unter Commando eines Unteroffiziers die Löbtauerstraße bereingefahren, als in der Nähe der Cotta straße der Dainsoldat des zweiten Wagens abgestiegen und, weil er die Pferde frei hat gehen lasst», diese durchge,Zangen sind. Vor dem Hause Nr. 14o ist daZ Fuhrwerk einem an deren mit Kartoffeln beladenen einspännigen Wagen begegnet, und mit letzterem so zusawmengeiannt, daß die Deichsel des Trainwagens das vor dem anderen Geschirr vorgespannte Pferd erheblich verletzt und dieses auf der Stelle verendetist. Der Besitzer diests Pferdes ist der Fuhrmann Kästmodel aus Deuben. Derstlbe hat, als der Vorfall sich ereignet, auf dem Sitzkasten des Wagens mit seiner Frau gesessen. Letztere ist durch den Zusammenstoß der Wagen von ihrem Wa:cnsitze berabzestürzt, glücklicherweise aber nicht verletzt worden Die Trainpferde sind nach dem erfolgten Zusammenstoß ruhig stehen geblieben. — Am Sonnabend Vormittag verursachte die Arretur einer Diebin aus der Blumenflraße einen großen Menschen auflauf Aus einem Wagen eines Loschwitzer Fleischers hatte das Frauenzimmer einen Korb mit ca 60 Pfd. Fleisch ge stohlen Da sie sehr robust war, glaubte sie ihrer Arretur sich gehörig widersetzen zu rürfen, indessen die Polizei sowie mehrere handfeste Männer hatten vor dieser Vertreterin des schönen Geschlechts nicht viel Respcct, banden ihr die Arme und transportirten sie un galanterweise uuf einem Handwagen dorthin, von wo sie sich, wenn auch nicht nach den Fleisch töpfen Egyptens, doch nach den Flcischkörben von Loschwitz zurücksehnen wird. — Künftigen Montag findet das Benesice eines mehr jährigen Mitgliedes des zweiten Theaters, Herrn Theodor Kretzschmar's statt. Der Name des Stückes heißt: „Vom Sängerseste." Dresdner Lokalbilder in 5 Nahmen von Theo dor Kretzschi ar. Die einzelnen Akttitel gestatten einen Einblick in das Innere des Stückes: 1) Eine Wittws und ihre Sänger gäste. 2) Beim Echustermeister Holzstift. 3) FZlplatzereignisse. 4) Ein geriebener Schusterjunge, 5) Glücklicher Wohnungs wechsel. Das Stück ist reich an komischen Situationen, und dürfte die Wahl eine glückliche zu nennen sein. — Gestern Vormittag in der 0. Stunde wollte rin großer, mit Steinen beladener Kahn die alte Elbbrücke passiven, steuerte dabri anfangs richtig auf den vierten Strombozen (von Alt stadt aus) zu, wendete sich jedoch später, und zwar zu spät, nach dem dritten Bogen und wurde dadurch — es befand sich kein Lootse am Bord — von drin St.ome hinübrr gedrängt, so daß er das Steuer verlor und sich quer vor den 3. und 4. Pfeiler legte, durch die große Schiffswinde aber baldigst wieder flott gemacht wurde. — Wir empfingen folgende Zuschrift: Hochgeehrte Re daktion! Die Bitte oder Bc'chwcrde eines Einzelnen ist nichts, wenn es sich um Mißstände im öffentlichen Leben hantelt. Die Presse ist die rechte Macht. Gewähren Sie mir 2 Mi nuten Gehör. Ich führe Sie im Geiste zu einem unserer Bahnhöfe; wir kommen crwännt a», nehme» ein Billct 3. Klaffe, besteigen den Wagen, der Zug bewegt sich und sofort beginnt ein Zugwind durch die offenen Fenster und über die niedrigen Scheidewände hinweg sich zu erleben, der weniger starken Naturen empfindlich, gefährlich, ja oft schon tödtlich gewesen ist. Warum nun eine so große Zahl von Menschen, dis nicht 2. Claffe fahren können (die, welche nicht wollen, gehen uns nichts an), so rücksichtslos behandeln? Ist deren Gesundheit weniger Werth, als derer, welche sich auf weichem Polster schauk-ln lassen? Es gälte, die Direktionen der Eisenbahnen zu bitten, zu mahnen: die Scheidewände der Wagen 3. Klasse so hoch zu machen, daß dieselben dem Kopfe des Fahrenden vollen Schutz gewähren. Herr v. Weber ist für die physische man könnte sagen Mißhandlung der Elsenbahnbeamten mit Erfolg eingetrete»,*) thun Sie es für das Publikum Der Dank wird Ihnen nicht ausbleiben. Mit aller Hochachtung 11. II. — Gestern Morgen gegen 3 Uhr hörte man auf der Blasewitzer Straße den wiederholten Ruf: „Hilfe! Hilf«!" be gleitet mit: „Halt auf! Halt auf!" Hereingestürzt über Stock und Stein kam nach der Vogelwiese wie ein gehetztes Wild ein Oberjäger. Derselbe hatte bei eineiin kleinen Streit seinen Hirschfänger gezogen und zwei junge Leute am Kopse verwun det. Er wurde von einem Herrn gepackt und mit dazu ge- *) Siehe: Gefährdungen des Personals beim Fahrdienst der Eisen bahnen, von M. v. Weber. Auerbach, Polkskalender 1864. Holter Polizei und Militär-Patrouille nach der Mi'iiäcwache gebracht. Man hatte ihm unterwegs schon seine Waffe ent rissen, dieselbe wurde ihm jedoch merkwürdiger Weise wieder übergeben, und kurze Zeit darauf, als man glaubte, er würde mit militärischer Escorde nach der Stadt gebracht, erklärte der wachhabende Corpora! von der Leib-Brigade, daß ihm sein Arrestat entwischt sei. Wie und auf welchem Wege diese De sertion erfolgen konnte aus der Mitte der Bayonnete, blieb ein Näthsel Der Grund zu dem Streite soll in einem Lirbes- handel zu suchen sein. — „Das ist des Guten zu viel," konnte man gestern Mittag sagen, als einer der bekannten Straßen-Sprengwagen bei vollem Negenwetter über den Allmarkt fuhr und seine Schleußen auch noch öffnete. Solch doppelte Sprengung, natür liche und künstliche, sah komisch aus. Wahrscheinlich sollte das Sprcngfaß nur seiner überflüssigen Füllung entledigt werden. — tz Oeffentliche Gerichtsverhandlungen vom 5. August. Die heutige Verhandlung verspinnt sich nach vie len Seilen hin und ibr Inhalt spielt theils in Berlin und Leipzig, theils auf Sperlings Weinberg in Loschwitz im Hause des Malers Niemann Der erste Angeklagte, Johann Carl Emil Hänsgen, ist 35 Jahre alt, zu Dresden geboren, Hand arbeiter, seit 3 Jahren verheirathet, Vater eines Kindes und war zulctzt rother Dienstmann mit der Nummer 250. Er ist wegen Diebstahls schon oft und schwer bestraft. Von 1851 bis 1854 saß er drei Jahre und 5 Monate im Arbei shause, 1855 im Zuchthause, dann zweimal im Gefängniß und außer dem noch zweimal im Arbeitshause. Der zweite Angeklagte, der Bruder des ersteren, Wilhelm Oscar Hänsgen, ist erst 22 Jahre alt, unverherrathet, noch unbestraft, zuerst Kauf mannslehrling, später Kellner im Hüiel de Pologne und auf dem Linckeschen Bade. Der dritte Angeschuldigte hußt Friedrich Ferdinand Kießling 30 Jahre alt, verheirathet, früher Tischler- geselle, zulctzt Literat (?), Vater cines Kindes und blos wegen Beschädigung fremden Eigenthums mit 5 Thaler Geldstrafe belegt. Sie sind alle drei höchst elegant gekleidet, Kießling trägt eine Brille. Es sind sieben Zeugen vorgeladen, als Verletzte erscheint die verehelichte Maler Carolina Louise Hed wig Niemann aus Loschwitz. Die Sache ist kurz folgende. Auf Niemann's Besitzung in Loschwitz wächst viel W-in und da die Trauben wahrscheinlich auswärts besser verkauft wer den, als hier, so sandte die Frau Niemann ihr damaliges Dienstmädchen, Amalie Henriette Reichelt, jetzt verehelichte Fretschner, mit der Waare nach Berlin, wo sie im Verein mit einem gewissen E. Meier, der auch W:in hatte, sich vereinigte und auch wirklich ihre Waare an den Mann brachte. Um der Neichelt die Geschäftsführung in Berlin zu erleichtern, wurde ein rother Dienstmann, der schon genannte Emil Häns- gen ihr initgegeben, der vom Institut aus geschickt wurde und sich neben seinem wöchentlichen Gehalte von Seiten der Di rektion eine tägliche Auslösung von Seiten der verehelichten Niemann auSmachte und zwar durch die Neichelt Er reiste mit und will vom 23. September bis l5. November 1864 in dem erwähnten Geschäft abwesend gewesen sein. Er ver langte dafür zuerst 5, dann 10 Ngr. Auslösung für den Tag. Ti- Amalie Neichelt wird nun von Hänsgcng beschuldigt, aus diesem Weintraubenverkaufsgelde, das einen gewissen E Meier mitgehörte, 50 Thaler gestohlen und sie dann der Frau Nie mann gegeben zu haben. Diese einzige Thatsache ist der Grund zu den ganzen Erpressungen, welche d e Drei an der Nie mann begangen; denn Emil HänSgen, zurückgckchrt aus Ber lin. verlangte zuerst 9 Thaler Auslosung von der Niemann, dann noch einmal 9 Thaler. Er erhielt sie, die Frau fand dies in der Ordnung. Er quittirte darüber und bekannte auf dieser Quittung, daß er von der Niemann nichts mehr zu for dern habe. Die Sache ruhte nun eine Zeit lang. Bald darauf erhielt die Niemann zwei Briese nacheinander, in wel chen Emil Hänsgen und zwar in jedem von ihnen 20 Tha ler verlangte, im Nichtzablungsfalle würde er sofort der Behörde Anzeige davon machen, daß die N-ichel in Berlin die 50 Thaler gestohlen und sie der Niemann gegeben. Da beauftragte die Niemaiin den „Dichter" Kießling, wie er sich selbst nennt, mit dem HänSgen zu unterhandeln, um der Sache ein Ende zu machen. Kießling reiste sogar nach Berlin und ließ sich von dem E. Meier ein Zeug- niß ausstcllcn, daß ihm die Reichel nichts gestohlen habe. Kießling kam zurück, ging zu Emil HänSgen, der dieses Leu- mundszeugniß mit unterschreiben sollte, was er aber verwei gerte. Jndeß, sie einigten sich bald, tranken sogar auf dem Waldschi ößchen Biüderschaft. Es wurden nunmehr gegensei tig eine solch« Menne Ehrenerklärungen schriftlich ausgestellt, daß ein aanzes Aktenstück auf dem Gericht-tische vorliegt. Jedes erhielt eine Ehrenerklärung, die Niemann, die N iche', -er Hänsgen. ja sogar Kießlirm. J-> riesen Ehrenerklärungen ä-en sich die Parteien die größten Complimcnte. Die zwei mal 20Thaler zahlte die Nirmann. Das ermuthigte deu