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«r. OK. Remtter Jahrg. c-Srschfi,t: Täglich stich 7 Uhr. Anserate werden angenommen: bisAbendSS,Sonn tags bi« Mittag» 12 Uhr: Maricnpraße 18. Anzeig. in dies. Blatte, da« jetzt in ISMO Exemplare» erscheint, finden eine ersotgreichc Verbreitung. Mittwoch, 7. Decbr. 1884. Tageblatt für Unterhalttmg und Geschäftsverkehr. Mitredacteur: Theodor -robisch. Monnemenl: Vierteljährlich S0R»x. bei unentgcldlicherÄo« serung in'« Hem». Durch die Königl. Post vierteljährlich W Stg». Einzelne Nunune« 1 Ngr. Inseratenpreise: Für den Raum ein« gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Etage- sandt" di, Zeile L Rgr. Druck und Eigenthum der Herausgeber: ttikpsch 8k N eicharitt. — BeranNvortlicher Redacteur: Julius Neichardt. Dresden, den 7. December. — Die Vermählung des Herzogs Karl Theodor in Baiern mit der Prinzessin Sophie k. H. wird (wie man aus München meldet) am 17. Januar in Dresden vollzogen. Die Feier wird durch die Gegenwart der Kaiserin von Oestreich ver herrlicht werden. Dem Vernehmen nach soll auch die Anwe senheit des Kaisers von Oestreich und des Großherzogs von Toscana nicht unwahrscheinlich sein. —- Das königl. Ministerium des Innern hat neuerdings verordnet, daß die Druckschriften Jacob Casanova's Memoiren, deutsch von L. von Alvensleben, im Verlage bei Neubürger in Dessau und Die Bibel, für denkende Leser bettachtet von Gustav Adolph Wislicenus, im Verlage bei Ernst Keil in Leipzig, in Leihbibliotheken und Leseinstituten ferner nicht mehr geführt werden dürfen, daß auch das Colportiren des letztem Werkes wegen seines gemeingefährlichen Inhalts nicht zu gestatten sei. — Morgen findet eine öffentliche Sitzung der Dresdener Handels- und Gewerbekammer statt. Auf der Tagesordnung stehen u. a. die Anträge der Herren Kaufmann Serbe (Dresden) und Kaufmann Nicolai (Pirna) über Reformen des Post- Wesens; ferner: die Verordnung des Justizministeriums über zu erfolgende Vorschlagswahlen zur Ergänzung der Handels gerichte in Meißen und Pirna. — Die Beurlaubungen der in den vergangenen Tagen plötzlich rinberufenen Mannschaften haben bereits gestern be gonnen und sollen deshalb auch bereits den hiesigen Eisen bahnverwaltungen wegen Benutzung der Bahn Seiten der in ihre Heimath zurückkehrenden Urlauber die erforderlichen Wei sungen zugegangen sein. — Das in hiesiger Stadt stationirte k. k. österreichische Etappen-Commando, das aus einem Hauptmann, einem Ober leutnant und mehreren Unterofficieren besteht, wird, wie wir hsren, auch noch ferner hier in Thätigkeit verbleiben, weil einmal noch nicht sämmtliche österreichische Truppen aus Schleswig herausgezogen und insbesondere dort noch viele öst«reichische Mannschaften aufhältlich sind, die zur Zeit noch krank in schleswigschen Spitälern liegen. — Die Waldschlößchen-Socictät zahlt für das vergangene Jahr incl. 4sj bereits bezahlter Zinsen, 14 l! Dividende pro Aktie. — Wie uns von wohl unterrichteter Seite mitgetheilt wird, soll nicht, wie gestern erwähnt, die neue Straße am rothen Hause „Beuststraße" benannt werden, sondern der Environweg, der vom Dohnaischen Schlage nach der Sidonien- praße führt und wo neuerlich das Bethaus der hiesigen griechisch-unirten Glaubensgenoffen erbaut worden, soll die Benennung Beuststraße erhalten. Dagegen wird jene von der Pirnaischen Straße aus, nach der Pillnitzerstraße führende, «m rothen Hause beginnende Straße „Circusstraße" und die von der Eircusstraße nach der Albrechtsgaffe hin angelegte Straße „Grunaer Straße" benannt werden. — Schon neulich hörte man eine Stimme die Freude bekunden, die die endliche Eröffnung der neuen Gasanstalt Hervorrufen würde, indem alsdann doch sicherlich eine wesent liche Verbesserung der Beleuchtung und besonders die zur Zeit noch gänzlich fehlende Beleuchtung einzelner Straßen zu er warten sei. Diese Stimme hat aber noch gar nicht den wich tigsten Punkt hinsichtlich mangelhafter, bez. fehlender Beleuch tung getroffen. Man gehe nur in der jetzigen Zeit, zu wel cher der Tag erst in der achten Morgenstunde anbricht, in den früheren Morgenstunden, in denen schon ein geschäftliches Leben auf den Straßen beginnt, also vielleicht um 6 Uhr in denjenigen Straßen herum, die das Landfuhrwerk besonders an Tagen der Wochenmärkte passirt, und man wird staunen, wie man sich in totaler Finsterniß an den Häuserreihen fort- greisen muß und wie man in steter Gefahr schwebt, unter Wagen und Pferde zu kommen. Daß der Behörde dieser Uebelstand unbekannt geblieben, ist nicht anzunehmen; daß die Unterstützung des Mondes in dieser Frage immer nur einige Tage jeden Monats währt, ist eine bekannte Thatsache, folg lich kann nur der Mangel an Beleuchtungsstoff Ursache hier- , -von sein, und deshalb folgert man wohl nicht unrichtig, wenn man mit Eröffnung der neuen Gasanstalt auf eine definitive und vollständig ausreichend« Beleuchtung aller Straßen und Plätze — so lange nicht der Tag dieselbe überflüssig macht — rechnet. — Am Hotel de Pologne wurde gestern Nachmittag «ine schon bejahrte Frau von einer unnummerirten Droschke überfahren und bedeutend am Kopfe verletzt. Sie wurde ins Gewölbe des Herrn Kaufmann Dreßler geführt, wo ihr die nöthige Hilfe bereitwilligst geleistet wurde. Der Kutscher kam vom Altmarkt her scharf gefahren und die verunglückte Frau konnte ihm nicht schnell genug auSweichen. Zwei Heoren hielten den Kutscher sofort an. — Der Vorstand des sächs Pestalozzivereins hat als Vor feier des Geburtsfestes unser» geliebten Königs für Sonntag den 11. Dec. eine musikalisch - deklamatorische Soiree veranstaltet, welche ein sehr interessantes Programm bieten wird. „Die Ruinen von Athen" eine außerordentlich wirksame Musik von Beethoven, werden vom Chorgesangvereine unter Leitung des Musikdirektors Pfretzschner als erste Nummer des Programms vorgettagen. Die Dichtung ist ursprünglich von Kotzebue und wurde zur Einweihung de- Pesther Theaters als Festspiel aufgeführt. l>r. Lindnrr hat das Drama in einen Monolog zusammengedrängt, welcher der Feier des Tages angepaßt ist. Bereits vor sechs Jahren wurden die Ruinen von Athen mit dem erwähnten Arrangement im Texte unter außerordentlichem Beifalle zur Aufführung gebracht. Die Hofschauspielerin Frl. Ulrich wird den Zwischentext sprechen und außerdem einige Piecen recitiren. Ferner werden Frau Kapellmeister Krebs und ihre talentvolle Tochter Mary bei dieser Soiree sich be theiligen. — Am 3. August 1844 wurde zu Gunsten der Lehrer- Waisen im Königreiche Sachsen in einer erweiterten Versamm- lurg des Dresdner pädagogischen Vereins der sächsische Pesta lozziverein gegründet. SS Jahr« find seitdem verflossen. Schneller und herrlicher, als die damaligen Gründer es ahnen konnten, hat sich dieser Verein zu einem Denkmale amtsbrü derliche Liebe erhoben. Daß das bei der Gründung gespro chene Wort: ,es solle einst keine verlassene Lehrerwaise im Vaterlande mehr geben" immer mehr verwirklicht werde, dahin geht das unausgesetzte Bemühen des Vorstandes und in diesem Streben hat er Gotte» Segen und edler Menschen Mithülfe im reichen Maaße erfahren. Davon giebt der kürz lich veröffentlichte Jahresbericht über da» BereinSjahr vom 1. Oct. 1868 bi» zum 30. Sept. 1864 ein sehr erfreuliches Zeugniß. Ueber 4500 Thlr. betrug dir effektive JahreSrin- nahme und «S konnten nicht -nur 2623 Thlr. an Untersti'rtz- ungsgeldern und 165 Thlr. als Stipendien verausgabt wer den, sondern es wurde auch noch der werbende Capitalfonds auf 27,500 Thlr. erhöht. Wenn man nun erwägt, daß dieser Verein seinen Mitgliedern keine fixirten Jahresbeiträge oder Steuern zumuthet, sondern daß er als freies Liebeswerk dasteht und als solches das Band der Eintracht und Kolle gialität um alle vaterländische (evangel-, kath. und jüdische Lehrer) schlingt, so könne er wohl als ein erfreuliches Zeichen des Kulturzustandes unsers Vaterlandes gelten — ». Die Freuden des Winters sind voll! Gestern war bereits der Teich des großen Gartms zugefroren und für Schlittschuhläufer zugänglich. Wohlauf denn, zum Schlitt schuhlauf! — Der 29 Jahre alte Buchbindergeselle Albert Hermann Böhme aus Dresden hat sich in Leipzig vorgestern mit einem Terzerol, in welches er zwei Posten großen Calibers geladen hatte, zu erschießen versucht, da jedoch die Pulverladung nicht stark genug gewesen ist, Böhme auch das Terzerol zu gerade nach oben gehalten hat, so hat sich derselbe bei dem Schüsse in den Mund nur den Oberkiefer zerschmettert, die Posten sind dagegen in dem Stirnbeine sitzen geblieben. Die Verletzung ist demnach nicht tödlich gewesen und Böhme noch lebend ins Hospital transportirt worden. Als Motiv der That verlau tet, daß Böhme's pecuniäre Verhältnisse sehr mißlich gewesen sein sollen. — Beim Finanzhause fiel vorgestern ein Droschkenkut scher vom Bocke, verwickelte sich dabei mit dem Kopfe in sei nen Mantelkragen, wobei ihm die Räder einige Finger zer quetschten. — Herr Musiklehrer Giebner giebt nächsten Freitag im Lincke'schen Bade ein Concert, wobei ein Herr Petersen dra matische Sceneu aus dem Leben in Costüm verführen wird. — Am 3. d. Mittag stürzte sich der 34 Jahr alte We bermeister K. aus Reichenbach, Vater von 5 Kindern, vor einen von Plauen kommenden Güterzug plötzlich auf die Bahnschienen, wodurch er überfahren und sofort getödtet wurde. — Oeffentliche Sitzung der Stadtverordne ten den 7. December 1864, Nachmittags 5 Uhr. Tages ordnung: 1) Directorialvortrag aus der Negistrande. 2) Vorträge der Finanzdeputatton über ») die Herstellung der Parkstraße und die Fortführung der Promenaden auf der äußern Bürgerwiese s. w. d. a. d) die Herstellung einer Ab- zugsschleuße im vormals Pelargus'schen Schulgrundstücke in Friedrichstadt, o) die Frage wegen Beheizung der Friedrich städter Kirche rc., ck) die Herstellung ausreichender Beleuchtung in der I. Bürgerschule, e) die Anstellung eines neuen Be amten bei der Buchhaltern der Gasanstalt rc. 1) die Legung der Gasrohr-Heimleitungen rc. x) eine GratificationSangelegen- heit, k) die Veräußerung eines der Neustädter Parochie ge hörigen Grundstücks, i) die zum vormaligen Antonstädtcr Waisenhause gehörigen Grundstücke rc, k) einige Rechnungs- Angelegenheiten. Zum Schluffe: geheime Sitzung. — Den größeren Vortrag in letzter GewerbevereinSfitzung hatte Herr Droguist Junghähnel übernommen. Es sprach derselbe über eine neue Drogue 5lourw»Ic (liackix Oonuota), die durch den Reisenden Strilack, der jetzt in Dresdm auf dem Antilibanon in Syrien aufgefundrn worden Es ist eine Orchidenknolle, die sich durch ungemeinen Re thum an Pflanzenschleim auszeichnet und sich deshalb ganz be sonders zu Suppen, sowie als Ersatz des Salep und aller bisher gebrauchten einhüllendcn Mittel (Altheewurzel, Malven, Huf- lattig, Leinsamen, Ouittenkerne rc.) eignen dürste. Eine in der Versammlung auf einem Resag'schen Kochapparate her gestellte Suppe mundete allgemein. Die Pflanze enthält nach dem Urtheile berühmter Autoritäten Professor Sußdorf, Pro fessor Richter, Medizinalrath Küchenmeister, Professor LötrttH keine schädlichen Bestandtheile. Von der Nährkraft der Pflanz» mußte sich der Reisende selbst überzeugen, als er mit sein«»» Arbeitern im syrischen Gebirge 4 Tage lang keine andere Wäh rung hätte, als die Nourtoak (Nährwurzel). Das Mehl jttttr Pflanze erweist sich auch als ausgezeichneter Klebstoff und bestätigten dies die vorgelegten Proben. Es warm irrst Nourtoak angeklebte Papiere, Pappen, auf Glas und Hoh befestigte Etiquetten, Photographien rc. zur Ansicht ausgelegt. Herr Strilack hat im Frühjahre 21800 Pfund v»n dieser Wurzel gesammelt und 100 Ctr. mit nach Dresdm gebracht, wo Heer Junghänel den Vertrieb übernommen hat. Ist» Rußand ist das > Nourtoakmehl bereits in dm Laza- rethen eingeführt, in Oesterreich hat man es schon in de» Apotheken; allgemeiner Einführung wird es sich aber erste«», wmn das bedeutendste Droguenhaus des Continmts, Gehe H. Co, dasselbe in seine Preislisten aufnehmen wird. Daß dstß nicht schon früher geschehen, liegt wohl darin, daß die «Hm Proben nur in Nehlfonn hierhergebracht wurden und doch da» damalige Mehl auf schlechten arabischen Mühlen stellt, nicht rein, sondern mit Sand und andern leiten vermengt war. Jetzt wird es in hiesiger mühle bearbeitet. Herr Junghähnel giebt Proben in teln zu 5 Ngr. mit Gebrauchsanweisung ab, so daß sich Jedtt syrische Suppe Herstellen oder von der Klebkraft des Nourtoak überzeugen kann. — Vorigen Donnerstag Abends wurdm in Glauchau große Schaaren durchziehender Schneegänse beobachtet. Dieser Umstand und die in Petersburg eingetretene strenge Kalte lassen auf ein nunmehr eintretendes festes Einwintern schließ». — s Oeffentliche Gerichtsverhandlung vom L. December 1864. Die heutige Anklage lautet auf Androhung von Brandstiftung. Zwei Zeugen haben sich eingefundm und auf den Defensorenstuhl setzt sich Herr Advocat Robert Frän- zel. Die Sache reducirt sich auf eine Hänselei in der städti schen Arbeitsanstalt und Unterschlagung von ein Paar An staltshosen mit einem Halskoppel, die allerdings nicht viel Werth gewesen sein müssen; denn er bekam dafür nur „fünft', Neugroschen. Gustav Eduaid Noacksaus Dresden, 38 Jahre alt^ ist schon 11 mal bestraft. Das städtische Arbeitshaus zu Dresden kennt er ganz genau, dort hat er wohl gegm 16 mal gewohnt, theil- frriwillig, wenn er kein Quartier^gehabt, theils gezwungm, wm» er von der Polizei dahin abgeliefert wurde. Aber, wie steht der Angeklagte aus! Es ist ein ganz verkommener Mensch, dessen ganze Kleidung höchstens auf etwa 10 Ngr. gewürdeÄ werden kann. Er hat lederne Pantoffeln an, über denen etwa in einer Entfernung von einer halben Elle erst die Hosen an fangen. Die Haare müssen selten einen Kamm gefühlt haben; denn in der größten Unordnung umhängen sie struppig d» Kopf. Wie sein geistiger Zustand beschaffen ist, das beweis» seine eignen Worte: „Ich war etwas übergeschnappt, ich weiß gar nicht, was ich gcthan und gesagt habe!" Anfang No vember 1864 war Noack freiwillig in die städtische ArbeitS- anstalt gegangen, er war obdachlos. Man nahm ihn wie ge wöhnlich auf. man kannte ihn schon, er war ja oft dagewesen. Seine Kollegen in der Anstalt schienen mit ihm ihren Spaß zu treibeu, sie neckten ihn, sie schimpft» ihn, sie hänselten ih» und das ärgerte ihn. Am 1. November entwich er auS der Anstalt und zog in den Blasewitzer Wald. Das kalte MooS war sein Bett, die entblätterten Bäume seine Decke. Bier Tage lang brachte er in diesem Zustande zu und lebte von dm fünf Groschen, die er durch den Verkauf der Anstaltshosen erworben. Doch das Geld wurde alle, die Nächte waren kalt, das Le» brn ein trauriges, Noack ging in die Stadt, direkt auf die Polizei und meldete sich als obdachsloser Mensch. Sein Ver brechen der Bedrohung zur Brandstiftung liegt nun darin, daß er vor dem betreffenden Polizemktuar, der ihn vernom men, zu Protokoll erklärt: „Eher setz: ich den tothen Hah» auf'S Dach, ehe ich in die Arbeitsanstalt zurückgehe DaS ist keine Arbeitsanstalt, das ist das größte Zuchthaus. Das mag immer niedergeschrieben werden. Dort bekomme ich keine Hilfe. Wenn ich mich beim Aufseher Engelmann beschwerte, da lachte er über mich!" Weiter sagte Noack nichts, er hat aber we-