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Dresden, den 6. November. — Eine Künstlergröße ersten Ranges im Reich der aus übenden Tonkunst feierte am gestrigen Tage das fünfzigjährige Wirken in seinem dienstlichen Beruf. Es ist dies der Herr Kam mervirtuos Friedrich August Kummer, welcher am 5. Novem ber 1814 als Mitglied der Königlichen musikalischen Capelle ein trat und als Virtuos auf dem Cello sich einen Ruf erworben, der weit über die Grenzen des deutschen Vaterlandes hinausge gangen. Dem verdienten Künstler die gebührende Ehre zu spen den, wozu ein solches Wirken die volle Berechtigung hat, ver sammelten sich im Laufe des Vormittags im Probesaal des Hof theaters sämmtliche Mitglieder der Königlichen Capelle und der Hofbühne. Vor voller Versammlung hielt der Herr General- Director v. Könneritz eine Ansprache an den Künstler-Jubilar und überreichte ihm im Auftrag Sr. Maj. des Königs das Ritterkreuz des Albrechtordens. Als dich geschehen, empfing der würdige Künstler von seinen Kollegen aus der Capelle als ein sichtbares Zeichen der Verehrung einen kostbaren silbernen, sämmtliche Namen der Königlichen Capellmitglieder enthaltenden Pokal, dem sodann die Mitglieder der Bühne eine Tasse mit feiner, wcrthvoller Malerei beifügten. In seiner Wohnung an gelangt, begrüßte den Jubilar eine Deputation des hiesigen Ton- künstler-Vercines und überreichte ihm eine Votivtafel. Am Abend fand in Meinholds Saal ein Fest-Souper statt. — In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag gal- loppirte die Magazinstraße gerade um die Geisterstunde ein stolzes Roß entlang und auf ihm saß ein uniformirter Reiter, ein Fahrer von der Artillerie. Die Schildwachen sahen ihn durch die Nacht galloppiren. Es mar dich ein Deserteur, na mens Richter, mit einem vollständig ausgerüsteten Dienstpferde aus einem bei der Militärstrafanstalt gelegenen Trainstall. Der Sattel, den er dem Pferde aufgelegt- soll Eigenthum eines Artillerie-Offiziers sein und Richter an die Stallthüre noch vor seiner Entfernung die Worte geschrieben haben „Richter ist fort". Sein ganzes Gebühren läßt aus geistige Ge störtheit schließen, an der er schon früher einmal gelitten haben soll. — Zwischen Hartha und Bischofswerda ist vorgestern Abend auf der Bahnstrecke ein Getreidehändler aus der dor tigen Gegend aufgcfunden worden, der daselbst besinnungslos lag und an dessen Kopfe eine Verletzung wahrgenommen wurde. Es ist bis jetzt soviel festgestellt, daß er l>is Hartha den von Dresden nach Görlitz gehenden Zug benutzt gehabt, der kurze Zeit vor seiner Auffindung die fragliche Bahnstrecke passirt hatte. Nähere Aufklärung über den Vorfall ist bisher nicht zu er langen gewesen, weil der Verletzte wegen seiner andauernden Be sinnungslosigkeit darüber nicht befragt werden konnte. — Aus Großenhain schreibt man uns unterm gestrigen Tage Folgendes: „In der Frühe des heutigen Tages durchlief das Gerücht einer vierfachen Mordthat unsere Stadt und ver setzte die ganze Bevölkerung in eine nicht geringe Aufregung. Man höre den Hergang und die Auflösung. Am Freitag war eine Frau G und ihre 16jährige Tochter in Folge eines bei ihrem Hauswirth verübten, aber an sich unbedeutenden Gelddieb stahls gerichtlick vernommen worden. Da sie reumüthig das Ver gehen eingcstancen, geschah von Seiten des Gerichts vor der Hand ihre Freilassung. Als nun aber heute früh um fünf Uhr der älteste, auswärts wohnende Sohn die Wohnung seiner Mutter aussucht, welche sich auf der langen Gaffe im Hause des Gärtner Banke befindet, bemerkte er zu seinem Schrecken auf dem Fußboden der Stube und Kammer große Blutlachen. Die Mutter und den 18jährigen Bruder fand er, mit Blut bedeckt schlafend im Bett, während er ein zweites Bett ebenfalls mit Blut getränkt, aber leer fand. Der sofort herbeigerufene Arzt fand die beiden Ge nannten erwacht, aber in Folge des Blutverlustes in sehr ge schwächtem Zustande. Es waren nämlich an jedem rechten Handgelenk eine zwei Zoll lange Schnittwunde, die aber nur die Hautncrvcn verletzt hatte. Die Mutter berichtete: daß sie mit ihrer Tochter und ihrem Sohne die Schmach des entdeckten Diebstahls nicht habe erleben wollen und so hätte in der Nacht gegen 1 Uhr der zwanzigjährige Geliebte ihrer Tochter, der Fabrikvolontär Billing aus Weida, ihnen allen Drei und dann sich selbst die Pulsadern ausgeschnitten und wären darauf zu Bett gegangen, um sich zu verbluten. Der Tochter und ihren Geliebten hätte aber diese Procedur zu lange gedauert, sie hätten das Bett verlassen und wären nach dem Garten gegangen. Man folgte der Blutspur, die nach dem Garten führte, wo man die beiden Liebendm aus dem da selbst befindlichen Wafferloch todt herauszog. Die beiden noch lebenden Personen werden nun ausführlich berichten können, ob ein Einverständnis; Aller bestanden habe und ob die Ent deckung des kleinen Diebstahls das eigentliche Motiv zu der unseligen That gebildet." — In Leipzig erscheint vom 1. November ab ein illu- strirtes hebräisches Wochenblatt, welches, wie es scheint, auch das Feld des Humors bearbeiten will. Redacteur ist ein Rabbiner, 1)r. Fischer, und die Illustrationen find recht nett, nur daß sie, da sie durch hebräische Texte erklärt werden, wohl nur einem kleinen Leserpublikum verständlich sein werden. — Der Berliner Eriminalpolizei sind in den letzten Tagen massenhaft preußische Zwei- und Einthalerstücke zugegangen, die ihrem Gepräge nach sämmtlich aus derselben Fabrik sein müssen. Die Thaler tragen die Jahreszahlen 1784, 1786 1789, sind von Blei und ziemlich schlecht geprägt, auch beim Hinwerfen von schlechtem Klange. — Gestern wurde ein zweiter großer Stein, 23 Ctr. 80 Pfd. schwer, auf den in Reparatur begriffenen südlichen Thurm der Frauenkirche unter Ueberwindung bedeutender tech nischer Schwierigkeiten glücklich hinaufgezogen. — 1- Oeffentliche Gerichtsverhandlung vom 4' November. (Schluß.) Forstdiebstahl ist der Grund zur näch sten Bestrafung gewesen. Als Verletzte fungirt die Königliche Nevierverwaltung zu Nadeberg. Als Angeklagter fungirt der Gutsbesitzer Heinrich Wilhelm Nacke (nicht Stocke) aus Bühlau. Er erhielt wegen Forstdiebstahl 8 Wochen Gefängniß und die nöthige Kostenauslage, wogegen er Einspruch erhoben und das kam daher. Am 23. Juli 1864 wurden im genannten Wald revier 35 Fichten geschlagen. Als man sie am andern Tage abholen wollte, da fehlten drei Stück davon. Nicht weit davon aber fand man im Dickicht des Waldes 3 abge schnittene Baumwipfel, auch einen dreielligen Klotz. Sogar Spuren von Sägespänen waren an jener Stelle zu merken. Die gestohlenen Fichten waren mit blauer Kreide mit den Zahlen 29, 27 und 26 bezeichnet. Der Fuhrmann Hentschrl hat Alles liegen sehen. Zur selben Zeit hat Nacke sechs Fichten-Stämme in die Hock'sche Dampfschneidemühle nach Radeberg gefahren. Der Schneidemüller Schuster half abla den und erzählt, daß Nacke gesagt, die Stämme müßten heut noch, womöglich bald und in seinem Beisein zu Latten ge schnitten werden. Da ihyr aber gesagt wurde, das gehe nicht so schnell, die Sage sei entzwei, so erklärte er, daß es wenigstens bis zum Abende geschehen müsse, er werde aus- spannen und unterdeß nach Rödersdorf gehen. Er ging auch und das Mühlrad that seine Schuldigkeit. Da kam aber alsbald der Forstaufseher Schöner und bezeichnet? das Holz als gestohlen. Die Enden der Stämme waren beschmutzt, also der neue Schnitt verwischt, sie waren auch mit Bleistift gezeichnet. Nacke wurde als der Dieb bezeichnet, er leugnet aber durchweg. Er sagt, daß die Stämme, die er in die Radeberger Dampfschncidemühle gefahren, von seinem Bruder Karl Wilhelm Nacke aus Weissig gekauft, der Holzparzellen im Besitz habe. Jndeß, es kommen sehr viel Momente vor, welche stark gegen den Angeklagten sprechen. Namentlich hat der Forstgensdarm Schulze angczeigt, daß die verehelichte Nacke zu ihrem Bruder nach Neustadt-Dresden gekommen und ihn um Rath gefragt habe, wie sie sich vor Gericht benehmen müsse wegen dieses Diebstahls, den sie mit ihrem Manne be gangen, ob sie ruhig schwören dürfte u. s. w. Ferner hat der Forstgensdarm angezeigt, daß eine gewisse Familie Schütze am 23- Juli 1864 früh 3 Uhr auf dem Weissiger Mühlwege den Nacke und seinen 15jährigen Sohn Wilhelm gesehen. Sie hatten einen mit Kühen bespannten Handwagen ohne Bret ter bei sich, auf dm nur Langholz geladen werden konnte. Ferner hat Nacke bis zum 23. Juli 1864 einen Bart getragen, am andern Tage^^kvar er aus dem Gesicht verschwunden. Endlich hat Nacke drei Tage nach Entdeckung des Diebstahls und Beschlagnahme des Holzes durch den Forstausseher Schöner in der Dampfschneidemühle zu Radeberg mit dem Schneide müller Schuster gesprochen, ist dabei sehr ängstlich gewesen, bot ihm 15 Ngr. an, wenn er die Stämme jetzt noch schneide, Als Schuster ihm sagte, das ginge nicht eher, bis die Unter suchung vorüber sei, da sagte Nacke: „Nu wie ist es denn aber, wenn in der Nacht in der Mühle was passirt?" Und richtig, es passirte Etwas. In der Nacht vom 26. zum 27. Juli 1864 waren die Stämme und schon geschnittenen Latten aus der Radeberger Dampfschncidemühle verschwunden und zwar nicht ein Splitter mehr von dem in der Mühle liegen gem Holze, als gerade das am Weissiger Mühlwcge in Ullers- dorfer Revier gestohlene Holz. Soviel Verdachtsgründe liegen gegen Nacke vor, daher seine Verurtheilung zu 8 Wochen Ge fängniß. Wohin die nunmehr zweimal gestohlenen Fichtcn- stämme gekommen sind, daß weiß kein Mensch. Fußspuren an der Radeberger Dampfschneidemühle ließen erkennen, daß die Stämme auf einen Wagen geladen und fortgeschafft worden sind. Der Forstaufseher Schöner arretirte den Nacke. Er wollte ihn dem Ge richtsamt Dresden einlicfern und marschirte deshalb mit ihm durch die Wälder. Auf der Hälfte des Weges entwischte ihm aber der Transportat. Befragt darüber, warum er ausgerisscn sei, erklärt er, er habe sich vor dem langen Wege nach Dresden gefürchtet. Unterwegs auf dem Transport soll er auch den Waldwärter Schöner umarmt und gebeten haben, er solle ihn doch nicht anzeigen. Der Angeklagte Nacke ist übrigens ein nicht unbemittelter Mann, er besitzt ein Grund stück im Werthe von etwa 13,850 Thaler. Im Jahre 1856 ist er schon einmal wegen Forstdiebstahls bestraft, sonst war er noch nie in Untersuchung. Herr Staatsanwalt Held be antragt die Bestätigung des ersten Erkenntniß, die meisten übrigen Beschuldigungsgründe seien zweischneidiger Natur, Herr Advokat Or. Schaffrath gesteht zu, die Sachen stehen sehr unklar. Er wünscht nicht die Verurtheilung des Nacke, sondern seine Freisprechung. Man müsse klar sehen, wenn man Jemanden verurtheilen wolle. Daß Nacke sich den Bart abgeschnitten, nun, mein Gott, das thue der Bauer gern, wenn er einmal in die Stadt komme. Daß Nacke einen Um weg mit seinem Wagen gemacht, sei ganz natürlich, er wollte auf einem andern Dorfe Kraut kaufen. Wenn der Angeklagte auf dem Transport dem Schöner entflohen sei, darin sei keine Schuld zu finden. Das Entfliehen könne Niemanden verargt werden, der unschuldig verhaftet wird. Herr vr. Schaffrath beantragt die Freisprechung des Nacke und derselbe wurde wegen Mangel an vollständigem Beweise freigesprochcn. — Als dritten Angeklagten finden wir den Gutsbesitzer Ernst Oscar Schreiber zu Särcke bei Weißcnberg, 30 Jahre alt, verheirathet, früher Inspektor auf dem Gute Tschernitz bei Görlitz und nach seinen Angaben noch nicht bestraft. Der hiesige Schneider Junker besaß ein Bologneserhündchen, eine Hündin, weiß und grau gefleckt, etwa 10 Thaler im Werth. Fast jeden Abend besuchte Junker mit dem Hunde die Hage- dornsche Restauration im Schlesischen Bahnhofsgebäude. Am genannten 1. November 1863 kam er Abends um 8 Uhr aus Neudorf mit seinem Hunde wieder auf den Bahnhof. Als er etwa eine Minute an den äußeren Perronstufen mit einem Bekannten gesprochen, den er zufällig traf, wollte er in das Restaurationszimmer hinein gehen — da war sein Hund weg. „Wo ist mein Hund?" rief er. „Wo ist der.Hund?" so riefen Alle und Alle suchten. Der Verlierer des Hundes hatte nun- Alles gethan, um sein Eigenthum wieder zu er langen. Er hatte den Hund in die Leipziger Zeitung, Dresdner Anzeiger, Dresdner Nachrichten, ja selbst in den Gensdarmerie- Anzeiger „einrücken" lassen. Der Hund kam nicht wieder. Endlich erfuhr er, daß ihn Schreiber habe, das hatte ein Gensdarm Hartwig herausgefunden. Schreiber wurde nun angezeigt und wegen Diebstahls mit 2 Monaten Gefängniß und Tragung sämmtlicher Kosten bestraft. Dagegen erhob er Einspruch. Er will den Hund nicht gestohlen, sondern nur in der Nähe des Birkenwäldchens am Schlesischen Bahnhof gefunden und ihn aus Mitleid mitgenommen haben, weil er ihn in der kalten Winternacht winselnd fand und für herrenlos hielt. Schreiber selbst hatte den Hund auch in die Nachrichten „rücken" lassen. Herr Staatsanwalt Held meint, es sei nicht nachgewicsen, wo der Hund weggekommen. Es sei eher anzu nehmen, daß die Aussage Schreibers die richtige sei, der Bolog neser habe sich am Birkenwäldchen und nicht in der Halle des Bahnhofes verloren. Die Aufrechterhaltung der Verurtheilung sei daher nicht möglich. Herr Advocat Kuntzsch hegt die feste Hoffnung, daß eine entschiedene Freisprechung seines Schützlings erfolgen werde. Und sie erfolgte nach langer Berathung. — Beim Scheine des Gaslichtes begann die vierte Einspruchsverhandlung. Das Dienstmädchen Anna Sterze! aus Bautzen hat den hie sigen Kaufmann Ernst Julius Gäbe verklagt. Es handelt sich hier um Körperverletzuug und Beleidigung, die Gäde sei nem Dienstmädchen zugcfügt. Die Scene spielt in Gäde'8 Küche, Abends um 9 Uhr. Da kam der kleine Sohn des Kaufmanns in die Küche und sagte zur Anna: »Du höre, Papa hat gesagt, Dn müßtest von früh bis Abends Fußtritte und Peitschenhiebe bekommen!" Da meinte sie: „Sag' nur dem Vater, das ginge hier nicht, das geht blos in Amerika, wo Sklaven sind!" Gäde, zornig darüber, kam in die Küche, als ihm der Junge das gesagt hatte und fragte sie, ob sie sich so geäußert hätte? Sie antwortete ruhig: „Ja!" Nun ging's los. Er faßte sie an den Armen, gab ihr drei Fußtritte und ^schleuderte sie hin und her. Da fiel sie in Krämpfe, die sie seit 3 Jahren nicht mehr gehabt. Bald ließ sie sich vom vr. Flachs untersuchen und dieser stellte ihr ein ärztliches Attest dahin aus, daß er schmerzhafte Blutunterlaufungen an den in- ncrn Seiten der Arme allerdings bei der Besichtigung gefunden. Der Kaufmann Gäde spricht sich anders aus. Die Anna soll sich darüber ausgelassen haben, daß sie Morgens zum Kaffee nie Zucker erhalte und das sei in andern Häusern sehr die Mode. Sie habe in der Küche, als er sie ihres Benehmens wegen zur Rede gestellt, gelacht, ihm den Rücken zugcdreht und gesagt: „Bei einem so gemeinen Herrn habe ich noch nicht gedient!" Das geschah aber erst nach der Küchensccne. Sie hätte das Fenster ausgemacht, um das ganze Haus in Allarm zu bringen, sie hätte geschrieen. Da mußte er sie fassen, um sie zurückzuhalten. Dann hätte sie die Küchcnthür ausgerissen, um dort hinauszu schreien. Da habe er- den Fuß vcrgehalten und sie abermals zu-