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Rr. Ä>6. Neunter Jahrg. Dienstag, 1. Novbr. 1864. Erschein!: Täglich stütz 7 Uhr. Inserate werden angenormnenr bis«vendsS,Son«. tagS bis Mittags 1L Uhr: Marienstraße 18. Anzeig. iu dies. Blatte, da« jetzt in 10M0 Exemplaren erscheint» finden eine erfolgreiche Verbreitung. ^ 1 Monnement: Vierteljährlich 20 Ngr. bei unentgeldlicher Lie ferung in'S Haus. Durch die König!. Post vierteljährlich 22 Ngr. Einzelne Nummern 1 Ngr. Tageblatt für Unterhaltung und Mitredacteur: Theodor Drobisch. Inseratenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Einge sandt" die Zeile L Ngr. ' Druck und Eigenthum der Herausgeber: tUepslhl H Neilhardt. — Verantwortlicher Redactrur: ÄlltlUS Neilhardt» Dresden, den 1. November. ^ Königliche- Theater. bisher enthielt das Repertoir unseres Hoftheaters nur folgende 5 Mozart'sche Opern: Jdomeneus, die Entführung Nus dem Serail, Don Juan, Figaro's Hochzeit und die Zau ber flöte. Am 29. Oktober ist nun auch die sechste wieder auferstomden: Losi lau tulte Jetzt fehlt bloß noch der Titus kopf auf den gewaltigen Rumpf, und das geniale Sirbenge- flirn des unsterblichen Opernschöpsers stünde in seiner ganzen Äbrundung wieder da. Doch wollen wir nicht zu viel auf rinmal wünschen; uns vielmehr an dem was wir haben und wie wir cs haben, von ganzem Herzen erfreuen Daß die Dper Lost kan lutts überhaupt wieder ins Leben tritt und daß mit aller Pietät bei der Wiederbelebung dieses kostbaren Tonwerkes verfahren worden ist, ist eine Thatsache, die nächst der hohen Generaldirection ebensowohl dem Herrn Hofkapell meister ttr. Julius Rietz, als auch dem Herrn Regisseur Schloß hoch anzurechnen ist. Beide genannte Herren hat die möglichste Treue gegen das Original begeisternd geleitet und so wurde die Oper geg ben, ohne irgend welche Verballhornisirung, rei zend und frisch und noch dazu im Rococco-Geschmacke. Keine andere Bühne giebt sie besser. Diese leichthingeworsene, graziöse und doch gründliche Musik lebendig zu erhalten, giebt es auch keinen andern Weg, als alle bisher versuchten Veränderungen am innern Wesen des Textes bei Seite zu lassen. Soll die kost bare Musik bleiben was sie ist, so muß man das von cka kouto zusammengeschüttelte Textbuch mit in den Kauf nehmen, so wie es eben ist und nicht mehr daran mäkeln. Die Aus führung der Gesangsparthien hat für die in dieser Oper be theiligten Sänger und Sängerinnen große Schwierigkeiten, weil die Zeichnung der einzelnen Charaktere auf's fernste spezialisirt ist. Man hat aber volle Ursache mit dem was schon in der ersten Vorstellung geleistet wurde, namentlich in Hinsicht auf das Ensemble, völlig zufrieden zzr sein. Die folgenden Aufführungen, auf welche das Publikum aufmerksam gemacht sein möge, werden wohl noch mehr an Sicherheit gewinnen. Die Damen Frau Jauner-Krall /Despina), Frl. Hänisch (Fiordiligi) und Frl. Baldamus (Dorabella) sowie die HerrenRudolph (Ferando), Degele (Guglielmo) und Freny (Don Alfonso) gaben sich zum wirkungsvollen Zusammenspi l sichtliche Mühe und wurden am Schluffe der Vorstellung auch sämmtlich gerufen; doch gebührt der Frau Jauner, und nächst ihr Herrn Rudolph der Hauptantheil dieser Anerkennung. Armin Früh. — Am Montag früh ritt ein Königlicher Rittmeister über den Postplatz. Als er in die Nähe der dortstehenden Trinkhalle kam, glitt das Pferd aus und der Reiter stürzte herab, ohne großen Schaden zu nehmen. — Der letzte Vereinsabend des hiesigen Literaten-Ver- kins, heute vor acht Tagen, wurde durch tumultuarische Vor gänge interessant, welche einem Dickens paffenden Stoff zur weiteren Ausschmückung seiner Memoiren des Pickwick-Clubbs geliefert haben würden. Gerechten Unwillen erregte aber das höchst tactlose und verletzende Benehmen einiger Mitglieder gegen einen würdigen Veteranen der Wissenschaft, den würdig sten jedenfalls, den unsere Stadt von Männern umfassender wissen schaftlicher Bildung in ihren Mauern einschließt, und der da her wohl auch, wenn er sich in der Voraussetzung geirrt hätte dem Verein durch Veranstaltung wissenschaftlicher Vorträge nützlich zu sein, jedenfalls eine schonendere Begegnung er warten durfte. — -f Am Sonnabend Abend gegen 9 Uhr ereignete sich in der Nähe des Großen Gartens wieder einer jener Unglücks fälle, die leider so oft Vorkommen. Der 38jährige Dienstknecht Johann Nitschke, aus Thürmsdorf bei Königstein gebürtig, der beim Ziegeleibesitzer Stöhn in Grüne in Diensten steht, hatte Kohlen aus der Stadt geholt. Mochte er auf dem Wagen geschlafen haben, kurz er stürzte in der Nähe des Großen Gartens herunter, gerieth unter die Näder und wurde todt aufgefunden. Gestern wurde er beerdigt. — In Naundorf bei Kötschenbrvda hat die I4jährige Tochter eines Bewohners von Dresden, die dort im Gefinde- dienst gestanden, den Phosphor von einigen Päckchen Streich hölzchen abgelöst und denselben mit Kaffee vermischt zu sich genommen. Man hat sie auf Wunsch ihrer Eltern nach Dresden gebracht und hier ist sie ungeachtet aller ärztlichen Hilfe an den Folgen des vergifteten Getränkes vorgestern ge storben. Wie man hört, soll des Mädchens andauernde Kränklichkeit Motiv zum Selbstmord gewesen sein. — f Nur nicht gleich zuhauen! Hätte das Einer neulich auf der Kreuzstraße bedacht, er würde nicht in einen Prozeß verwickelt worden sein. Der dasige Rathsuhrmacher auf der Krcuzstraße hat in seinem Schaufenster eine Spiegelscheibe, die 4 Ellen hoch und 2s Elle breit ist. Da geht „Einer" vor bei und ein kläffender Leo stürzt aus der heimathlichen Haus flur heraus und beißt ihn in's Bein. Dieser „Eine" nimmt sein Stückchen im Gewicht von etwa einem Viertelpfund und will dem Leo ein Paar derbe Hiebe auf's Fell geben. Leider, leider aber trifft er beim Ausholen die Spiegelscheibe und schlägt sie entzwei. Es versteht sich von selbst, daß das Be zirksgericht darüber zu entscheiden hat, ob dieser „Eine" oder Leo, oder sein Herr den Spaß bezahlen muß. — f Ein seltenes Vergnügen machten sich in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag „Unbekannte", die wahrlich mit allem Eifer gearbeitet haben müssen. Auf der Moritz- straße ist bekanntlich Stroh ausgebreitet, weil dort eine Kranke liegt. Die „Unbekannten" haben das Stroh verlegt, das heißt, sie haben es in der Nacht von der Moritzstraße nach der kleinen Frohngasse getragen. Eine seltene Arbeit! — -f Circus Rappo. Am Sonntag Abend eröffnete Herr Rappo seine Vorstellungen, die ipit Niesenzetteln längst angekündigt waren. Nur soviel möge vorläufig erwähnt wer den, daß das reichhaltige Programm in jeder Nummer Neues, nie Gesehenes liefert und daß jede Piece mit donnerndem Bei fall begrüßt wurde. Jedes einzelne Mitglied leistet Gediegenes und so bildet das Ganze ein Ensemble, das im Laufe der Zeit dem Publikum genußreiche Abende gewähren dürfte. Die Kostüme sind elegant, die Dekorationen neu und mitunter „reizend" zu nennen, namentlich für jene Piecen, die uns plastische lebende Bilder vorführen. Referent konnte allerdings die Damen von Angesicht zu Angesicht nicht sehen, aber ihre Darstellungsweise im Gebiete der klassischene Bilder ist eine gelungene. Die Kraftproductionen der Herren sind ausge zeichnet, Herr Rappo selbst mit seiner 30pfündigen Kugel ent lockte rauschenden Beifall und bei den Uebungen am „Neck und Seil" könnte mancher deutscher Turner tiefgreifende Stu dien machen. Die Kapelle der Leibbrigade unter Direction des Herrn Musikdirektor Kunze accompagnirt, wie bekannt vortrefflich. Das Arrangement des Ganzen ist für das Pub licum höchst komfortable. Der Pferdegeruch des alten Circus aus den Zeiten Suhr's ist verduftet und aus dem „Circus" ist ein „Salon" geworden, der elegant tapeziert mit seiner nied lichen, aber frugalen Restauration viel Angenehmes bietet. — -f Wir brachten neulich eine Notiz vom „Lincke'schen Bade" darüber, daß dort eine Buffo-Sänger und- Tänzcr- gesellschaft für die nächste Zeit engagirt ist. Es ist allerdings eine Buffo-Sänger-Gesellschaft, aber Tänzerinnen sind nicht dabei. Direktor ist der Komiker Herr Wilhelm Bleh vom Victoriatheater zu Berlin. Neben den ausgewähltesten Liedern, Arien und Couplets aus Opern und Posten, wird das Pub likum auch Solis, Duetts und Terzetts, ganze Scenen und locale Scherze zu hören bekommen. Dienstag beginnen die Vorstellungen, meist in Costüm. Herr Gclhorn hat die gute Gesellschaft mit großen Opfern engagirt. — Die neuliche Mittheilung, daß ein Omnibus in der Bautzner Straße beim Patti-Concert an einen herrschaftlichen Wagen angefahren und denselben ruinirt hat, ist dahin zu ergänzen, daß der Omnibuskutscher vor dem Anprall der Equipage gehalten hat, der herrschaftliche Kutscher aber aus der Reihe herausgefahren und dem Omnibus die Tritte ab gefahren hat. Es haben daher beide Wagen Schaden gelitten. Politische Umschau. Seit die Friedenstaube in Wien einmal ausgebrütet ist, gehts flinker mit ihrer Entwickelung, als zuvor; sie regt bereits die Schwingen und wird mit Nächstem flügge sein, um aus dem Nest herauszufliegen, und Herzog Friedrich, wie der Herr Oldenburger öffnen ihr bereits Thür und Thor — nämlich den erwartungsvollen Mund — zum Hineinfliegen mitsammt dem, was sie mitbringt: Schleswig unter dem Einen, Holstein unter dem andern Flügel — Lauenburg wird ihr wohl zu Gunsten anderer Leute aus dem Schnabel gehen! Nur einige formale Schwierigkeiten sind noch zu überwinden, und das Tau, welches die armen Herzogthümer so lange an den Dä nischen Klotz fesselte, ist vollständig gekappt. Aber die Welt ist heute auch gar zu wißbegierig! Kaum ist der Zeitpunkt nahe, wo die verabredete Deutsch-Dänische Frage, die uns so lange und so schwer zu schaffen machte, endlich die einzig ver nünftige und zutreffende Antwort finden wird, da brennt uns auch schon mit den, hellsten Feuer der Neugier die neue Frage auf dem Gewissen: Was wird nun? der Federkrieg auf^der Wartburg deutscher Jntekesscn, nämlich auf dem grünen Tisch der Eschenheimer Gasse, wird uns nunmehr auch die Antwort hierauf erobern, aber ein Bischen Geduld wird man haben müssen, um cs abzuwartcn, denn die liebe DcutschcLangsam- keit ist progressiv; der Deutsche geht langsam seinen Weg; wo zwei Deutsche zusammen gehn sollen, geht's noch einmal so langsam: ist's aber gar ein ganzer Bundestag von Deutschen, so geht's einige dreißig Rial so lang sam, nämlich für jedes Deutsche Special-Vaterland, das sich dabei gcsammt-patriotisch die Beine svertritt. DaS ist freilich schlimm, aber wer kann's ändern? Nur die Deutsche Geduld, oder — der Nationalverein! Was die Deutsche Geduld anbetrifft, dieses vielverspottete und doch s» oft bewährte Univcrsalmittel gegen alle Deutschen Beschwerde^ so wird sie wohl wieder der gute alte Zopf sein, an dem w!< uns selber allmählig aus der Patsche ziehen. Was aber de» Nationalverein anbetrifft, so zerrt dieser ja nun schon ein Lustrum hindurch an der Leine und schwingt mit lautem „Hüol Hott!" die Peitsche'seines guten Willens, um die schtverfälo lige Deutsche Staatscarosse in etwas lebhaftem Trab zu brin gen: aber der Arm ist ihm auch schon lahm und die Kehle heiser geworden, ohne daß auch nur Eine Raddrehung mehr seine Bemühungen gelohnt hätte! Da hat er sich denn zu nächst ein ganzes Weilchen ausgeruht, bis er in diesen Tagen wieder frisch an's Werk ging und mit einer Reihe neuer Vor schläge auftrat, die ganz gewiß die ungeheure Langweiligkeit und Schwerfälligkeit unserer Deutschen Zustände aus den Angeln jhcben — würden, wenn ihm nicht leider die Kleinigkeit fehlte, die weiland schon der gelehrte Archime- des bei einem ähnlichen Unternehmen zu seinem Leidwesen vermißte: nämlich der Fußpunkt!! Gemeinsames Handeln der liberalen Partei durch ganz Deutschland, Freiheitsbe strebungen im Innern der ernzelnen Deutschen Länder und Förderung des Fortschrittes ,n denselben durch „that- kräftiges" Wirken der Vereinsmitglieder selbst: das sind wenigstens noch Trauben, die zwar auch hoch hängen, aber nach denen man immerhin schon greifen kann, wenn man das persönliche Wirken als Springstange und die schöne Institution der Landesvertretungen als Leiter benützt! Was aber die „Um gestaltung der Bundeskriegsverfaffung," „Allgemein Deut sches Heimathsrecht" und vor Allem die „Einberufung eines Deutschen Parlamentes" anbetrifft, so soll es uns gewiß nicht fehlen, dieses große Loos zu gewinnen, wenn uns nur der Nationalverein freundlichst die Nummer davon sagen will! Aber ohne solche bürgende Gewißheit, bloß auf gut Glück hin, vielleicht ein gutes Loos zu bekommen, vielleicht auch nicht, in der politischen Lotterie zu spielen, dazu dünkt uns denn doch der Einsatz zu hoch: Deutsche Reden, putsche Schriften, Deutsche Geistes-Energie, — Dinge, die man gewiß in reichem Maaße dafür ausbieten wird, und die ein Kapital sind, das man, wie wir glauben, vorläufig noch überall erfolgreicher arbeiten lassen könnte, wenn man cs daheim, in den Specia- lien des je betreffenden Special-Vaterlandes anlcgte und zu nächst dort gute Zinsen tragen ließe! Baut nur erst das Haus in allen seinen einzelnen Theilen gut aus, wozu die zuerst angeführte Hälfte Eurer Anträge ganz präch tiges Handwerkszeug darbietet, und erst dann bringt es, was Euch sogar leicht werden wird, gehörig unter Dach und Fach, wozu die zweite Hälfte Eurer Anträge Euch ganz prächtiges Material giebt! So wird sich der Bau weit leichter machen, fester und dauerhafter sein, und — wir glau ben auch: eher fertig werden! Ach, und man sieht ja noch in so manchem Deutschen Einzellande eitel Kraut und Rüben, (im projcctirt gewesenen Deutschen Spitzenstaat sogar außerdem noch junkerlich' Kraut und Kohl) in solcher Blüthe stehen, daß davon alle gute Saat überwuchert wird. Wie lustig grünt noch in den Händen des Mecklenburgers — oder vielmehr des Mecklen-Junkcrs — die devot schmiegsame und knechtisch biegsameHaselstaude — im schäumenden Lande des weltberühmten Bräuhauscs steht man erschrocken vor der Auferstehung des politisch seligen Herrn v. Pfordten, den man aus dem Staube der Bundestags-Acten zum Schrecken der ganzen neuen Aera wieder hervorgesucht hat, um das Vaterland von ihm retten zu lasten. In Kassel ist der Stockschnupfen der Legislative bis auf das Höchste gediehen und ein Antrag in der Stände- versammlung verlangt, die endlichen Mittel zur so nothwendig gewordenen Abhülfe zur Berathung zu ziehen. Was wird man, und was kann man vernünftiger Weise beschließen? Entweder: ein gehorsames Bittgesuch an den Landesherrn, daß er doch geneigtest -- den Kurfürsten zu einer Acnderung in seinem politischen System zwingen möge, — oder: eine klägliche Appellation an die Deutschen Nachbarn, gestützt auf ein trübes Hilflosigkeits-Zeugniß, indem man das heimische Elend daselbst wieder einmal an die große Glocke hängt, die es dann leider auch noch viel weiter als innerhalb der Deut schen Grenzen hinausläutet! Und wenn wir uns ein Bischen weiter umsehen, sind da die lieben Spielstaatcn in dem mora lischen, kcrngcbildeten Deutschland, deren Spielhöllen zwar nicht direct in die nationale Frage gehören, aber auch nicht gerade geeignet sind, unsere inneren Gesammt-Zuständc himm lisch erscheinen zu lasten. Eine statistische Zusammenstellung, mit der uns ein aufmerksamer Zcitungs-Correspondent ein Lichtchen aufgesteckt hat, zählt 34 bekannt gewordene Fälle von Selbstmorden auf, die durch Spielbanken Deutscher Staaten in Einem Jahr herbeigeführt worden sind — interessante