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Hk. 303. Neunter Jahrg. Montag, ZI. Oetbr. 1864. Mcheint: Täglich früh 7 Uhr. Inserate werden angenommen: bisLßend-S.Lo««. tag» bi« Mittag» 1L Uhr: Marienfiraße 18. Anzeig. in dies. Blatte, da« jetzt in 10,OVO Exemplaren erscheint, finden eine ersolgreiche Verbreitung. Monnement: Vierteljährlich SO Ngr. bei unentgeldlicher Lie ferung in'S Hau«. Durch die KLnigl. Post vierteljährlich 22 Ngr. Einzelne Nummern 1 Ngr. Inseratenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: ' 1 Ngr. Unter „Einge sandt" dir Zeile 2 Ngr. Druck und Eigenthum der Herausgeber: Llepsch K Neichllrdt. - Verantwortlicher Redacteur: Julius Neichar-t. Dresden, den LI. Oktober. — Die heutige Verstellung im Königlichen Hoftheater ist zum Besten des PensionS-Fonds des Hoftheater-Singechores. Krankheit verhinderte die für den gleichen Zweck gestern an gesetzte Vorstellung des „Wilhelm Teil" und ist es höchst dankenswerth, daß unser trefflicher Herr Emil Devrient sich sofort bereit finden ließ, seine Genialität diesem guten Zwecke zu widmen. — Die sächsische Regierung hat der evangelischen Ge meinde in Eger zur Erbauung einer Kirche nebst Pfarr- und Schulhaus im Königreiche Sachsen eine Hauskollekte bewilligt, die gegenwärtig zur Erhebung kommt. Zn einer diesfalls erlassenen Ansprache heißt es: „Bedenket: Eine arme evange lische Gemeinde in der Zerstreuung, 250 ^Seelen zählend, darunter nicht weniger als 13 rein evangelische und 5 in gemischter Ehe lebende sächsische Familien, welche binnen einem Jahre mit Eröffnung der im Baue begriffenen königl. sächsi schen Bahnlinie Herlasgrün-Eger an k. sächsischen Eisenbahn- Telegraphen- und Zollbeamten einen Zuwachs von mindestens 12—15 evangelische Familien erhalten werden, die große Mehrzahl der Gemeinde mittellos, die wenigen Bemittelten mit der Aufbringung der Pfarrbesoldung re. re. überreich in Anspruch genommen, dazu keine Kirche, keine Schule, keine Pfarr- und Lehrerwohnung, arm, daß sie nichts hat, wo sie ihr Haupt hinlegen soll — das bedenket in barmherziger Sa mariterliebe, gebet ein Scherflein um Christi willen und ver helfet uns also durch des Herrn Gnade nicht nur zu einer Kirche, sondern auch für unsere und Euerer sächsischen Brüder Kinder zu einer Schule!" — Je mehr sich in unseren Tagen in allen Schichten des Volkes die Nothwendigkeit der Bildung und Per Mang nach entsprechenden Kenntnissen kundgiebt, um so mehr schätzen wir einen Verein, dessen Zweck die Bildung und Veredlung des Arbeiterstandes bezweckt. Der seit seinem erst dreijährigen Bestehen so schnell emporblühende Arbeiterbildungsverein, Palm straße 20, in dessen Mitte ein jeder Strebsame und Lernbe gierige willkommen ist, bietet jeden Sonnabend lehrreiche Vor träge über verschiedene wissenschaftliche Themas, zu denen der Besuch ein so zahlreicher ist, daß wohl bald der Saal die Zuhörer nicht mehr fassen wird. Allabendlich ertheilen er probte Lehrer, acht an der Zahl, Unterricht in den für jeden Arbeiter nöthtgen Lehrfächern, als Rechnen, Schreiben, Geome trie, Geographie, Stylübung u. s. w. Neben diesem Elemen tarunterricht bietet der Verein noch Buchführung, fremde Spra chen und Redeübung. Ebenso wird Musik und Gesang gepflegt, auch für das körperliche Wohl der Mitglieder ist durch Turnen wöchentlich gesorgt. Der monatliche Beitrag ist nur 6 Ngr., womit zugleich die Benutzung einer gegen 300 starken Bibliothek verbunden ist. Die vom Verein ver anstalteten Vergnügungen und Abendunterhaltungen zeigen recht deutlich von dem gesunden Geist der ihn durchweht. — Ein großes Geschrei „Mörder, Hilfe, mein Sohn will mich ermorden!" hörte man gestern früh in der neunten Stunde aus dem Logis eines Hinterhauses auf der Jacobs sasse. Viele Nachbarn eilten herbei und waren entrüstet über schreckhafte Ruhestörung, die auf einem Gezänk zwischen Vater und Sohn beruhte. Der Hauswirth nahm sofort Ge legenheit, dem mit einer sehr starken Stimme begabten Logis- lahabrr das Quartier zu kündigen. Oeffentliche Gerichtsverhandlung vom 29. Oct. Diebstahl führt heut einen Dienstknecht auf die Anklagebank, der aber einen so seltsamen Dorfdialect führt, daß man ihn nur schwer versteht. Johann August Schaue, auch Schubs genannt, ist zu Lippksch geboren und erst 19 Jahre alt. Er ist schon bestraft, meist wegen Diebstahls. Schon 1859. als «r also erst 5 Jahre alt war, erhielt er in Lippitsch wegen Blumendicbstahls im dasigen herrschaftlichen Garten 30 Nuthen- chiebe. Er behauptet, er hätte nur 13 erhalten. Außerdem Hören wir noch von später erfolgten kleineren Geld- und Gefäng- nißstrafen, zuletzt faßte man ihn auch einmal in Königstein. Nach der Confirmation diente er als Arbeiter bei verschiedenen Gutsbesitzern. Auf Befragen, ob er Vermögen besitze, sagt er: »Ja, ich habe 360 Thaler, die stehen auf einem Hause!" In Mockritz diente er bis zum 26. September 1864 bei einem gewissen Bellmann. Wie sein Inneres beschaffen ist, darüber klärt uns der Herr Staatsanwalt Heinze genügend dadurch auf, daß er ein Zeugniß aus den Acten von Königswartha -verlesen läßt. Darin steht, daß er Vogelnester ausgenommen und die „nackten Jungen lebendig zerrissen" habe. Früher diente er einmal, aber nur 2 Tage und zwar vom 23- bis 26. August 1864 bei dem Gutsbesitzer Preußer in Neuvstra, der ihn aber bald entließ. Jndeß er kehrtein der Nacht 'deS 27. Septembers um 12 Uhr in den Hof zurück, um zu stehlen. Er legte eine Leiter an, stieg über die Mauer, zog Lik Stiefeln aus, ließ sie auf einem Rasenplatze liegen und ging in das zum Gehöfte gehörende Seitengebäude, wo die Knechte schlafen. Er schritt den Gang entlang bis zur Kam merthür, die er kannte, da er ja dort gewohnt. Aber ein Arbeiter, Namens Keller kam die Treppe herauf, hörte das Geräusch an der Kammer, fragte, wer da sei, erhielt aber keine Antwort. Es war rabenfinster. Der Keller ließ sich aber nicht irre führen, er hatte die Thür auf- und zumachen hören. Keller breitete die Arme über den Gang weg und so erfaßte er den Schaue, nahm ihn in die Kammer, weckte die Andern und holte den Dienstherrn mit einer Laterne. Eine silberne Taschenuhr, etwa 2 bis 3 Thaler Werth, hing an der Wand und plötzlich lag sie auf der Lade, als das Licht kam. Dies ist der Diebstahl. So bezeugen es und be schwören es der 22jährige Handarbeiter Johann Traugott Keller und der Arbeiter Ernst Mendel. Der Angeklagte leugnet die That, er will die Uhr nicht angerührt haben, nicht von der Wand genommen, ja nicht einmal die Kammer geöffnet. Er sagt, er wollte blos dort schlafen, weil alle Wirthshäuser ge schlossen waren. Die Stiefel hätte er drinnen ausgezogen, daß ihn beim Weggehen am Morgen der Besitzer nicht hören sollte. Verdächtig bleibt schon der Umstand, daß Schaue, als ihn die Arbeiter festhiclten um ihn zu arretiren, zu ihnen sagte: „Laßt mich nur gehen, ich gebe Jeden 5 Neugroschen!" Herr Staatsanwalt Heinze beantragte, die Hauptsachen noch einmal hervorhebend, die Bestrafung des Schaue. Mendel er hält seine Uhr heut zurück. Johann August Schaue erhielt 6 Monate Arbeitshaus. — Angekündigte Gerichtsverhandlung. Diens tag den 1. November Vormittag« 10j Uhr wider den Eopist Gustav Theodor Hippner von Löbau wegen Bettugs. Vorsitz.: GerichtSrath Einer» Mittwoch den 2. November Vormittag» 8 Uhr wider den Lohnkopist Augusts Harttna»» in Dip- poldiswalda wegen Betrugs. Vorsitz.: GerichtSrath Groß. * Das Berliner Ober-Tribunal hat kürzlich über das dem Lehrherrn uach der Gewerbeordnung zustehende Züchti gungsrecht ein bemerkenswerthes Urtheil gefällt. Ein Gold arbeiter hatte nämlich seinem Lehrlinge befohlen, Wasser zu holen und damit das Straßenpflaster zu besprengen, darauf aber, als der Lehrling sich dessen weigerte, demselben mehrere Schläge versetzt. Der Vater des Lehrlings denuncirte deshalb wegen vorsätzlicher Mißhandlung, und in der That sprach das erste Gericht ein vcrurtheilendes Erkenntniß. Mit Rücksicht auf das Alter und die Art des dem Lehrlinge zugemutheten Dienstes sei derselbe wohl befugt gewesen, gegen den ungeeig neten Befehl zu rcmonstrireu, es könne also von der Aus übung eines dem Lehrherrn zustehenden Züchtigungsrechtcs keine Rede sein. Das Obertribunal hat dieses Erkenntniß vernichtet und den Satz aufgestellt: „Dem Lehrherrn steht gegen den Lehrling ein Züchtigungsrecht zu; hat er von dem selben Gebrauch gemacht, ohne dabei die Gesundheit des Lehr lings zu beschädigen, so ist die Bestrafung ausgeschlossen, sollte auch behauptet werden, daß es an einer begründeten Veran lassung der Züchtigung gefehlt habe." Diesen Satz begründet es in folgender Weise: „Das dem Lehrherrn durch die Ge werbeordnung übertragene väterliche Zuchtrecht stellt seinem Wesen nach eine discretionäre Gewalt dar; die Ausübung derselben sei im einzelnen Falle zur Erzwingung der Folg samkeit des Lehrlings der gewissenhaften Veurtheilung des Berechtigten anheimgestellt und nicht davon abhängig zu machen, ob nach dem Urtheile Dritter, einschließlich der rich terlichen Behörde, in dem betreffenden Falle eine zureichende Veranlassung zur Anwendung eines Strafmittels Vorgelegen habe oder nicht. Eine Ueberschreitung dieses Zuchtrechts sei nicht schon vorhanden, wenn nach richterlicher Anschauung die vom Lehrherrn dem Lehrlinge zugemuthete Dienstleistung mit Rücksicht auf dessen Alter und die Art des Dienstes eine nicht gerechtfertigte war, sondern erst dann, wenn entweder die stattge habte Bestrafung ihrer Art oder ihrem Maße nach eine unzu lässige. weil der Gesundheit des Lehrlings nachtheilige gewe sen, oder wenn der Lehrherr nicht in der Absicht wirklicher Züchtigung, sondern zum Zwecke vorsätzlicher Mißhandlung die betreffende Strafe verhängt habe. Der Lehrherr habe daher nur von einem innerhalb seines Zuchtrechts liegenden Straf- oder Zwangsmittel Gebrauch gemacht, welches, falls es ohne zureichende sachliche Veranlassung geschehen, eine Pflichtwidrigkeit darstelle, wogegen es nur civilrechtliche oder auch administrative, aber keine strafrechtliche Hilfe gebe. Ci- vilrechtlich könne der Vater dann nämlich den Lehrvertrag zur Aufhebung bringen, administrativ könne die Regierung dem Lehrherrn das Recht, Lehrlinge zu halten, entziehen." * Thorwaldsen als Dieb. Es war in Rom. Wie schon oft, besuchte eines Tages wieder die liebenswürdige und kunstsinnige österreichische Fürstin T . . . . Thorwaldsen in seinem Atelier. Der große Meister macht ihr die Honneurs des Ateliers und führt sie selbst von Thon zu Thon, von Marmor zu Marmor, macht seine schlichten und guten Bemer kungen und erklärt seine Intentionen. Mit einem Male aber wird er zerstreut, ja verwirrt, seine Blicke irren an der Ge stalt der Fürstin auf und ab, ja er spricht vielleicht sogar einigen Unsinn. Die Fürstin, nach langem Umherwandern, setzt sich hin und wirst, um es sich bequem zu machen, ihren Shwal auf einen Stuhl. Wieder nach «imger Zeit erhebt sie sich und geht. Vielleicht ist ihr das zerstreute Wesen de» Meisters ausgefallen und sagt sie sich, daß sie ihn störe. Kaum aber ist sie zur Thüre hinaus, als sich Thorwaldsen seinen Schülern zuwendet und ausruft: .„Habt Ihr es ge sehen?" — „Was denn, Meister?" — „Nun, die herrlichen Falten, welche der weiße Crepeshwal der Fürstin wirft, so fein! so klein! wie nasse Gewandung! Das find ja die griechischesten aller Falten! So etwas habe ich mein Lebtag nicht gesehen! Meinen Jason für einen solchen Shawl! Herrje, da liegt er ja, die Fürstin hat ihn liegen lassen, das ist ein Wink des Schicksals und sie soll ihn nie Wiedersehen. Seht nur, wie prächtig er selbst den Sessel drapirt, als wäre er eine griechische Urne!" — Nach diesen begeisterten Excla- mationen nimmt Thorwaldsen den Shwal, drapirt eine seiner nackten Gestalten und bleibt in Entzückung vor den herrlich und anmuthig herabfließenden Falten des feinen weichen Stof fes stehen. Aber da klopft es. Thorwaldsen fährt zusammen; der Prophet, der in jeder großen Künstlerseele sitzt, sagt ihm; man kommt, um den Shwal zu holen. Rasch reißt er den Shawl von der Statue, eilt damit in ein Nebenzimmer, ver steckt ihn und kommt mit einem statuarisch ruhigen Gesichte zuück. Jetzt erst läßt er die Thüre öffnen; es ist richtig die Kammerfrau der Fürstin, die den vergessenen Shawl holen soll. — „Shawl?" fragt Thorwaldsen; „hat Jemand einen Shawl gesehen?" — Die Kammerfrau sucht, sämmtliche Schü ler suchen, Thorwaldsen selber sucht — der Shawl war nicht zu finden; die Botin zieht ab, die Fürstin konnte sich das Näthsel nicht erklären. Aber die wackere Seele des großen Meisters, wie sehr er auch entschlossen war, den so künstle rischen Shawl zu behalten, suchte doch nach einer guten Weise, um sich selbst zu beruhigen über den begangenen Diebstahl, und vielleicht hat die Fürstin sich das Verschwinden doch er klärt, als ihr Thorwaldsen nach einiger Zeit einen lieblichen Merkur in Marmor brachte und sie bat, dieses Geschenk von ihm anzunehmen. Der Merkur aber trug die Lyra, wie das die Götterlehre gestattet, und so war es ja deutlich genug ge sagt. daß Kunst und Diebstahl sich manchmal vereinigen dürfen. * Jakob I., König von England, welcher oft in Geldver legenheit war, wendete sich an den Magistrat von London, um als Anlehen die Summe von 20,000 Pfd. St. zu erhal ten. Die stolzen Bürger aber, welche schon mehrmals ausge holfen hatten und nicht immer pünktlich wiedcrbezahlt worden sein mochten, wiesen das Gesuch zurück Der König, darüber aufgebracht, ließ den Lordmayor und einige der einflußreich sten Aldermen zu sich bescheiden und äußerte nach Worim strengen Verweises das als Befehl, was er früher als Bitte angebracht hatte. Das Geld, so sagte er. müsse für ihn auf gebracht werden. „Und dennoch", sagte der Lordmayor, „kön nen wir Ew. Majestät Wunsch nicht erfüllen. Wir besitzen selbst das Geld nicht und können es daher auch nicht vor- strecken." — „Wenn Ihr es nicht habt", rief der König zor nig, „so müßt Ihr es schaffen. Ich muß und will es haben." — „Und wir können und wollen es nicht schaffen", sagte ebenso stolz als entschieden der Vertreter der Londoner Bür gerschaft. — „Ich werde Euch dazu zwingen", ereiferte sich der Monarch. — „Sie können uns nicht zwingen," lautete die ruhige Antwort. — „Das wollen wir sehen, sagte König Jakob immer erbitterter. „Schafft Ihr das Geld nicht, so richte ich Euch zu Grunde und Westminster soll veröden. Ich verlege meinen Hof, mein Parlament, meine Gerichtshöfe nach Aork oder Oxford, und zu spät werdet Ihr dann Eure Un dankbarkeit bereuen." — „Das können Ew. Majestät thun", entgegnet« ruhig der Bürgermeister, „aber die Themse müssen Sie uns lassen und die trägt uns mehr ein als der Hof, das Parlament und die Gerichtshöfe. Mögen Sie alles das thun, was Sie drohen, aber wir können das Geld nicht schaffen." — Dies war das letzte Wort in dieser Angelegenheit. Die Themse blieb der Londoner Bürgerschaft, aber auch der Hof, das Parlament und die Gerichtshöfe wurden nicht verlegt. Eiserne Häuser. Die Brücken-Werkstätte von Kra mer und Klett in Mainz fertigt eiserne Häuser an, bei denen auch das Fachwerk aus Eisen besteht. Die Holzpreise sind auch so hoch, daß das Eisen mit dem Holz concurriren kann, und da jene von Jahr zu Jahr steigen, so wird der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo wir eiserne Dachstühle, statt der höl zernen (die Hauptquelle aller Brände), aufsetzen. Daran wird sich eine andere volkswirthschaftliche Frage von der allergröß ten Bedeutung reihen: die Schonung der Wälder. Durch