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50,000 Exemplaren, welche diesmal kaum ausreichen wird, ist Bürge für den Werth des Ameisenkalenders, der, wie die „D. Allg, Ztg." sagt, auch diesmal seinen alten Ruhm vollkommen bewährt hat. — Der Gesangverein „Tannhäuser" wird am zweiten Weihnachtsfeiertage in, Verein mit Herrn Giebner ein Concert im Saale des Bergkellers geben. — Eine Geschichte, die anfänglich einen tragischen Cha- raeter an sich trug, sich zuletzt aber als ein Struwwelpeterbild bewies, kam dieser Tage auf der Liliengasse vor. Ein Mädchen von 15 Jahren referirt ängstlich ihrem Vater, das; in der Abend stunde, als sie sich allein im Zimmer befunden, zwei baumlange Kerle ins Zimmer gekommen, ihr mit einem Tuche den Mund verstopft und sic von dem Einen festgehalten worden sei, indem der Andere aus dem Tischkasten den Raub von 15 Ngr. aus- geübt habe. Der Vater eilt sofort nach diesem Geständniß auf die Polizei, meldet den Vorfall und cs beginnen die üblichen Recherchen. Bald aber gelangte man zu der Ueberzeugung, daß die Sache nicht so ganz klappen wollte und man es mit einer kleinen verschmitzten Person zu thun habe. Und so war's. Von Räubern keine Spur, aber von den abhanden gekommenen 15 Rgr. kumen Näschereien in Stollen, Preißelsbeeren und Ankauf eines Stückes bunten Bandes zu Tage Aus Furcht vor der zu erwartenden Strafe hatte sich das Mädchen dies Histörchen auscrsonnen. — * Oeffentliche Gerichtsverhandlung. Unter der Leitung des Herrn Bezirksgerichtsdirectors Appellationsrathes von Eriegern wurde unter außerordentlichem Zudrange des Pu blikums gegen die Lehrburschen Haacke und Leuschner wegen Mordversuches, sowie gegen den Lehrburschen Dörmer wegen Theilnahme am Beschlüsse zum Verbrechen des Mordes am 19. Dec. Hauptverhandlung gehalten. Franz Georg Haacke, 19^ Jahr alt, als außerehelich geborenes Kind nach seiner Mutter- benannt, ist von fremden Leuten angenommen und auferzogen worden. Nach scmer Confirmation ging er zunächst beim Stadt musikus in Radeburg in die Lehre, wollte hernach Strumpf wirker werden, wurde jedoch in Dresden Colorist, bis er end lich gegen Weihnacht 1859 bei dem Müller und Mühlenbesitzer Gottlob Traugott Mißbach zu Nieder-Rödern in die Lehre trat und dort in letzterer Zeit ein hübsches Lohn verdiente, womit er jedoch bei seinem Hang nach Vergnügungen immer nicht recht auskam. Das von seinen früheren Lehrern (in der Schule) eingeholtc Leumundszeugniß stellt ihn als einen ver schmitzten Menschen dar, welcher bei begangenen Ungehörigkeiten die Schuld gern auf Andere zu bringen gesucht habe. Christian Friedrich Leuschner, welcher erst am 22. Dec. d. I. sein achtzehn tes Lebensjahr — die Periode der vollen criminalistischen Zu rechnungsfähigkeit — erreicht, ist ebenfalls aus Radeburg ge bürtig, war zuerst bei einem Schuhmachermeister, dann beim Tischlermeister Seidel in der Lehre. Ihm geben seine früheren Lehrer das Zeugniß eines verschlossenen und keineswegs guten Gemüths. Franz Julius Hugo Dörmer, als außereheliches Kind öfters auch genannt Handcke, ist am 2- Nov. 1846 zu Dres den geboren und erst später bei einem Böttchermeister in Rade burg in die Lehre gekommen; ihm steht das Zeugniß eines zwar folgsamen, aber leichtsinnigen nnd leicht verführbaren Knaben zur Seite. Leuschner und Dörmer, von kleiner, schwacher Sta tur, machen Beide den Eindruck noch ziemlich unfertiger Buben; Haacke aber, etwas größer, trägt bereits das sichtliche Gepräge eines Verbrechers und eines — ausgelernten Komödianten. Es ist zu verwundern, wie dieser junge Mensch nicht nur während seiner ganzen verbrecherischen Thätigkeit, sondern auch in der Hauptverhandlung Komödie spielte, respective (den ihn besser durchschauenden Richtern gegenüber) zu spielen versuchte. Sich selbst und seine gräuliche That suchte er in ein fast komisches, läppisches Licht zu stellen, bis ihn des Vorsitzenden eindring liche Anermahnung zur Raison zu bringen schien, und bis er es für rathsamer hielt, aufrichtig und reumüthig sich zu zeigen. Das camradschaftliche Verhältniß der Angeklagten, von welchem Haacke selbst richtig bemerkt, daß es „nicht weit her" war, ent spann sich auf eine wunderliche Weise. Haacke, dessen jugend liche Phantasie schon durch Räuberromane, die er bei Expor teuren aufgetrieben hatte, überreizt sein mochte, traf einst im Lese- oder Brechholz mit Leuschnern zusammen, wo dieser ihm die Geschichte vom „Naubschützen Stülprich" (Stülpner) erzählt und ihn gefragt habe, was er denn werden wolle- Haacke habe zuerst gesagt, er wolle Strumpfwirker werden, dann aber sei er mit dem Entschluß hervorgetreten, sich zum Räuberhaupt- mann zu constituiren. Haacke habe wollen nach Amerika gehen und auf Leuschner's erklärliche Frage, woher er denn das Geld dazu nehmen wolle, habe er gesagt, was nicht verdient würde, das würde „gemaust." Sie wollten „Reichen nur das Allzu viel" nehmen und Armen etwas geben, wo zu wenig sei, «aber auch selbst etwas für sich behalten; mit ihrer Bande wollten sie übrigens warten bis sic Gesellen wären. Damals hat Leuschner den mit ihm in einem Hause wohnenden Dörmer (diesen noch nicht fünfzehnjährigen Knaben) als einen „tüchtigen Mann" zur Aufnahme in die Bande in Vorschlag gebracht. Leuschner be- giebt sich darnach zu Dörmer, erzählt ihm von seiner „Freund schaft" mit Haacke, auch von seinem Bündniß mit Jenem, fügt hinzu, sie müßten etwas thun, wodurch man zu Gelde käme und sagt endlich gerade heraus, Haacke solle der Räuberhauptmann sein und sic Beide sollten ihm dienen. Kurz: jene Beiden ka men vor Pfingsten d. I. in Radeburg mit Haacke zusammen und begaben sich unter dessen Vortritt auf den Meißner Berg, woselbst sie, die linken Hände ineinanderlcgend, die rechten «ber gen Himmel aufhebend dem Haacke den frevelhaften Eid nach sprachen, sich gegenseitig Treue zu halten und sich nicht zu ver lassen, noch zu verrathen. Alle Drei sagten hierüber aus, sie hätten sich „weiter nichts dabei gedacht," was allerdings sehr glaublich erscheint und Herr Adv. vr. Stein machte in seiner vortrefflichen Vertheidigungsredc (für Dörmer) die ebenso vor treffliche Bemerkung, daß jenes Bündniß dem Zusammentreten der drei Männer im Rüttli ähneln würde, wenn nicht hier- ebcn nur „drei einfältige Burschen" vor uns ständen. Den ganzen Sommer über scheint jener Plan fast in Vergessen heit gerathen zu sein, bis am 12. September Haacke wieder davon anfängt, daß sein Meister, der Müller, 600 Thaler (später sagte er auch einmal, es wären 2000 Thaler) im Pulte liegen habe, und dieses Geld wollten sie sich gemein sam zu verschaffen suchen. Haacke hat bei dieser und ande ren Gelegenheiten — worauf bei Abwägung seiner Schuld wesentlich viel Gewicht zu legen ist — seine Gesinnung und seine Absicht aus verschiedene Weise kundgegeben. Einmal sagt er, sie wollten das Geld Nachts stehlen und er würde den Müller, falls dieser darüber erwachen sollte, erschlagen, denn ohne Noth möchte er kein Meuchelmörder sein; das gute Herz recht greifbarlich herauskehrend, spricht Haacke, er könne seinen Meister im Ernste gar nicht ermorden wollen, denn, wenn er auch „schon bis an den Kopf hinan" sei, so könnte er so etwas doch nicht vollbringen; dann hat er wieder geäußert, er wolle dem Müller „Eins versetzen," fer ner ohne weitern Zusatz, er wolle ihn todtschlagen, so daß also, selbst wenn man seiner Aussage, daß er den Müller nur dann „wenn es paßte" erschlagen wolle, Glauben bei messen kann, immer noch mindestens der unbestimmte, even tuelle Entschluß zum Mord constatirt wäre. Schon damals, am Radeburger Jahrmärkte, wo die Drei im Gasthause „zum Löwen" beisammen waren, hat Haacke angeordnet, Leuschner und Dörmer sollten sich, mit Waffen versehen, Nachts am Chausseehause treffen und dann am Mühlwehr seines Winkes gewärtig sein. Er selbst wolle in die „kleine Stube," wo der Müller schliefe und sich auch das Geld be fände, eindringen, die andern Beiden sollten draußen und in der „großen Stube" Wache halten. Zu dem zuerst ver abredeten Rendezvous scheinen Leuschner und Dörmer gar nicht gekommen zu sein, aber nicht aus Reue, sondern nur aus feiger Angst. Beide haben sich jedoch, wie es scheint, einander vorrenommirt, daß sie am Platze gewesen wären. Leuschner gab vorher dem Dörmer den Rath, er solle nur erst zu Bette gehen, dann aber wieder aufstehen und sich ankleiden, jedoch nicht die Stiefel anziehen, damit er unbemerkt fortschlei chen könne. Dörmer hat dies, obschon er es gekonnt hätte, nicht gethan, vielmehr dem Leuschner des Nachts im Hohl-