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Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. HL 873. Freitag den 30. September 18S9. Ersch. täal. Morg. 7U — Inserate die Spaltzetle S Pf. werden bi« Ab. 7 (Sonnt, bis SU.) angenommen. — Abonn. Vierteljahr »0 Ngr. bet UAMgrldl. Lieferung in'SHau«. Durch die Post. Viertelt, »v Ngr. Linz. Nummern i Ngr. Expedition: Johanne«-Allee K u. WaisenhauSstr. 6 Pt. Dre-den, den 30. September. — Se. Maj. der König begiebt sich in Begleitung Sr. Exc. des Kriegsministers v. Rabenhorst heute Vor mittag mittelst Extrazugs nach Leipzig, um der zur Vor feier de- 50jähr. Bestehens der Jägerbrigade heute stattsin- denden und von Sr. Maj veranstalteten großen Lasel beizuwohnen. Se. Maj. wird, dem Vernehmen nach, schon heute Abend wieder nach Pillnitz zurückkehren. Das große Fest-Diner der Offiziere der gesammten Jäger-Bri gade findet, wie schon erwähnt, morgen m Leipzig im großen Saale der Centralyalle statt. — Se. Sxe. der Herr Staatsmin. Frhr. v. Brust hat sich gestern Mittag nach Wien begeben und wird in einigen Lagen von dort zurückerwartet. — Oeffentliche Gerichtsverhandlungen: Vorgestern befand sich der frühere Schneidermeister Andreas Kaaker vor dem öffentlichen Gericht, der den goldenen Boden seines ehrlichen Handwerks schon seit Jahren ver lassen und sich, wie sein Verteidiger, Herr Adv. Fränzel, sich ausdrückte, »auf den schlüpfugen Boden der Agentur schaft- begeben hatte. Es war ein betrübender Anblick, den greisen, 64jährigen Mann im Silberhaare auf der Stelle zu jehen, von welcher in der Regel wenig Ehre mit hinwegzunehmen ist. Er hatte im März d. I. im Aufträge des Senffabrikanten Hm. Schwenke in Anton» stadt einen von dessen Compagnon, Hrn. Müller, mit Giro versehenen Wechsel von 100 Thlr. zum sogenann ten „Verkauf- erhalten, mit dem Aufträge, ihn nicht nie driger als für SO Lhlr- loszuschlagen; als Proxeveticum waren ihm 4 Lhlr. versprochen worden. Das »Geschäft" wurde auch realisirt, aber Kaaker brachte den Ausstellern nur 81 Lhlr. Das war diesen doch etwas zu starker Loback und sie lehnten daher die Annahme dieses Geldes (hätten sie eS doch genommenI) auf das Bestimmteste ab, mit dem Aufträge, dasselbe wieder dahin zu tragen, wo er es geholt, und den Wechsel wieder zu bringen. NolenS volens mußte Kaaker seinen Mammon wieder einpacken, und versprach, demnächst anderswoher SO Thlr. oder den Wechsel zurückzubringen. Aber er ließ sich nicht wieder sehen. Als die Herren Schwenke und Müller ihm nun auf den Leib rückten, versicherte er ihnm, daS Geschäft sei schon wieder gemacht, der „Gärtner", der das Geld hergeben wolle, habe es nur noch nicht ganz beisammen rc. So hielt er die immer heftiger in ihn dringenden Aussteller einige Zeit hin, beschwichtigte sie auch einmal mit einem einstweiligen Vorschuß von 30 Lhlrn. »aus eigenen Mitteln", als aber endlich den Herren der Ge duldsfaden riß, und sie durchaus auf Benennung desje nigen drangen, der den Wechsel in Händen habe, gestand er, daß eine gewisse Frau 0. Deller an der Frauenkirche ihn gekauft, er aber nicht den leisesten Versuch bei dersel ben gemacht habe, daß sie daS Geld zurücknähme und den Wechsel wieder herausrücke. Vielmehr hatte er schon ganz gemächlich die Verpulverung des Geldes angefangen und fortgesetzt, wie denn auch die so großartig »aus eige nen Mitteln" vorgeschossenen 30 Lhalrr lediglich ein Be- standtheil der nicht abgelieferten 81 Thlr. waren. Er be- fchivichl'gte die Verletzten indeß durch das Versprechen, zur Vcrfallzcit den Wechsel zu bezahlen, was diese sich nothgedrungen einstweilen gefallen lassen mußten, um mög licherweise Kaakern nicht ganz außer Stand zu setzen, ih nen mindestens später gerecht zu werden. Aber dieses zeitweilige Schweigen half nichts. Als der Verfalltag, der 14. Juni, kam, waren Kraakern die erwarteten Gelder ausgeblieben, und Sch. und M. mußten den Wechsel decken, wenn sie sich nicht der Wechselhaft aussetzen woll ten. Natürlich kam es nun zur Criminal - Untersuchung gegen Kaaker, deren Ausgang die vorgestrige Hauptvrr- handlung war. Der Angeklagte entwickelte bei seinen Ent- schuldigungSvelsuchen eine nicht geringe Begriffsverwir rung in Bezug auf die ihm hinsichtlich des fraglichen Wechsels zusteyenden Befugnisse, indem er u. A. die An» sicht äufstelle. als habe ihm ein Versügungsrecht über das empfangene Geld zugestandcn, weil er den Wechsel girirt, und Sch. und M. die gebotene Valuta nicht hätten an nehmen wollen. Es wollte ihm daher gar nicht recht einleuchten, daß er in dem Schlußvortrage des Hrn. Staatsanwalts Held der begangenen Unterschlagung für schuldig erklärt wurde, und bei so evidenten Thatsachen auch sein trefflicher Vertheidiger nichts weiter thun konnte, als den Gerichtshof auf die für den Angekagten sprechenden Milderungsgründe (hohes Alter und zeitberige Unbescholtenheit) hinzuweisen. Er begann daher, als ihm schließlich noch einmal daS Wort gegeben wurde, seine an geblichen Entschuldigungen mit überlauter Stimme noch einmal herzuschreien. Der Herr Vorsitzende zeigte eine sehr humane Rücksicht gegen den bedauernöwerthen alten Mann, daß er ihm diese Ungehörigkeit nicht verwies, und er wurde schließlich zu einer 15monatlichen Arbeitshaus- strase verurthnlt. — Wie zu erwarten, haben die Stadtverordneten in der vorgestrigen Sitzung dem Rathe hinsichtlich eines Sei-