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Tageblatt s°, Unterhaltung »nd Geschäftsverkehr. 18S. Freitag den 8. Juli I85S. Ersch. lägt. Morg. 7 U — Znsrralt die SpallzeUe 5 Pf werden bi« Nb. 7 (Sonnt, v. 11—2 U > angenommen. — Adonn. Dirrleljahr 20 Ngr. bei unentgelbl. Lieferung m's Hau«. Durch die Post. Viertels 20 Ngr. Einz. Nummern I Ngr. Expedition: Johannes-Allee ü u. Waisenhausstr. 6 pt. Dresden, den 8 Juli. — Se. M. der König hat den Commandanten der 2. Jnf.-Bug. Oberst v. Rutzenstein zum Generalmajor der Jnfanleiie ernannt, auch dem Hauptmann Hann vom 5. Inf. Bat. die wegen überkommenen Dunstunvermögens und erlang!« Anstellung im Cwilstaatsbienste nachgesuchte Entlassung, mit der Erlaubniß zum Tragen der Armee uniform, bewilligt. — Oeffentliche Gerichtsverhandlungen: Schon in voriger Woche stand ein Frauenzimmer vor des Schranken der Ocffentlichkeit, die sich ihr Taschentuch so vor Mund und Nase hielt, daß kein Mensch im Stande war, ihr Gesicht zu sehen. Dieselbe Geschichte erneuerte sich am vorigen Dienstage, wo man außerordentlich begie rig war, die in der Umgegend von Dresden und nament lich in ihrem Geburtsorte Wachwitz als abgefeimte Schwindlerin bekannte Marie Helene Kasper kennen zu le.nen. Aber es war nicht möglich, etwas von ihrer Phy siognomie zu erblicken, denn sie hielt rin bre.tgelegtes Ta schentuch so vor die rechte Wange bis über das Ohr hin aus, daß nur der dahinter von Zeit zu Zeit hörbar wer dende Ton erkennen ließ, daß hinter solcher Barrikade rin Mensch stecke. Wir hatten dafür, daß die Gestattung solchen geflissentlichen Verbergens der Gesichtszüge dem Prinzipe der Oeffentlichkrit nicht entspricht. Das Publi kum soll dergleichen Subiecie auch von Angesicht kennen lernen, damit es möglicher Weise sich in Zukunft vor ih nen hüten könne. Besagte Kasper ist trotz ihres Alters von 21 Jahren doch bereits dreimal wegen Betrugs im Gefängnisse und anderthalb Jahre im Arbeitshause gewe sen. Seit Februar v. I., wo sie von dort zurückkam, bei ihrer Schwester in Wachwltz sich aufhaltend, war sie am 1t. April d. I. von dort heimlich sortgegangen, an geblich, „weil ihre Schwester so garstig sei", und erst am 6. Mai nach Verübung von allerlei Betrügereien, durch die sie sich das Leben fristete, wiedererlangt worden. Ihre erste Thal verübte sie noch am Äbrnde desselben Tages, indem sie sich zu dem Maurer Petzschke in Wachwitz ver fügte, für den sie, da er von seiner im ersten Stock woh nenden Frau getrennt lebte, die Wäsche zu besorgen pflegte. Dort verblieb sie die Nacht und verewigte bei ihrem am andern Morgen erfolgenden Fortgange ihr Andenken da durch, daß sie verschieden« der verehrt. Petzschke gehörige Gegenstände mit sortnahm. Die begonnene Irrfahrt führte sie am folgenden Tage zunächst nach Sebnitz, wo sie bei! ssiner gewissen Grohmann erscheint und sich den Weltna- 1 men „Meyer" beilegt. Dort gerirt sie sich als eine von ihrer, wie sie weiß, in Loschwitz verheirateten Tochter ab gesendete Botin und bringt derselben die Schreckensnach richt, deren Mann sei gestorben und die Mutter solle so fort nach Loschwitz kommen. Nachdem eS, was die Haupt sache war, eine tüchtige Atzung, vielleicht auch Botenlohn gesetzt hatte, borgt sie vor ihrem Aufbruche, da es regne risch und kalt ist, von der Grohmann einen Regenschirm und ein wollenes Tuch, mit dem Versprechen, die Sachen ihr in« Loschngtz wiedergeben zu wollen, verkauft sie aber sofort. Als Letztere nach Loschwitz kommt, tritt der bereits schwer bewein» Schwiegersohn mit freudestrahlendem Ge sichte ob ihre- une,warteten Erscheinens der guten Mut ter entgegen, sie aber weiß nicht, ob sie sein „Willkommen" mit einem „Alle guten Geister rr." beantworten soll oder nicht. Neugestärkt und mit Zehrgeld versehen wendet sich nun die Kasper der HeimathSgegend wieder zu und ge langt nach Dresden, wo ihr Weg sie zunächst m die Holz- hofgaffe führt. Dort verfügt sie sich zu einer gewissen Schulze, in der vorgespiegelten Absicht, nach einem Logis zu fragen, findet aber blos deren unerwachsene Tochter zu Hause. Sie weiß dieselbe mit fort zu kirren, kehrt aber dann, als diese sich entfernt hat, allein in die Woh nung zurück und stiehlt aus einer Kommode und einem Kleivrrschranke verschiedene Effecten, sowie 9 Ngr. Haares Geld, zusammen etwa 7 bis 8 Lhlr. an Werth. Die Sachen werden sofort vermöbelt. Am 22. April taucht Helene auf ihren Kreuz- und Querzügen wieder in Riesa auf, wo sie bei einer gewissen Frau Schober unter irgend einem Vorwand« einkehrt und um ein Nachtlager bittet, zum Dank dafür aber am folgenden Morgen mit einem aus 10 Ngr. geschätzten Strohkober verschwindet. Fünf Tage darauf, am 22. April, wirft sie ihre Fangarme in Laubegast auS. Dort sucht sic eine frühere Freundin auf, die den europäischen Namen „Müller" führt und im Ar menhaus« wohnt. Die vielleicht „in längst verklungenen Tagen" schon dagcwrsene Vertraulichkeit stellt sich bald wiever zwischen beiden ein, und die Müller schlägt ihr vor, sie zu einem dort wohnenden Biüderpaare zu füh ren, in deren Hause das Pulver nicht erfunden worden ist. Gesagt, gethan. Unter einem nichtigen Vorwände gehen Beide dorthin, und die Müllerin bringt dem einen der Brüder bei, das sei eine gute Partie für ihn, sie habe ein Haus in Loschwitz und 500 Thlr. baares Geld rc. rc. Jetzt wird dem heirathskustigen Jünglinge warm ums Herz, -r läßt Schnaps anfayren, Kaffee kochen, ja, er-