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Kunstgenossen, den kursächsischen Hofkapellmeister Konrad Rupff zu sich. Drei Wochen blieb Walther im Hause -es Reformators zu Wittenberg, währen- welcher Zeit das „Geistliche gesangk Büchlepn" zur Reife gedieh. Dieses historisch außerordentlich wichtige Buch, das älteste Denkmal protestantischer Musik überhaupt, enthält 43 Walthersche Tonsätze zu 3, 4 und 5 Stimmen (darunter S lateinische). Ls erschien in 5 Stimmheften für Diskantus, Altus, Tenor, Vagans (II. Tenor) und Bassus. Luther schrieb zu dem Buche seine berühmte Vorrede, in der es wörtlich heißt: „Ich bpn nit der mepnung / das durchs Euangelion / sollten alle künste zu boüen geschlagen werden vnü vergehen, wie ettliche abergepstlichen fürgeben / Sondern ich wollt alle künste, sonderlich die Musica / gerne sehen ym Dienst des / -er sie geben und geschaffen hat." Die Bearbeitung der Lhoralgesänge Lurch Walther geschah in dem Buche so, daß die Melodie (Lantus kirmus) meist in den Tenor, also nicht wie heute in die Oberstimme gelegt wurde (ähnlich wie das bisher beim gregorianischen Gesang in der niederländischen Schule Brauch war), während die übrigen Singstimmen sich figuraliter und fugenweis um dieselbe bewegten. Das „Wittembergisch Geistlich gesangk Büchlepn" von 1524 war zunächst für den Gesangunterricht in den (Latein-)Schulen bestimmt; denn dem Schülerchor fiel die wichtige Aufgabe zu, den Gemeinden die erste Bekanntschaft der neuen Weisen und Tonsätze zu ver mitteln. Gr wurde mit der Führung des Gemeinüegesanges betraut und hatte dabei das. deutsche Kirchenlied (Lhoral) in künstlerisch harmonischem Satze vorzutragen. Die Lage der Liedmelodie aber im Tenor, noch mehr die Verhüllung derselben durch mehr oder minder verschlungene» sich oft kreuzende Figuralstimmen, wird der Gemeinde das Hören der Weisen, mithin auch die Beteiligung am Gesänge erschwert, ja zuweilen unmöglich gemaWM haben. Man prüfe das Gesagte beim Hören des Waltherschen Lhoralsatzes „In Gott gelaub' ich". Der Gemeindegesang trat also in -er neuen Kirche noch eine geraume Zeit hinter der Kunst musik zurück und Luther sah sich genötigt, in Kanzelvermahnungen das Volk zu bitten, sich an ihm zu beteiligen. „Ich kenne Eure Trägheit," sagt er am 24. Januar 1529, „daß Ihr jene frommen Lieder, wie sie schon 7 Jahre in Hebung > sind, nicht lernt, Ihr gebt Luch dazu überhaupt keine Mühe, sondern achtet vielmehr uff reuterliedlein." „Ihr Familienväter solltet darauf bedacht sein, sie den Euren einzuprägen. Denn solche Gesänge sind gleichsam eine Bibel der Unmündigen, ja auch der Gelehrten. Wie werden fromme Leute davon mit heiliger Glut erfüllt!" Wenn so — wie gesagt — durch die Luther - Waltherschen Bestrebungen, den Gemeindegesang zu fördern, ein schneller Erfolg zunächst nicht erzielt wurde, ja erst i. I. 1586, nach Herausgabe des Lhorgesangbuches von Lukas Gsianüer, der die Melodie in den Diskant verlegte und so der Gemeinde das Mitsingen erleichterte, ein wirklicher Fortschritt auf diesem Gebiete wahrgenommen wurde, so fiel doch dem „Wittenberger Geistlichen gesangk Büchlepn" eine hohe Kulturaufgabe zu: fast unsere sämtlichen Luther-Lhoräle — sie gehören zu den erhabensten Blüten deutscher Kunst — sind durch dasselbe zum überhaupt ersten Male in die Deffentlichkeit gelangt und mit ihnen die Tonsatzkunst Walthers. Gewährt letztere bei der erstmaligen Begegnung wohl vielleicht nicht einen Genuß im modernen Sinne, so finden sich doch unter den motettenartigen Sätzen des späteren Dresdner Hofkapellmeisters nicht wenige, die an eigenartiger, wenn auch herber Klangwirkung, kontrapunktischer Kunst der Notivverwertung und harmonischer Entwicklung der Beachtung jetzt noch — nach fast 400 Jahren — wert sind. Zudem sind sie im direkten Aufträge des Reformators entstanden, der — selbst ein feiner und tiefgebilüeter Nusikkenner — sie mit seinen Wittenberger Kunst- und Hausgenossen gewiß oft gesungen hat. Luther übernahm hierbei den Tenor und „Herr Philippus (Melanchthon) tönet auch mit ein". Bemerkenswert ist übrigens der Walthersche Psalm 67, und zwar dadurch, daß sich in seinem 2. Teil (Secunäa pars) folgende Stellen in den kontrapunktierenden Stimmen finden: Diese Melodiegänge zeigen gewisse Ähnlich keiten mit folgenden Lhoralzeilen des Luther liedes: a) „Ein' feste Burg ist unser Gott" und b) „Ein' gute Wehr' und Waffen" — „Auf Erd'n ist nicht sein's Gleichen". Mit Beziehung hierauf ist in letzter Zeit wiederholt die Hypothese aufgestellt worden, in der Melodie zu „Lin' feste Burg" sei eine Schöpfung 2oh. Walthers zu erblicken. Dies aber würde der bekannten Behauptung Sleiüans, eines Zeitgenossen Luthers, direkt widersprechen und wohl auch dem Inhalte des im Vesper-Programm vom 10. November 1906 bereits mitgeteilten Aufsatzes Johann Walthers. - LL'.