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I«. August 1857 Nr L90. Sonntag. LelOAiA Die Zeitung crscheint nut Ausnahme des Sonntag« täglich Nachmit tag« für den folgenden Tag. DkiiW Allgciiikiiit Zeitung. Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erudition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preis für das Vierteljahr 1'/, Hhlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. «Wahrhtit und Recht, Freiheit und Gesehl» Jnsertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Zu späte Einsicht. -----Leipzig, 15. Aug. Wir haben während des ganzen Verlaufs der großen orientalischen Krisis wiederholt und beharrlich die Staatsmänner Oesterreichs gewähnt, den rechten Moment für Wahrnehmung ihres Vor- thM nicht zu versäumen. Wir haben immer und immer daran erinnert, welche bedenkliche Folgen die nur halbe und zweideutige Bundesgenofscnschast mit den Westmächten und der unentschiedene, aber dennoch unzweideutige Bruch mit Rußland früher oder später für Oesterreich haben werde. Wir haben insbesondere auf die günstigen Chancen aufmerksam gemacht, welche sich der österreichischen Politik in den Donaufürstenthümern öffneten — immer vorausgesetzt, daß Oesterreich eine entschiedenere und activcrc Nolle in dem großen europäischen KriegSdrama übernähme —, aber auch auf die Unzuträglichkeiten, denen es im andern Falle sich ausgesetzt sehen würde, sobald Rußland, nicht wesentlich geschwächt durch den Krieg, wol aber durch das Mislingen seines ersten Angriffs gegen die Türkei zu einem besser angelegten zweiten gereizt, seine alten Künste von neuem begönne. Aber man war damals an der Donau sehr stolz auf eine Politik, die ohne Schwertstreich mehr erreiche als Andere mit KricgsihatfN. Die Folgen dieser Politik haben nicht auf sich warten lässt«. Schon in der Bolgradsrage, ganz kurz nach dem Abschluß des Pariser Friedens, machte Oesterreich die be- sorgnißerrcgende Erfahrung, daß Rußland nach wie vor das alte, Frank reich aber plötzlich ein anderes geworden sei. Die schlau berechnenden Po litiker an der Donau halten gehofft, der orientalische Krieg, ohne Oester reichs Mitwirkung geführt, werde dennoch Rußlands Uebergewicht bre chen, zugleich aber die Macht der beiden andern großen kriegführenden Staaten wesentlich schwächen, und der Gewinn des Einen wie des An dern werde schließlich Oesterreich zusallen. Diese Berechnung hat gründ lich getäuscht. Rußlands Einfluß und der Zauber seines gefürchteten Namens sinb so wenig gebrochen, daß selbst Frankreich, kaum noch der scheinbar unversöhnlichste Gegner russischer Ansprüche, nichts Bes seres zu thun weiß, als sich zum Advocate» und Schildknappen eben dieser Ansprüche zu machen. Andererseits aber ist Frankreichs Ansehen durch die Wendung, welche der orientalische Krieg — dank des von Oesterreich be folgten Systems des Zauderns und Stillsitzens — genommen hat, dergestalt gewachst«, daß bas europäische Gleichgewicht gegenwärtig von dieser Seite her mindestens ebenso sehr wie von Seiten Rußlands, vollends aber von einer Verbindung dieser beiden fMche (wie sie sich täglich mehr und mehr vollendet), aus da- ernstlichst? bedroht erscheint. Hätte Oesterreich damals sich activ am Kriege bethciligt, so hätte Frankreich niemals jenes allein aus schlaggebende Uebergewicht der Waffcnführung erlangt, welches die Natur des Krieges, alS eine- vorzugsweise zu Lande zu führenden, ihm gegenüber dem mehr zur See alS auf dem festen Lande mächtigen englischen Bun- dcsgenossen verlieh, so hätte man Rußland ganz anders und viel nachhal tiger it» die für Europas Ruhe nolhwendigcn Grenzen seiner Machtcnt- Wickelung zurückweisen können^ so wäre es Oesterreich, nicht Frankreich ge wesen , welches den Frieden diclirt haben würde, und so stände Oesterreich jetzt nicht isolirt, ohnmächtig dem erdrückenden französisch-russischen Ein flüsse (Pim selbst England für den Augenblick weichen muß) gegenüber da. Indessen, was auch immer die österreichische Politik versäumt haben mag, anerkennen müssen wir, daß sie wenigsten« in dem Bestreben, die Türkei M den offenen und geheimen Angriffen Rußlands zu schützen und so euier für ganz Europa höchst bedrohlichen Machterweiterung des großen nordischen Kolosses nach dieser Seite hin vorzubeugen, nicht nach läßt. ssnd wünschen müssen wir, insbesondere von unserm deutschen Stand- punkt aus, bczß diese Bestrebungen Oesterreichs, bei deren Gelingen oder Mislingen Deutschland sowol direkt — durch, sein comuierziclles Interesse an der Freiheit der Donau — als indirect 7-7 durch feine politische Gesammt- läge gegenüber Rußland — aus da« allerwesentfichstc betheiligt ist, in der öffentlichen Meinung Deutschlands Anerkennung und Unterstützung finden. PteüPin. Berlku, 14. Aug. t)ie ofsiciellc «Zeit» sägt: „Wirer- fahwn/'Mff nuü auch das' österfclchischc /C seine Bereitwilligkeit zu erketmöN gegeben hat, der' Ansicht Preußens über die Nothwendigkeit einer RevifM dir Wahlen, in der Moldau beizNsretcn." — rDptkjp, 14. Aug, Den in Aussicht stehenden Berathungen der aus Mitgliedern, des. Etach-r-ths gebildeten Finanzcommissipn wird mit großer SMUng entgegengeschen, weil mgu erwartet, daß sie zu wichti gen V-rlgaft,. .für die, Nächste Session der beiden Häuser des Allgemeinen ^WgsMM.W^ Auch, ist man hier, NäNitE in den höhern und MMW Schichten her Gesellschaft, sehr begierig auf den Erfolg der BeMnhMgenj denen "sich der ehemalige Staatsminister und jetzige Oberprä sident v. Duesberg auf allerhöchsten Befehl unterzogen hat, um die letzten Anstände zu heben, durch welche die in das preußische Unterthanenverhält- niß hereingezogcnen ehemaligen rcichsunmittelbarcn Standeöherren abgehal- tcn werden, ihre Sitze in dem Herrcnhausc cinzunehmen. — Der heute im Mäder'schen Saale abgehaltcnc vierte Vortrag zur Vorbereitung auf die Septemberversammlung evangelischer Christen aller Länder der Erde ver- breitete sich über das Verhältniß des Evangelischen Bundes zu den» evangelischen Geiste des Apostels Johannes, welcher I) als eine geistige Adlernatur, 2) als Donncrssohn und 3) als der Apostel der Liebe darge- stcllt wurde. Der Vortragende, Prediger Kraft, suchte darzuihun, daß sich das ganze neuerwachtc Glaubcnsleben des 19. Jahrhunderts an dem Jo- hanneischen Geiste entzündet habe und daß auch der Evangrlischc Bund, als ein Kind dieses neuerwachten Glaubcnslebens, durch und durch auf Jo- hanneischcm Geiste beruhe. Er wies darauf hin, daß die hervorragendsten Theologen der neuern Zeit, wie Schleiermacher und Neander, von Johan- neischcm Geiste erfüllt gewesen; er nannte ferner den Ausspruch des Phi losophen Schelling, dje Christenheit sei bisher von zwei Aposteln beherrscht worden, die römische von Petrus, die protestantische von Paulus, die Kirche der Zukunft aber werde eine Kirche des Johannes sein, die Aeußerung einer tiefen Ahnung und sagte von dem Evangelischen Bunde, daß derselbe, in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft blickend, sein Vorbild in der apostolischen Kirche erkenne, seine erste Entwickelung in dem neuen Glau- bcnsleben wahrnehmc, seine Zukunft in die Herrschaft des Johanneischen Geistes setze. Der Vortrag war ein nach allen Seiten hin großartig erhe bender und brachte die Bedeutung des Evangelischen Bundes in wahrhaft erhabener Weise der zahlreichen Versammlung zum Bewußtsein. — Aus Elberfeld vom 10. Aug. wird dem Frankfurter Journal geschrie ben: „Am verwichcnen Sonntag fand hier eine große katholische Pro- ! cessio« statt, und diesmal mit einer größern Prachtcntwickclung, als wir sie bis dahin zu sehen gewohnt waren. Die protestantische Bevölkerung der Stadt sah mit Ruhe und Achtung der Schaustellung zu; manche protestan tische Einwohner hatten sogar dem Zuge Blumen und Laubwerk gestreut. Betrübend ist cs, zu berichten, daß die Katholiken theilweisc sich mit diesen Huldigungen nicht begnügten, daß unter Andern» einem Greist, der dieser Procession begegnete, der Hut vom Haupte geschlagen wurde. Die wahre christliche Demuth sollte sich gerade bei dieser Gelegenheit zeigen und es selbst an einem katholischen Orte übersehen, wenn ein Andersgläubiger die üblichen Huldigungen unterläßt; wie sehr ist diese Demuth aber zu ver missen, wo sie in einer evangelischen Stadt diese Huldigungen erzwingen will und gegen Greise in der glühenden Sonnenhitze wirklich erzwingt/? — Aus Rawicz vom 13. Aug. wird über den Brand in Bojanowo (Nr. 189) geschrieben: „Seit gestern Nachmittag 5 Uhr hat unsere Nach barstadt Bojanowo factisch aufgehört zu existiren. Eine entsetzliche Feuers brunst hat in kaum zwei Stunden die Gottes- und Schulhäuser der Be wohner, daS Rathhaus, die Post, die Apotheke, die Gasthäuser, kurz sämmtliche öffentliche und Privathäuser, einige Hütten ausgenommen, in Schutt und Asche gelegt. Das Feuer, dessen Entstehungsursache zur Zeit noch unbekannt (nach andern Nachrichten hätten Kinder mit Streichhölzern gespielt), brach in der Neustadt aus, wälzte sich wüthend nach derPunitzer- straße und breitete seinen verheerenden Weg bis nach dem Ringe aus. Von der fürchterlichen Hitze waren die mit geringen Ausnahmen mit Schindel dach gedeckten Häuser völlig ansgedorrt, dir Räume von Getreide, Wolle, Spiritus, Leder, Stroh, Heu und Holz angcfüllt, die Spritzen ohne Wasser. Die Atmosphäre kochte, und die unerträgliche Glut ließ weder Rettung noch Hülfe zu. Die von hier zur Brandstätte herbeieilende Menschenmenge konnte vor Qualm und Dampf nicht in die den Flammen preisgegebene Stadt. Die Spritzen postirten sich um die Außenseite derselben zur Abwehr des Brandes, durch den das Bahnhofsgebäude bedroht war, Auch Men schen werden vermißt; sie sind wahrscheinlich ein Opfer geworden." — Einige Potsdamer Speculanten hatten für den 13. Juni durch Placat ein sogenanntes „AbschicdSfest zum Weltuntergang" im dortigen Co losseum angekündigt, da« nach vrrschiedenen Belustigungen mit Chorälen und geistlichen Liedern beschlossen werden sollte. Die Polizei confiScirte die Placat« an den Ecke», verbot da- angrkundigte „Fest" und schloß das Local für den Tag. Wie der Publicist erfährt, ist jetzt gegen dir Unternehmer noch ein weitere« gerichtliches Verfahren im Werke und die Anschuldigung auf,,Gotteslästerung" gwichtet. ' Württemberg, n Stuttgart, 12. Aug. Ich habe Ihnen früher schon von dem Plane einiger untern Postbeamten geschrieben, bei dcr Höhe der gegenwärtigen Miethprcise gemeinschaftliche Wohnungen zu bauen. Dieser Plan ist keineswegs aufgegcbcn, sondern er wird im Gegcntheil eifriger als je zu verwirklichen gesucht. Der Staat wird nun um Ueberlassung eines unentgeltlichen Bauplatzes angegangen. Ein Wohn haus für 12 Familien kommt auf 16,400 Fl. zu stehen. — Dcr Vorschuß