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Mittwoch. erscheint mit Ausnahme »e« Montag« täglich und wird Nachmittag« 4 Uhr au-- gegeben. Vreig für da« Viertel- sahr 1'/, Thlr.; jede ein- jelne Nummer - Ngr. Nr: 256. 1. November 1854 Dciltschk Mgmkint ZtitMg. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Änsertionogevühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. > VBom Main, 29. Oct. Welche Mission übernimmt Baiern jetzt in der orientalischen Angelegenheit? Die Reise seines Ministerpräsidenten nach Berlin und Wien deutet auf irgendeine außergewöhnliche Wirksamkeit BaiernS hin. Hat es eine Frontevcränderung gemacht? Will cs jetzt für Oesterreich und gegen Rußland wirken, wie es bisher mit letzterm sympa- rhisirt hat? Dies ist wahrscheinlich, sonst würde Hr. v. d. Pfordten nicht auch nach Wien gehen wollen; denn dort ist die Politik bereits so entschie den, daß kein äußerer Einfluß eine Aenderung hervorzubringen vermöchte. Was kann aber diese Beränderung der bairischen Politik veranlaßt haben? DaS Interesse des bairischen Königshauses, welches mit dem der grie chischen Krone so eng verbunden ist, zieht Baiern auf Rußlands Seite. Hier haben wir es daher auch in der neuesten Zeit gesehen. Denn die Feinde Rußlands, England und Frankreich, haben sich feindlich genug gegen Griechenland betragen, in seine Angelegenheiten inlervenirt, ja sogar dessen Hauptstadt besetzt. Wenn diese Maßregeln auch vor einer gesunden Po litik gerechtfertigt erschienen, so mußten sie doch in den Augen Baierns sehr unangenehm sein. Hat letzteres jetzt sichere Garantien für die Integrität Griechenlands und die Erhaltung der Wittelsbacher Dynastie erhalten? Aber wird ein Bündniß Baierns gegen Rußland dem griechischen Königshause nicht die Liebe der Nation, die ihr Heil von Rußland erwartet, entziehen? Wird deshalb die Bevormundung Griechenlands durch England und Frank- reich aufhörcn? Oder drängt die ultramontanc Partei Baiern zum An griff auf Rußland? Allerdings gewinnt dieselbe dort immer mehrUebergc- wicht und sie bildet sich bekanntlich ein, der Krieg im Orient werde der rö mischen Kirche zur Herrschaft über denselben verhelfen. Aber man darf der bairischen Regierung wol zutrauen, daß sie solche Träume nicht theilt. Wie dem nun auch sein mag: möge cs dem bairischen Minister gelingen, die Eintracht zwischen Wien und Berlin wiederherzustellen. In Berlin dürfte er kaum überall eine porsona Zrstu sein, und seine Politik von 1849—50 gegen Preußen empfiehlt ihn dort nicht zum besten. Indessen ist die Politik einmal ein Chamäleon, bringt Reminiscenzen zum Schweigen und folgt den Interessen des Augenblicks. Preußen, t Berlin, 30. Oct. Vorgestern ist von Seiten Preu ßens, wie in den hiesigen diplomatischen Kreisen versichert wird, eine Note nach Petersburg abgegangen, worin das russische Cabinet dringend er- ,sucht werden soll, die bekannten vier gefodcrten Bürgschaften als Friedens- grundlage anzunehmen. Diese Note Preußens dürfte durch eine gleiche Note Oesterreichs kräftig unterstützt werden. Es möchte der bcmerkenswerlhe Um stand hervorzuheben sein, daß diesmal die Mahnung zur Nachgiebigkeit von Preußen ausgcht und Oesterreich diese Mahnung mit seiner Unterstützung begleitet, wie dies in Bezug auf die bekannte österreichische Mahnung an Rußland früher von Preußen geschehen war. — Wie man hört, hat der bairische Ministerpräsident v. d. Pfordten von Wien aus eine Einladung erhalten und wird sich derselbe demnach in diesen Tagen nach Wien bege ben. - Für die Einigung der beiden deutschen Großmächte scheint be reit- ei» bedeutungsvoller Schritt hier sowie in Wien geschehen zu sein. Bezeichnend für die Lage der Dinge ist die Verstimmung in denjenigen hie- Fgen Kreisen, welche eine der russischen Auffassung der orientalischen Streit frage günstige Wendung in Preußen sowie in den deutschen Mittclstaaten und überhaupt innerhalb des Deutschen Bundes im gegenwärtigen Zeitpunkt vorausgesetzt hatten. Berlin, 30. Oct. Wenn ein russisches Anerbieten, die vier Ga rantien zu discutiren, wirklich erfolgen sollte, so würde dem Vernehmen mach der Westen, um jede diplomatische Gefahr von vornherein zu beseiti gen, eine russische interpretative Note durch den Staat, wahrscheinlich Oester reich, verlangen lassen, dep nach dem gegenwärtigen Verkehr zu dieser ge- ffrrn erwähnten und auseinandergesetzten Diversion von Rußland erwählt amd benutzt werden dürfte. Rußland wird dann zu erklären haben, wie cs die vier Garantien versteht. L Berlin, 30. Oct. Die Presse empfindet zuerst das Ungewisse unserer Politischen Lage. Wir haben rasch aufeinander: Verbot des Lloyd, Be- fchlagnahme der augSburger Allgemeinen Zeitung (zwei mal), der Weser- Zeitung (Nr. 3385), Verwarnung der Kreuzzeitung und am 28. Oct. Be schlagnahme der Nr. 43 des Preußischen Wochenblatt. Das letztere Hal sich dieses Geschick durch eine Glosse über die Verwarnung der Kreuzzeitung zugezogen. Bor den Kammern wird die Presse Gegenstand lebhafter Ver handlungen werden. Charakteristisch ist, daß der Lloyd zurrst in Rußland, dann hier, endlich auch in Sachsen verboten worden ist, wo vor 1848, von der Censur sanrtionirt, so viel gegen Oesterreich gedruckt worden ist. — Bon der Mission deS Ministers v. d. Pfordten ist mit Unrecht behauptet worden, daß sie im Einverständniß mit dem wiener Cabinet geschehen sei. Seit Rückkehr des Grafen Esterhazy weiß man hier, daß dies nicht der Fall ist und daß Oesterreich seinen Standpunkt nicht aufgibt. Auch von Mitthcilung der österreichischen Instructionen an den kaiserlichen Bundestags, gesandren ist keine Rede, cs sei denn, man trete hier den in Wien gefaß- len Entschlüssen bei. Man wartet in Wien nur auf die noch ausstehen den Erklärungen einzelner deutscher Regierungen und scheint fest entschlossen, sich nicht Hinhalten zu lassen. Wenn es wahr ist, wie man sagt, daß Hr. v. d. Pfordten und Hr. v. Beust auf Schritte dringe, um Rußland zu be- wegen, seine Truppen von den österreichischen Grenzen zu entfernen, so werden diese Herren auch wissen, daß es nur Ein Mittel gibt, zu diesem Zwcck zu kommen. Es heißt: 200,000 Mann zwischen der untern Weichsel nnd Memel aufstellen. Es führt kein anderer Weg nach Küßnacht! Was hiesige Correspondenzfcdern von directen Vernehmungen Preußens mit den Westmächten verbreiten, ist doch gar zu bodenlos. England und Frankreich haben sich mit Oesterreich auf die Basis der vier Punkte gestellt. DiescS Minimum ihrer Foderungcn will man hier nicht annehmen. Wer nun wird sich einbilden, daß die Wcstmächte die Triplecinigung mit Oesterreich zerreißen würden, um unter dem Minimum derselben eine andere Position mit Berlin einzugehen? Die Möglichkeit ist ausgeschlossen, solange man hier nicht weit über die vier Punkte hinaus sich activ zu verpflichten be reit ist. — In einem Artikel, in welchem die Kölnische Zeitung die Gemeinsam keit des Handelns zwischen Preußen und Oesterreich in der großen Frage befürwortet, sagt sie am Schlüsse: „Allerdings soll Preußen Deutsch land nicht BundeSpreßgesche aufdrängen lassen, die für den österreichischen Gesammtstaat nothwendig sein mögen, aber unmöglich für die rein deutschen Staaten und besonders für Preußen sind. Wie es eine falsche Eifersucht auf Oesterreich gibt, so gibt eS auch eine nicht minder falsche Hypcrgefällig- keit! Als solche würde es uns erscheinen, wenn Preußen sich durch An nahme des neuen, jede Preßfreiheit vernichtenden Systems der «Verwarnun gen» und administrativen Concessionsentziehungen selbst des hohen Vor theils seiner günstigem politischen Lage blos Oesterreich zu Gefallen be geben wollte." * Von der Oder, 30. Oct. Nach der ganzen Sachlage und nach den österreichischen Erklärungen ist der Krieg zwischen Oesterreich und Ruß land unvermeidlich. Er kann jeden Augenblick ausbrechen, sei eS nun, daß Rußland losbricht, wenn die Alliirten die Krim wieder räumen müßten, oder daß Oesterreich angreift, um den Alliirten in der Krim und in Bessarabien eine nützliche Diversion zu machen. Was wird nun Preußen thun? Es kann sich dann nicht mehr damit entschuldigen, daß der Kriegsschauplatz ihm fcrnläge; denn der Kampf wird unmittelbar an seinen Grenzen entbrcn- nen. Die Russen ziehen sich an der obern Weichsel und bei Kalisch zu sammen, die Ocstcrreicher stehen bei dem befestigten Krakau. Beide Heere berühren demnach die schlesische Grenze und stehen nur einige Meilen von der Oder. Trotz dieser drohenden Umstände ist Preußen für die Eventua litäten eines nahen Kriegs nicht gerüstet. Wol sind Pferde für die Cava- lerie der Linie und die Bespannung der Geschütze nebst Zubehör beschafft; aber wenn die preußische Armee ganz ins Feld rücken soll, so bedarf sie noch über 40,000 Pferde. Man kann sie daher keineswegs für kriegsbereit erklären. Würden unsere deutschen Bundesbrüder, die Oesterreicher, geschla- gen, so kämen wir jedenfalls ebenso wie bei Austerlitz mit unserer Hülfe für sie zu spät. Denn ehe unsere Armee marschfertig wäre und an der schlesisch-russischen Grenze stände, könnten die Russen schon in Wien sein. Doch noch ein anderer Umstand drängt Preußen zu schleunigster voller Rüstung. ES unterliegt keinem Zweifel, daß bei einem Zusammen stoß Oesterreichs nnd Rußlands in Polen die polnische Frage in den Vorder grund tritt. Wahrscheinlich ist das Diesfallsige bereits zwischen Wien und den Westmächten vereinbart. Wie nun, wenn eine Wiederherstellung Polens ohne Preußen bewerkstelligt werden sollte, würde dies nicht zum größten Nachtheil Preußens geschehen? Würden die Alliirten wol dessen Interesse dabei wahrnehmen, da Preußen sich gegen sie theilnahmloS bewiesen? Würde Rußland aber wol für uns sprechen, da eS beim Tilsiter Frieden uns selbst einen Theil unserer damaligen polnischen Besitzungen nahm und 1815 durchaus uns Posen entziehen untz seine Grenzen bis vor die Thore Berlins vorrücken wollte? **AuS Preußen, 28. Oct. Wie mir von glaubwürdiger Seite mit- getheilt wird, wäre der neue Entwurf über Reform der Ehegesetzgebung vornehmlich das Werk unserer katholisirenden Partei, welche schon längst die möglichst« Erschwerung der Ehescheidung gefodert. Man hört demnach auch, daß das neue Gesetz sich ganz in dieser Richtung beweg«, und daher nur dem Ehebruch analoge Ausdehnungen desselben, nämlich tiefgreifende Verschuldung de- einen Ehegatten, al- ScheidungSgrund zulassen will.