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Mittwoch, den 5. Dezember 1V28. 83. Jahrgang Nr. 283 Tagesschau. * Der Reichstag beschäftigte sich am Montag mit der Rottage der Landwirtschaft. Zur Beratung lagen 1Z7 Anträge vor. Rttch»- ernShrungsmtnister Dietrich sprach sich gegen weiteren Zoll» schuh au». Der Reichsminifter de» Innern, Severiug, der qm Montag zweck» Information über die Wirtschaftlage im Ruhrgebiet nach Düsseldorf gereist ist, wird voraussichtlich am Mittwoch nach Berlin zurückkehrea. Der neue Schied»spruch dürfte jedoch, wie der sozial- demokratische Pressedienst meldet, frühesten» erst im Lause der nächsten Woche gefällt werden. Am Freitag wird sich die deutsche Delegation zu der Rats tagung de« Völkerbundes nach Lugano begeben. Dr. Stresemann wird auch diesmal von Staatssekretär Dr. v. Schubert und von dem Ministerialdirektor Dr. Gau» begleitet sein. * Im Rathaus in Rassel kam e» am Montag während der Stadtverordnetenversammlung zn Skandalszenen eingedrungener Erwerbsloser. * Im englischen Unterhaus« sprach am Montag Außenminister Lhamberlaia über die Rheinlandräumung. Er bestritt da» Recht Deutschland», die Räumung zu verlangen. Rur au» politischen Gründen sei die Räumung zu begrüßen. wie an» Toulon berichtet wird, wird dort von französischen Seeoffizieren ein Kursus zur Unterweisung polnischer Offiziere in der Steuerung von Unterseebooten abgehallen. * 2m Arlberggebict ist so starker Schneefall eingetreten, daß zwei Lisenbahnzüge im Schnee stecken blieben. *) Ausführliche» an anderer Stelle. Die Gesamkverschuldung der Landwlrfschafl ohne Rek tenbankgrundschuld wird auf 11,5 Milliarden Mark ge schäht, die Ainsenlast auf über eine Milliarde Mart, v« Kreditproblem wächst sich immer mehr zum Hauptstück der Agrarfrage au». Der Minister schätzt die Auslandsverschuldung auf 12 bis 13 Milliarden Mark. Nur eine vernünftige Lösung der Reparationsfragen könne einen kräftigen Anstoß zur Kapi talbildung geben und die Landwirtschaft entlasten. Der Mi nister bespricht dann die vorliegenden Anträge. Eine Hinaufsetzung des Roggen- und Weizen-oll» würde die Gefahr herbeisühren, daß wir statt mit Weizen mit Mehl überschwemmt würden. Die Mehlz 8 lle könn ten aber infolge der Bindung durch den französischen Han delsvertrag nicht heraufgesetzt werden. Eine Zollerhöhung werde auch das Getreideproblem nicht lösen. Vielmehr müsse man mit Beschleunigung eine Einrichtung schaffen, die die Entwicklung der Getreidepreise und die Macht verhältnisse studiert und aus gl eicht. Zur Bekämp fung der Verhältnisse auf dem Zuckermarkt fei dem Reichs rat bereits eine Vorlage zugegangen, die den Zoll für Ber- brauchszucker um 10 Mark erhöht. Diese Maßnahme sei allerdings verbunden mit einer energischen Wahrung der Rechte der Konsumenten. Der Finanzminister werd« er mächtigt, den Zoll aus den Satz von 10 Mark herunterzu setzen, wenn der Preis an der Magdeburger Börse für den. Zentner Gebrauchszucker im Monatsdurchschnitt über 21 Mark hinausgeht oder wenn «in solcher Preis länger al» einen Monat nicht notiert wird. Der Minister betonte, daß er, die nötigen Zugeständnisse Polens vorausgesetzt, positiv an dem Zustandekommen -des deutfch-polnischen Handels vertrages mitarbeite. Der Minister kündigt dann an» daß da» einmalige Rokprogramm durch ein laufende» produk- kions- und absahförderndes Programm ersetzt werden soll. Im Kernpunkt dieses Programms stehe die Hebung der Produktion, und die Verbesserung des Absatzes von Vieh und Schweinen, sowie die vollkommene Umgestaltung des Milch- und Molkerei wesens. Auch ein Milchgefetz werde baldigst vorgelegt werden. Trotz der ungeheuren Not der deutschen Finanzen sei die Reichsregierung entschlossen, auf 5 Jahre den Betrag von 20 Millionen Mark, zusammen also 100 Millionen Mark, für diese Zwecke bereilzustellen. Auch di« Winzer genossenschaften sollen besonders berücksichtigt wer den. Auf steuerlichem Gebiet werde das Steuerv«r«inheit- lichungsgesetz eine geeignete Grundlage für eine Reform des landwirtschaftlichen Steuerwesens abgeben. Der Minister tritt weiter für die Reorganisation des Genossenschafts wesens ein. Die Agrarkrisis, so beschließt der Minister, kann nur der deutsche Bauer selbst überwinden, wenn er einen klaren Kopf hat, eine unvoreingenommene Meinung zu den Dingen und den Willen, sich auf der Scholl«, die ihn durch zwei Jahrtausende hindurch getragen hat, zu erhalten. Abg. Kerp (Ztr.) begründet eine weitere Interpellation, die sich mit der Notlage der Winzer beschäftigt. Abg. Hamkens (D. Vp.) betont, die furchtbare Notlage der Landwirtschaft äußere ihre schädigenden Wirkungen auch auf viele andere Wirtschaftszweige, die mehr oder we niger von der Kaufkraft der Landwirte abhängig seien. Di« Krife der Landwirtschaft sei also ein Problem der ganzen deutschen Wirtschaft. Beim Abschluß des an sich notwendi gen deutsch-polnischen Handelsvertrages müßte Vorsorge ge- troffen werden, daß die deutsche Schweinezucht nicht von einer weiteren Katastrophe betroffen werde. Die Vermin derung des zollfreien Gefrierfleischeskontingents habe die er hoffte Wirkung nicht gehabt, die Viehpreise seien vielmehr weiter gesunken. Eine Erhöhung des Kontingents würde di« Lage noch verschlimmern. Die Ueberschwemmung Deutsch lands mit ausländischem Fleisch sei jetzt so groß, daß Schutz maßnahmen dringend erforderlich seien. Abg. Härnle (Komm.) vermißt in der bisherigen De batte ein Eingehen auf die Not der zwei Millionen deutschen Landarbeiter. Der Lohn dieser Arbeiter betrage einschließ lich Deputat kaum 34,3 »Z in der Stunde. Dazu komme die Kulturschande der Frauenzwangsarbcit, der Kinderakkord arbeit und des entsetzlichen Wohnungselends der Landar beiter. Die Regierung und die übrigen Parteien hätten nur das Wohl der Großgrundbesitzer im Auge. Rcichsernährungsminister Dietrich weist die Angriffe des Vorredners zurück. Alle Hilfsmaßnahmen der Regie rung seien darauf berechnet, gerade den kleinen Bauern zu l'-lfen. Bei der Zuckerproduktion müsse das Dumping der Staaten bekämpft werden, die mit schlecht bezahlter Sklaven arbeit produzieren. Dieser Kampf liege auch im Jntereste °)er landwirtschaftlichen Arbeiter. Um 19'^ Uhr wird die Melterberatung auf Dienstag <3 Uhr oertaat Sie Rot der Landwirtschaft vor dem Reichstag. Wieder einmal fand im Deutschen Reichstag am Mon tag eine Aussprache über die Not der deutschen Landwirt schaft statt. Die Lage der deutschen Landwirtschaft hat sich nicht verbessert — sie hat sich trotz des von der staatsbürger lichen Regierung aufgestellten und durchgeführten Notpro gramms verschlechtert, weil die gegenwärtige Regierung in diesem Notprogramm nicht ein Provisorium sieht, sondern weil sie offenbar glaubt, trotz aller schönen Erklärungen des Ernährungsministers sich mit der Durchführung dieser Maßnahmen ihrer Pflicht gegenüber der Landwirtschaft ent ledigt zu haben. Weit über hundert Interpellationen und Anträge liegen vor. Zunächst ergriff als Zentrumsredner Dr. Hermes das Wort, der bekanntlich die deutsch-polni schen Wirtschaftsverhandlungen führt. Er ist Sachkenner und er faßte das Problem an der Wurzel, als er erklärte, daß der deutsche Markt gegen die Lebensmitteleinfuhr nicht genügend geschützt ist. Aber was nützt es schließlich, wenn man die Ursachen wohl erkennt, sie aber nicht beseitigt. Zollschutz und Zollschutz und noch einmal Zollschutz braucht die deutsche Landwirtschaft und damit eine Handels politik, die alle anderen Gesichtspunkte hinter dem einen Willen zurückstellt, die deutsche Agrarproduktion wieder rentabel zu machen und rentabel zu erhalten. Daß die Re gierung Müller, in der als Wirtschaftsminister Herr Curtius sitzt und in der die Sozialdemokratie die führende Rolle spielt, die notwendige Schwenkung unserer Handelspolitik vornimmt, kann man wohl kaum erwarten, selbst wenn man geneigt ist, dem demokratischen Landwirtschaftsminister Dietrich den besten Willen zuzugestehen. Die Ausführungen des deutschnationalen Abgeordneten Bachmann ließen denn auch mit aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen, daß man in landwirtschaftlichen Kreisen, vor allem auch in den Kreisen des bäuerlichen Kleinbesitzes, kein Vertrauen zu der Regierung und ihrer Politik hat, daß man sich hier nahezu wehrlos Mächten ausgeliefert fühlt, die von landwirtschafts feindlicher Seite dirigiert werden. Der Zollschutz allein tut es ja auch nicht. Das ganze System unserer Volkswirtschaft, das eben die Industrie nahe an eine Katastrophe herange führt hat, ist der Produktion feindlich, weil es der Kapitals bildung feindlich ist. Nie ist das Zusammengehen dieser bei den Stände, Industrie und Landwirtschaft, zur Selbsterhal- tung notwendiger gewesen, als in dieser Zeit und doch er eignet es sich immer wieder, daß einmal von der einen Seite und einmal von der anderen Seite der oder jener ausbricht und so die ganze Front ins Wanken bringt. Ist die Front geschlossen, so wird jede Regierung ihren Forderungen Rech nung tragen müssen und sich nicht mit so halben Maßnah men begnügen können, wie sie der Reichsernährungsmini ster ankündiate. Halbe Maßnahmen, damit soll sich die Landwirtschaft begnügen. Wenn sie es kann! Das ist die Frage, aber man läßt dies« Frage Neber ungelöst, als daß man aus die Große Koalition verzichtet, die ja allerdings auch noch eine Frage ist, solange Zentrum und Bayerische Volkspartei immer noch nicht so recht gewillt sind, mitzu machen. Ser Reichsernährungsminister gegen den Zollschtch. Sitzungsbericht. Derlin, 3. Dezember. Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 18 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen die Interpellationen und Anträge der verschiedenen Parteien, die sich mit der Notlage der Landwirtschaft beschäftigen. Es liegen nicht weniger als 137 Anträge vor, darunter allein 40 von der Christlich-na tionalen Bauernpartei. Mit der Beratung verbunden wird der Bericht des Volkswirtschaftlichen Ausschusses, der einen Antrag der Wirtschaftspartei auf Aenderung der Gefrier fleischverteilung abgelehnt hat. Abg. Dr. Hermes (Ztr.) begründet die Interpellation seiner Fraktion und erklärt, die Notlage der deutschen Land- wirtschaft halte unvermindert an. Der nach dem Schieleschen Notprogramm beschrittene Weg, besonders zur Absatzförderung, dürfe nicht wieder verlassen werden. Der Enqueteausschuß habe festgestellt, daß die Betriebe zum größten Teil als Verlustbetriebe zu be zeichn«» seien. Die Zinsbelastung betrage mehr als eine Milliarde Mark und sei um ein Viertel höher als vor dem Kriege. In der Landwirtschaft herrsche eine verzweifelte Stimmung. Troße Betriebszweige seien in den letzten Jahren für den Landwirt verlustbringend gewesen. In diesem Jahre seien es die Viehpreise. Die Krisis, so fährt der Redner fort, ist nicht auf die deutsche Landwirtschaft beschränkt. Sie herrscht Sus' dem ganzen Weltmarkt. Neben dem Ausbau des Ge nossenschaftswesens müßten Verbesserungen der landwirt schaftlichen Produktionsmethoden erfolgen. Die Regierung muß der Landwirtschaft durch ausreichenden Zollschutz hel fen. Je mehr der Bauer in seiner schweren Lage Verständ nis findet, um so eher wird er zur Selbsthilfe bereit sein. Abg. Bachmann (D.-N.) begründet die deutfchnationale Interpellation, in der Maßnahmen verlangt werden, welche eine Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung und des Instanzenweges unter gerechterer Verteilung der öffent lichen Lasten herbeiführen. Weiter wird eine Vereinfachung und Verbilligung der Sozialversicherung und der Erwerbs losenversicherung verlangt und die Forderung aufstellt, daß die im Dawesplan vorgesehene Nachprüfung der Leistungs fähigkeit der deutschen Wirtschaft beschleunigt herbeigeführt werden möge. Der Redner bedauert, daß die deutsche Der- braucherschaft vielfach Auslandsprodukte den Erzeugnissen der deutschen Landwirtschaft vorziehe. Die Reichsregierung sollte wenigstens von der Ermächtigung Gebrauch machen, den Roggen- und Wei zenzoll heraufzusetzen. Ein deutsch-polnischer Handelsvertrag, bei dessen Abschluß Deutschland hinter die von der früheren Reichsregierung aufgestellten Bedingungen zurückweichen würde, hätte für die deutsche Landwirtschaft die Bedeutung einer neuen schweren Gefahr. Bei der Verteilung der öffentlichen Lasten werde die Land wirtschaft in ungerechter Weis« benachteiligt. Bei den be vorstehenden Reparationsoerhandlungen müßten auch aus den Kreisen der deutschen Landwirtschaft Sachverständige herangezogen werden. Die Selbsthilfemaßnahmen der deut schen Landwirte zur Verbesserung ihrer Produktions- und Absatzmethoden könnten nur Erfolg haben» wenn sie ergänzt werden durch Handels- und zollpolitische Maß nahmen der Reichsregierung zum Schutz der heimischen Landwirtschaft. Reichsernährungsminister Dietrich stellt zunächst fest, daß naturgemäß bei seinem Dienstantritt das Schielesch« Notprogramm erst zu ein«m kleinen Teil aus geführt war. Trotz des Notprogramms ist die Lage der Landwirtschaft schlecht. Besonders katastrophal sind die Preise für Weizen, Ochsen und Kühe. Auf den, Zuckermarkt droht durch das ausländische Dumping «ine Katastrophe. Geradezu gefährlich wird die Lage durch die Entwicklung der Verschuldung und der Zinsen. Vom 1. Ok tober 1927 bis zum 1. Oktober 1928 haben die Realkrcdirs der Landwirtschaft um 848 Millionen Mark, die Kredite von mittlerer Laufzeit um 171 Millionen Mark zugenommen, die kurzfristigen Kredite haben sich aber nur um 225 Millionen Mark verringert. Es ist also abermals eine Mehrbelastung von 800 Millionen Mark kestzustellen. (Hört! Hör'" DerMWeLrMer Unabhängige Zeitung für alle Stände in Stadtund Land. Dicht verbreitet in allen Volksschichten. Beilagen: Illustriertes Svnntagsblatt / Heimatkundliche Beilage / Frau und Heim / Landwirtschaftliche Beilage / Jugendpost. Druck und Verlag von Friedrich May, G. m. b. H. in Bischofswerda. — Postscheckkonto Amt Dresden Nr. 1521. Gemeindeverbandsgirokasse Bischofswerda Konto Rr. 64 - rden Werktag abend» für dm folgeuden Lag. Zeit «ine» halben Monat«: Frei tn» -au« 420, bet» Abholen in d«r Geschäftsstelle i0 Psg. Einzelnummer 10 Pfg. (Sonnabend, und Sonntag«nummer 18 Psg.) Tageblatt fiirIWossrver-a Einzige Tageszeitung im Amtsgerichtsbezirk Bischofswerda und den angrenzenden Gebieten Der Sächsisch« Erzähler ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekannt machungen der Amtshauptmannschast, de» Arbeitsgericht« und des Haupt zollamt« zu Bautzen, des Amtsgericht«» de» Finanzamts der Schulinspektion und de« Stadttat, zu Bischofswerda behördlicherseits bestimmte Blatt Erfcheiaung-weifer Jeden Werkti Be,ug»pres, für die Zeit «tn«, halbmonatlich Mk. 1. wöchentlich 80 Pfg. 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