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- Erscheinungsdatum
- 1926-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735715891-192607030
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735715891-19260703
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735715891-19260703
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Der sächsische Erzähler
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-07
- Tag 1926-07-03
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Monat
1926-07
-
Jahr
1926
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rückbleibt, von den bürgerlichen Parteien obgelehnt. Die Aussichten auf eine Einigung, die morgen im Handclspoli- tischen Ausschuß versucht werden soll, sind also ziemlich gering. Deutscher Keich-tag. Berlin, 1. Juli. Präsident Lobe eröffnet die Sitzung uni 2.20 llhr und teilt mit, daß entweder am Freitag zwei Sitzungen statt finden werden oder eine Schlußsitzung noch am Sonnabend. Der völkische Abgeordnete Weidenföser hat gegen einen Ord nungsruf Einspruch erhoben. Er hatte, als nach dem Abg. Rosen feld der Abg. Landberg in der Fürstenabfindungs-Aussprache das Wort nahm, gerufen: „Der zweite Jude." Der Einspruch gegen den Ordnungsruf wird gegen die Stimmen der Deutschnationalcn und Völkischen verworfen. Als der Abg. von Graefe (Völk.) nun mehr ruft: „Also ist das Wort Jude eine Beleidigung", antwortet vor Präsident: „Es kommt immer aus die Absicht an." Zur erste» Lesung steht dann das Gesetz über die Aussetzung von Verfahren (Sperrgeseh zur Fürstenabfindung). Reichskanzler Marx nimmt sofort das Wort. Nach dem Gesetz vom 12. Februar dieses Jahres sind Nechtsstreitigkeitcn zwischen Ländern und Mitgliedern der vormaligen regierenden Fürstenhäuser über die vermögens rechtliche Auseinandersetzung und damit zusammenhängende Fra gen auf Antrag einer Partei bis zum Jnkrasttrctcn einer rcichsgc- scizlichen Regelung auszusclzcn. In dem Gesetz vom 3. April dieses Lahres ist eine entsprechende Regelung für Verfahren wegen Auf lösung von Familiengütcrn der ehemaligen Fürstenhäuser getroffen. Die Geltungsdauer dieser beiden Gesetze ist heute abgclnusen. Wenn die Reichsrcgicrung mit dem vor liegenden Gesetzentwurf eine Verlängerung der Sperrfrist bis zum 31. Dezember dieses Jahres vorschlägt, so dürfen aus der Einbringung des Entwurfes unmittelbar vor der Entscheidung in der Fürstenfrage keineswegs irgendwelche Schlüsse gezogen werden, als sei in der Auffassung der Reichsrcgicrung über die baldige Erledigung dieser Frage eine Wandlung cingetrelen. Die Reichsrcgicrung ist nach wie vor entschlossen, noch vor den Ferien die Vorlage über vcrniögcnsrechlliche Auseinandersetzung mit den ehemaligen Fürstenhäusern zur Entscheidung zn bringen. Ich möchte nochmals der zuversichtlichen Erwartung Ausdruck geben, daß sich der Reichstag mit der erforderlichen Mehrheit zn der von der Reichsrcgicrung uorgeschlagcncn Lösung des Problems bekennen wird. Auch wenn dieser Erwartung entsprochen wird, ist die Verabschiedung des gegenwärtig zur Bera tung stehenden Gesetzentwurfes aus prozessualen Gründen notwen dig. Sollten die Erwartungen der Reichsrcgicrung sich nicht er füllen, so legt die Regierung auf die Verabschie dung keinen Wert mehr. (Hört! Hört!) Das Sperrgeselz wird darauf in erster und zweiter Lesung nn- ganommen. Gegen die sofortige Vornahme der dritten Lesung erbebt Reichs kanzler Dr. Marx in seiner Eigenschaft als Rcickistagsabgcordnctcr selbst Einspruch. Der H a u s h a l t a u s s ch u ß stellt zur Frage der Bewilli gung von Wiederausbaudarlehen folgenden Antrag: Die Regierung möge Mittel bereilstellen, um den Geschädigten, die einen entschädigungs'äbigcn Liquidations schaden nut einem Grundbctrnge von mehr als 200 000 erlitten haben und entwurzelt sind, über den Rahmen der Richtlinien für Wicdcrausbaudarlehcn hinaus, Darlehen zum Zwecke des Wieder aufbaues zu gewähren, sofern dieser der deutschen Außenwirtschaft dient und ein besonderes volkswirtschaftliches Interesse an ihm be steht. Abg. Schirmer (Soz., Dresden), beantragt die Streichung der Bestimmung, die die Entschädigung aus die 200 000 -l( übersteigen den Schäden beschränken will. Eine solche Beschränkung würde eine ganz ungesetzliche Zurücksetzung der ärmeren Geschädigten sein. In nnmenllicher Abstimmung wird der sozialdemokratische Abändcibmgsantrag zum Ausschußantrag mit 248 gegen ISO Stim men bei'einer Enthaltung abgclehnt. Der Ansschußnntrag und die Zentrumsentschließung werden angenommen. Zu den verschiedenen Anträgen auf Förderung des land- liehen Siedl ungswescns fordert der Wohnungsa u s schuß in einem Anträge die Rcichsreglerung auf, bis zur Er- fchließung von Danerkreditmöglichkeiten in den nächsten S Jahren einen Betrag von 50 Millionen Mark bereitzustellen. Dabei ist die Beschaffung eines größeren Landvorratcs und die Begebung von Einrichtnngskrcditcn an alle Siedler zu berücksick-tigen. Im Zu sammenarbeiten mit den Länderbehörden sind die für die Durch führung der Siedlung maßgebenden Richtlinien ausgestellt worden durch einen besonderen N e i ch s t a g s a u s sch u ß. Die Mittel sind durch die Ncntcnbankkrcditanstalt an die von den Län dern zu. bestimmenden Stellen meiterzulcitcn. Eine Verteuerung der Kredite darf durch die Wciterbegebung nicht eintrcten. Don allen Parteien ist dazu eine Entschließung angenommen, in der Fürsorgceinrichtungen und zinslose Wirts chaftskreditc für die Flüchtlingssicdler verlangt werden. Die kommunistische Entschließung wird abgelehnt. Der Ans- schußantrag mit der Entschließung der großen Parteien wird ange nommen. In zweiter und dritter Lesung wurde hierauf ahne Debatte der Gesetzentwurf angenommen, durch den die privaten Ver sicherungs-Unternehmungen verpflichtet werden, die Kosten des Reichsaussichtsamtcs für Privatvcrsichcrung durch Ge bührenzahlung zu decken. Ohne Aussprache wurde auch in zweiter und dritter Beratung dos Süßstofsgese tz angenommen. Da nach beträgt die Sühstoffsteuer bei Sacharin 2 Mark, bei Dulsin 5,Oll Mark. Es folgte die zweite Beratung der 4. Novelle zum Reichs verso r g u n g s g e s c ß. Das Reich will wegen der gegenwärti gen Notlage der Krankenkassen auch weiterhin in den die Kassen be sonders belastenden Fällen Ersatz leisten, nachdem die allgemeine Ersalzpflicht des Reiches abgelauscn ist. Der Ausschuß für Äriegs- beschädigtenfragen beantragte die Annahme der Novelle und eine Entschließung, die vlütere Mittel für die Versorgung der Kriegs beschädigten und Hittierblichenen, besonders eine erhöhte Pflegezu lage für die Blinden verlangt. Die Novelle wurde in zweiter und dritter Lesung angenommen. Ohne Debatte wurde weiter in zweiter und dritter Lesung die Novelle zum Gesetz über die Beschäftigung Schwer- k iegs beschädigter angenommen, des weiteren dem Gesetz in zweiter und dritter Lesung über Rückgabe der für Besatzungs zwecke in Anspruch genommenen Grundstücke zugestimmt. Gegen liO Uhr vertagte sich dos Hous auf Freitag mittag 1 Uhr. 'Auf der Tagesordnung steht die dritte Beratung des Ge setzentwurfes über die Auseinandersetzung mit den ehemaligen Fürstenhäusern. Caillaux und -er Krankensiurz. Kaum ist der Mann, auf den mau die denkbar größten Hoffnungen für die Rettung der Wirtschaft Frankreichs ge- etzt hat, der Finanzminister Caillaux, an die ausschlag gebende Stelle des Kabinetts Briand gekommen — und chon erreicht der Frank einen neuen Rckordticfstand. Diese Folge ist zum mindesten unerwartet. Aber wie erklärt sie ich? Rein zeitlich trifft der neue Frankensturz etwa zusam men mit der Abgabe der offiziellen Erklärung des neuen Kabinetts Briand vor der Kammer. Aber dieser Zusam menhang erscheint dem objektiven ausländischen Beobachter doch als recht indirekt. Uns erscheint, als ob diese Regie rungserklärung jedem Denkenden noch nichts über die guten oder schlechten Aussichten der kommenden Sanicrungstätig- keit Caillaux' sagen kann. Ausdrücklich ist ja die Abgabe des allgemeinen Negierungsprogramms von der Bekannt gabe des von Caillaux ausgearbciteten Sanicrungspro- gramms getrennt worden. Und die Oeffcntlichkcit der Welt muß ganz genau missen, daß heute über Herrn Caillaux noch kein Urteil zu fällen ist, daß also sich auf ihn weder gute noch schlechte Zutunftsmechscl ziehen lassen. Der jetzige Frankensturz yat ooch wohl Ursache. Eine Ursache, die gerade kein ehrendes Zeuav für den Gemeinsinn der französischen Parteien darstellt. Diese Parteien nämlich sind es, die aus meist recht durch sichtigen egoistischen Gründen gleich nach der Abgabe der Regierungserklärung mit einer derartig systematischen Hetze gegen das neue Kabinett und seinen neuen Finanzminister begannen, daß es wirklich ein Wunder gewesen wäre, wenn die Finanzwelt anders reagiert hätte als nervös und mit Ablehnung gegen die Währung, deren Schicksal, noch dazu mit besonders großen Vollmachten, einem Manne anvcr- traut ist, der in seinem eigenen Londe derart befehdet wird. Diese — man möchte fast sagen Episode — aus der Frankbewegung der letzten Tage ist unglaublich bezeichnend, denn sie erhellt schlaglichtartig die ganze Situation in Frank reich. Man hat Herrn Poincarö, den ruhmreichen Bezwin ger des wehrlosen Ruhrgebiets doch wirklich inständig ge nug gebeten, höchstselbst das Finanzministerium zu über nehmen. Aber Herr Poincarä hatte Angst! Angst vor Un popularität. Auch Herr Tardieu hatte alle Chancen, an die sen dornenvollen Posten zu kommen, dessen jetzigen Inhaber er so rücksichtslos kritisiert. Auch er Hot gedankt. Es entsteht nun die Gefahr, daß Frankreich seine beste Karte, Herrn Caillaux, nutzlos verspielt. Selbst wenn es mit Caillaux in den nächsten Tagen noch nicht zur Kata strophe kommen sollte, so ist seine Stellung doch bereits jetzt stark unterhöhlt. Es märe ein tragisck-es Geschick, wenn Caillaux aus dem natürlichen toten Punkt, der am Anfang seiner Sisyphusarbeit liegen muß, überrannt würde von einer demagogischen Opposition, die, als sie selbst am Ruder war, auch uns Deutschen nicht den geringsten Anlaß gab, etwa für sie einzutretcn. Wir müssen natürlich fcststcllcn, daß wir auch an einer links eingestellten Regierung Briand- Caillaux absolut kein nationales Interesse haben. Unbe streitbar aber haben auch wir Deutschen ein Interesse daran, in Frankreich kein Chaos entstehen zu lassen, das mit seiner natürlichen Folgeerscheinung, der Verzweiflung für ganz Europa schädlich werden könnte — weil Frankreich Waffen besitzt, und weil der Revolver in der Hand des Wahnsinni gen niemals gut tut. Mieder ein deutscher Schritt in Paris. Paris, 1. Juli. Von offizieller deutscher Seite ist in den letzten Tagen in der Frage der Verminderung der Be- sotzungstruppen eine neue Demarche beim Ministerium des Auswärtigen unternommen worden. Im Zusammenhang damit stand auch der gestrige Besuch des deutschen Botschaf ters v. Hoesch bei Briand, der sich neben dem offiziellen An trittsbesuch bei dem neuen Ministerium auch mit diesen Fra gen beschäftigte. Wie hier verlautet, ist von der deutschen Regierung auf den Zusammenhang zwischen der Frage der Bcsatzungstruppen und den Handelsvertrags-Verhandlun gen, insbesondere auf das von der französischen Regierung gewünschte provisorische Abkommen, hingcwiesen worden. Koefch unterwegs nach Kertin. Berlin, 2. Juli. Das B. T. meldet aus Paris, daß der deutsche Botschafter von Hoesch nach seiner Unterhaltung mit Briand Paris verlassen hat. Er ist zunächst nach Berlin ab gereist und wird in acht bis zehn Tagen wieder in Paris ein reffen. Frankreich gibt in Abessinien nach. London, 2. Juli. (Drahtb.) Zwischen Frankreich, Eng land und Italien ist cs zu einer grundsätzlichen Einigung Bei Elsa Brandström im Heim. Von Otto Flösset, Bautzen. Die drin wohnen, nennen es „Plcnni-Hcim". „Plenni" Heißt nämlich so viel wie „Kriegsgefangen in Rußland". Für ehemals in Rußland in Gefangenschaft gewesene Deutsche aber ist das Heim bestimmt. So will es Schwester Elsa Brandström, die Schöpferin dieser Stätte, die von Schweden herkam als Wohltäterin unserem Volke, deren Name nicht genannt werden sollte, ohne das Haupt dabei in Dankbarkeit zu neigen. Denn was sic, die erst wenig mehr denn Dreißigjährige, getan hat, um damals im Kriege und jetzt im Frieden an Leid und Schmerz zu stillen und an zer borstenem Dasciusglück und zerschlagener Lcbenshoffnung aufzurichtcn, das vermögen Worte nicht zu schildern. In ihrer Nächstenliebe, Selbstverleugnung, Hingabe und Hilfs bereitschaft ist sic eine jener Lichtgestalten, der in der Ge schichte den Menschheit nur wenige an die Seite gestellt wer den könne. Von ihrem Tun geht Christusähnlichkeit aus. „Engel von Sibirien", so nennen sie die, denen sie draußen im russischen Kerker begegnete. Gibt cs einen schöneren Namen für sie? Wahrlich, das ist etwas Engclglcichcs, was sie da im Dienste der Menschheit tut. Bon Beginn des Krieges an wirkte ihre Hand fast 6 Jahre hindurch Gutes unter den Kriegsgefangenen in Ruß land und Sibirien. Was sic im Dienste des Roten Kreuzes an Jammer und Not dort gesehen und mitgesühlt hat, das bestimmte sic, die selbst von hoher Herkunst ist, — war doch ihr Vater vor dem Kriege schwedischer Gesandter in Peters burg — ein Leben in Entsagung und Sclbstcntäußcrung für die Notleidenden und Gebrochenen zu führen. Alles für andere, für sich nichts. Das Pestalozziwort gilt auch ihr. Den gesamten Erlös aus ihrem Buche „Unter Kriegsgefan genen in Rußland und Sibirien 1914—1918" gibt sic hin für ihr Werk. Sic reist durch Amerika und zeigt der Welt, wieviel Wunden es zu heilen gilt. In ihrem Zimmer stehen die Lichtbilder aus der Gefangenschaft beieinander, mit denen sic drüben manch Schcrslcin geworben hat. Und was ihr sonst von gut?» Menschen noch gegeben wird, das opfert sic auf dem Altar der Nächstenliebe, und wer ihr- nahcstcht, der weiß, daß ihr aus ihrem Vaterlandc Schweden — Gott sei's gedankt! — noch immer Hilsc kommt. Drei Heime hat sic in Deutschland gcschasfcn: Die Kuranstalt Marienborn in Schmeckwitz bei Kamenz, das Gut Schreibermühlc und das Kinderheim Neusorgc. Die schwedische Flagge weht vom Giebel Marienborns. „O du gelbes Kreuz auf blauem Grund, du fröhlicher Wind van Schweden, ihr weht mir weine Seele gesund und könnt von Freiheit reden." Dos hatte einst ein deutscher Kriegsgefangener empfunden, den sie aus Krücken aus russischer Kerkerhaft auf freie ger manische Erde führte. „Muß ich das nicht an Euch tun, da ich doch Germanin bin!" Wie oft hat sic das, erfüllt von edelster Menschlichkeit, jenen Unglücklichen gesagt, die für gestilltes Leid ihr Tränen der Dankbarkeit auf die wunder tätige Hand weinten. Die Schwester zog cs zu den Brüdern hin. Mit wieviel brüderlicher Liebe, ja wie mit fast kind lichem Vertrauen sic an ihr hängen, zeigten erneut die Stun den, an denen viclhundert einstiger Gefangener in diesen Tagen in ihrem Heime weilen dursten. Das Urbild der deutschen Frau und Mutter, das ersteht in ihr. Vor vier Jahren hat sie das Heim erworben, im Früh jahr. Im Herbst schon kamen ihre „Kricgskinder" und zogen ein ins neue Haus. Auf Krücken kamen sie daher, das alte Kricgslcidcu noch in den Gliedern. Von der Was serkante kamen sic und vom Saum der Alpen, vom Rhein strom und vom freien Danzig, aus Böhmen und dem Donnuland. Denn alles, was deutsch ist, findet hier eine gastliche Statt. Da ist kein Unterschied, kein Unterschied des Glaubens und der Partei. Die Gegensätze, die draußen :m Leben in wilder Leidenschaft widcrcinanderstürmcn, sie schweigen hier am Saum der schweigenden Heide. Volksge meinschaft, draußen ein viclgcführtes Wort, hier ist sic Wirklichkeit, wie denn hier auch Ideale der Nächstenliebe und Aufopferung den andern wahr geworden sind, darum wahr geworden, weil sic in ihr, dem großen Vorbild, Kör perlichkeit gewannen. Quell zu allem Guten, das hier in der Stille getan wird, ist der Glaube an unser Volk und — dar über hinaus — an die Menschheit überhaupt. In einem der Räume des Heims steht der nationale Imperativ Fichtes, des Lausitzer Sohnes, dessen Wiege unweit davon gestanden hat: Du sollst nn Deutschlands Zukunft glauben, an deines Volkes Auferstehn! Laß diesen Glauben dir nicht rauben trotz allem, allem, was gescheh». Und handeln sollst du so, als hinge von dir und deinem Tun allein das Schicksal ab der deutschen Dinge und die Verantwortung wär' dein. Das ist der Grund, auf den das Heil» gebaut ist. Wer einmal Gelegenheit fand, hier im Hause zu weilen, wer ge sehen hat, in wie selbstloser Hingabe eins dem anderen dient — und cs dienen nicht nur die vielen freiwilligen Helferin nen, cs dient ein Bruder dein anderen — wer diesen heiligen Geist verspürt hat, der diese Räume beseelt, der wird cs nim mer wieder vergessen im Leben. Das ist kein Krankcnhcim im sonstigen Sinne, ein Tempel ist's und sic die hohe Prie sterin darin, das kann man immer und immer wieder lesen, wenn man das Gästebuch oben in der Bücherei ausschlägt: daß mancher, der seine Ideale verloren, sie hier wiedergc- fundcn. Geist von ihrem Geiste nimmt jeder mit hinweg, der — sei's auch nur auf Stunden — bei ihr cinkehrte. „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat ist cingcwciht." Hier wird man's gewahr. Mit Krücken kamen sic daher, von Leiden befreit gehen sic davon. Auf der Höhe des Parkes hinter dem Heim steht unter Waldbäumen ein Denkstein, mannshoch, in Gestalt einer Krücke. Einer der vielen, die hier Heilung fanden er richtete ihn. Ein Lobspruch dabei sagt dem Ewigen Dank. Man muß an die Opfer denken, die an gnadenreichen Stät ten jene dargebracht, die die Güte des Himmels ersuhrcn. In den vier Jahren des Bestehens kehrten über vier hundert einstige Kriegsgefangene hier ein, fast die Hälfte da von wurde geheilt, die andere Hälfte gebessert. Dies Dank der heilkräftigen Bäder, welche selbst die hartnäckigste Krank heit vertreiben. Dicht beim Heim liegen Moorlagcr. Sach kenner wissen sie höher zu schätzen als die manch bekannter Wcltbädcr. Das Heim ist nicht sonderlich groß. An die 70 Kranke vermag es aufzunehmen. Zwei Häuser zählen dazu. Zu ebener Erde liegen in dem einen die Bäder, im anderen die Vcrpflegsräume; in den oberen Geschossen finden sich die Wirtschaftsräume. Oeffnet man die Tür zu einem der Zim mer,so wird man erstaunt sein über die Einfachheit, aber gleichzeitig auch über die Freundlichkeit, mit der die Räume cinladcn. Wer sucht wohl auch Komfort bei Elsa Brand- ström! Was er begehrt, das findet er auch so bei ihr in reichstem Maße und besser noch als er's gedacht. Und fragt man nach der Schuldigkeit? Gering ist das Entgelt: drei Mark am Tag für Wohnung, Kost, Arzt, Bäder und was sonst noch die Kur erfordert. Wer's nicht hat, dem gibt sie cs auch so. O nein, das sind nicht wenige, die es nicht haben. Bei fast der Hälfte fragte sie nicht nach dem Geld«. Zu den Fenstern nicken die Bäume Grüße herein, hin ter den Häusern liegt der Park, groß und schön, den Kranken zur Erholung. Wiesen und Felder liegen daran, auf denen sic, so sie nur wollen, zur Arbeit helfen können. Wer würde hier nicht willig Helsen! Auch hier: einer dient dem ande ren, und cs hat einen besonderen Sinn, wenn Elsa Brand ström die Stätte „Arbcitssanatorium" hieß. In gegenseiti ger Hilfeleistung wird einer dem anderen guter Kamerad. Sie selbst will ihnen der beste Kamerad sein. Bewunderns wert die stählerne Einfachheit ihrer Stube. Da ist auch nichts in dem sie sich einen Vorteil vor den anderen ein räume Nicht einmal eine gastliche Lagerstatt gönnt sie sich. Oben unterm Dach hat sie sich einen Holzverschlag gezim mert, da ruht sie auf hartem Feldbett von harter Arbeit aus. So ist sic ihnen Vorbild in allem und jedem. Wer immer hier gewesen ist, hat Heilung empfangen, und man weiß nicht, welche die größere ist: die am Körper oder die an der Seele. Keiner geht davon, ohne etwas vom heiligen Gerste dieser Stätte mit hinwegzunehmen. Wieviel Ströme des Segens gehen non hier Ins Land hinaus, dort wieder gutes wirkend! In der Tat: ein Marienborn.
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