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Nr. 189. Der Sächsische Erzihler. Seite 6. 191«. Möbel in Stücke geschlagen — alle» ohne irgendeinen ande ren Anlaß, al» die Radaulust und Zerstörungswut der Ra- sendgewordenen. Mele verrichteten in den Ecken der Säle ihre Rotdurst, trampelten mit Behagen im Unrat herum und wischten die schmutzigen Stiefel an den Teppichen und kostbaren Draperien ab. Auf dem Präsidentenstuhle eines Gerichtssaal» sah ein Lümmel, bie brennende Pfeife zwi schen den Zähnen, die Ulk» auf dem Putt, während rings umher seine Genossen in Holzschuhen auf den Sesseln tanz ten, um Lio Elastizität der Polster.zu erproben. Die Bild- Hauerarbeiten wurden mit Len Stiefelabsätzen zerstoßen, die Gemälde heruntergerissen. - Und dieser Hexensabbat dauerte drei Stunden, von 3—6 Uhr: da erst gelang es der Gendar merie, die Uebettäter zu vertreiben. Der stolze Justizpalasr an dem Man siebzehn Jahre lang nichts gespart hatte, um ihn zum prachtvollsten Profangebäude der Gegenwart zu machen, war von seinen ersten Gästen, in namenloser Ver- blendung geschändet, beschmutzt und demoliert worden. So berichten die Augenzeugen. Nimmt man hinzu, daß diese rasende Volksmenge nicht etwa von der Ein weihung-ausgeschlossen war., so steht man vor einem Rätsel, dessen Lösung man vielleicht nahekommt, wenn man einen besonderen „Furor belgicus" annimmt, der allerdings we nig Aehnlichkeit mit dem „Furor teutonicus" hat, mit jenem heiligen Zorn, der jetzt uns?r HM.^griffen hat. Die Zerstörung der dentfche» Gesandtschaft 1« Petersburg. Ein Sonnabend aus Petersburg nach Stettin zurückge kehrter Deutscher, der dort als Fabrikleiter tätig war, berich tet in der Ostsee-Zeitung u. a. über die Zerstörung der deut schen Botschaft in Petersburg. Schon am Vormittag jenes verhängnisvollen Tages waren echt russische Leute auf den Jsaaplatz gekommen, wo ein Denkmal Nikolaus I. steht, hat ten sich vor dem Denkmal betend niedeygetvorfen und dann mit wutverzerrten Gesichtern und geballen Fäusten nach her deutschen Botschaft hinüber gedroht. Alles blieb den Tag über noch ruhig, am späten Abend aber loderte die Volks- Wut in Hellen Flammen auf, Eine gewaltige Menge sam melte sich, zog über den Newfti-Hrospekt und ritz zunächst das Schild der Deutschen Petexsbsirger Zeitung und sodann das einer im selben Hause befindljchm deutschen BuchUtidf lung nieder. In der deutschen Botschaft war det Kauptetu- gang mit schweren bronzenen Türen verschlossen. Diese gaben dem Druck nicht nach. Der wütende VolkshaUfe er brach den Seiteneingang und ergoH. sich, in das Botschafts palais.,, Hllles, was nicht niet- und .nagelM war, wurde äüf die Striche geworfen, wo rüHrige Hanse es zu einem' Hchei- terhäufen zusammenschichtetew MWr ünd Seidenlatzehch wurden kreuz und quer durchschnitten. Zwei zürückgeblie- bene Beamte der Botschaft retteten sich dadurch, Latz sie sich unter einem Bett verbargen, ein dritter flüchtete über daS Dach in die italienische Botschaft. Der greise Botschaftsdol metscher Aattner wollte sich ebenfalls dorthin retten. Die Menge setzte ihm jedoch nach, und einer seiner Verfolger ermordete ihn mit zwei Dolchstichen. Man fand den Leich nam später sorgsam in Papier gewickelt. Die Zeitungen schreiben, die Leiche habe schon zwei Tage gelegen. Auf das Dach der deutschen Botschaft stieg ein Mann mit einer russi schen Fahne und hielt eine Hetzrede an das Volk, in der er die deutschen Schandtaten aufzählte. Der deutsche Adler wurde von der Fahnenstange heruntergerissen und an das Gebäude Feuer angelegt. Schließlich wmf man unter Schmährufen das Bild des deutschen Musers in die Flam- men. Der Haufe tobte wohl drei Stünden vor und in der Botschaft. Lange schon loderten die Flammen empor, als 30 berittene Polizisten nahten. Sie hielten mit der größten Ruhe vor dem der Botschaft gegenüberliegenden Hotel un rührten kein Glied. Endlich löschte herheigekommene Feuer- wehr den Brand. Ein höherer Polizeibeamter beruhigte dann die Menge. Ein kühner Patronillenrttt. Dem „Tag" wird geschrieben: Ein junger Kavallerie leutnant an unserer Westgrenze hatte, wie uns berichtet wird, den Auftrag erhalten, die feindlichen Kräfte festzustel- len. Am 5. August rückte der junge Leutnant mit seiner Pa- trouille, bestehend aus acht Mann, beim Morgengrauen über die deutsche Grenze nach Frankreich ein. Die Leute waren in gehobener, freudiger Stimmung, endlich den ersten Fran zosen sehen zu können. Fünf Kilometer von der Grenze traf der Leutnant auf eine starke französische Offizierspatrouills und beschloß, sie mit der Lanze anzugreifen. Mit lautern Hurra attackierte die kleine Schar den Feind, warf ihn zu rück, verwundete mehrere und nahm denFührer, einen Ober- leutnant, und einen Mann gefangen. Auf deutscher Seite waren kein« Verluste. Im Triumph brachte ein Unteroffi zier den französischen Offizier nach Saarburg, wo die Bevöl kerung in begeisterte Hochrufe ausbrach Der Leutnant ritt mit den übrigen 6 Ulanen weiter und geriet in daS Feuer einer abgesessenen feindlichen Eskadron, wobei ihm und sei- nen l«M Leute» di« Pferde unter dem Leibe weggeschossen wurden. Der Leutnant lietz da» Feuer zwar erwidern, konnte aber gegen die Uebermacht nichts ausrichten und be fahl seinsn Leuten, sich in. den nächsten Wald -urückzuziehen, indem er selbst ihren Rückzug mit dem Karabiner deckte. Die Ulanen aber antworteten: „Wir verlassen unseren Leutnant nicht, sondern wollen mit ihm sterben." Erst auf wiederhol ten Befehl zogen sie sich zurück und gelangten zu Fuß wieder auf deutschen Boden und zur Eskadron. Ebenso kam der junge Leutnant nach großen Anstrengungen zu Fuß auf deutschen Boden und konnte noch rechtzeitig seiner Truppe den anrückenden Feind melden. Ei» Besuch -ei frem-öfische» Gefüststenei^ Ein Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung berichtet über einen Besuch bei den zurzeit in einer Frankfutter Schule untergebrachten französischen Gefangenen: Auf dem Boden ist Stroh hingebrntet, und dort liegen sie in ihren roten Hosen und etwas graublauen, unsauberen, karierten Hemden. Sie sind müde und unwirsch und schauen mißtrauisch zu mir hin. Dann beginnt der eine oder andere langsam im PatoiS der Gegend von Belfort zu reden. Eine Handvoll Zigaretten, hier und dort verteilt, macht sie zutraulicher. Es ist klar, sie haben immer noch Furcht vor einem ungewissen drohenden Schicksal, dem sie entgegenzu gehen glauben. Ein intelligenter junger Bursche beginnt zu erzählen und dann wieder einer. Nein, sie wissen nichts, gar nichts. Nicht einmal die Namm der Generale, die sie führten. In einem anderen Zimmer liegt ein junger Un teroffizier auf der Streu. Er schläft. Die Wache weckt ihn, brummend erhebt er sich. Unwillkürlich mache ich Vergleiche zwischen dem blitzsauberen, stämmigen und geraden deutschen Soldaten, der neben mir steht, und den'Leuten, die dort wie Tote auf dem Strohlager rühm und in ihrm ärmlichen blauen Mänteln oder ihren karierten Hemden und roten Hosen so merkwürdig verlottert aussehen. Aber wir Wok- len nicht vergessen, sie haben einen langen Marsch und eine Schlacht hinter sich, bei der sie durch Gräben und auf der Erde hinkriechen mußten. Der junge Mensch ist Maler; er hat in Zürich und München studiert und spricht Deutsch Er leuchtet auf, als ich ihm von Bil dern spreche, und erzählt auf deutsch in schweizeri schem Dialekt. Auch ein anderer spricht deutsch Seine Frau ist eine Deutsch«, und er klagt über diesen Krieg. Nur ganz allmählich erfahre ich, daß fast alle diese Leute aus Belfort und Umgebung stamm««. Die Leut« scheinen wmig Ahnung davon zu haben, wer an ihrer Spitze stand, und sie behaupten, im letzten Augenblick seien an den leitenden Stellen die Befehlshaber gewechselt worden. Als ein langer, treuherziger Bursche in breitem Dialekt von seinem Oberst erzählen will, ertönt ein Pfiff, und er schweigt verlegen. Biele von ihnen sind übrigens Reservisten, die erst vor vierzehn Tagen cingezogen sind, und die fast keine Vorstellung haben von dem, wa» um sie her vorging. Am Mittwoch sind sie von Belfort abmarschixrt, wo alles ruhig war. Dann waren sie zwei Tage unterwegs, und am Sonntag um */,12 Uhr mittags begann vor Mülhausen die Schlacht, die furchtbar war. Ein Mann von den 133ern sagt glücklich lächelnd, daß er von den 40 bis 50 Man» seiner Sektion Üer einzige Ueberlebende sei! Bis zuisi Abend um 11 Uhr dauerte das Feuer, und selbst in den Straßen von Mülhausen und in den Gänen sei gekämpft worden. Andere sind in der Nacht vom Sonntag zum Montag auf dem Marsche überrascht und nach längerem Kampfe ge fangengenommen worden. Aus Sachse«. Dresden, 17. August. Der König besuchte gestern den Gottesdienst in der Kapelle der Villa zu Wachwitz. Mittags um 1 Uhr fand beim König Familientafel statt, an der die Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses teil- nahmen. Dresden, 17. August. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 8. August 1914 beschlossen, aus Billigkeitsgrün, den zu genehmigen, -aß Zigaretten, die von Fabriken als Unsere blauen Jungen zeigen jetzt schon im Anfang des Krieges, daß sie das Herz auf dem rechten Fleck haben. Mit demselben tollkühnen Mut, derselben Verwegenheit, die un sere Armee auszeichnet, gehen sic an den Feind und fügen ihm nach Kräften Schaden zu. So wurden nordafrikanische französische Städte von dem Kreuzer „Goeben" bombardiert und in Brand geschaffen. Der Kreuzer verschwand, man wußte über seinen Verbleib nichts. Es ist ihm aber gelun gen, französischen und englischen Nachstellungen im Mittel meer zu entgehen, er hat freie Fahrt in den Ozean gewon nen. Ein echtes Husarenstück zur See! Spenden für die im Felde stehenden Truppen zur Verfü gung gestellt werden, ohne Steuerzeichen ahgelaffen werden können und von der Zigarettensteuer befreit bleiben, soweit von einer der von der HeereS- oder Marineverwaltung zur Einpfangnahme und Verteilung der Liebesgaben besnrnm- ten amtlichen Stellen die UebttNahme der Sendung mit un verletztem steueramtlichen Verschluß bescheinigt wird. Ueber KriegSerlebnM siichfischtt Frldgtistlicher herich- tet die „Leipziger Zeitung" in ihrer Letzten Wissenschaftlichen Beilage, der wir das Folgende entnehmen. Schott seit den Tagen des Kurfürshm Moritz haben regelmäßig evangelische Prediger ihre Soldäten aüf das Schlachtfeld hinaus beglei tet. 1567 büßte der erste von ihnek bei -er Belagerung von Gotha im Heere Vater August», dos Leben eilt. Eine lange Reihe folgte ihm im TolH auf dein Schlachtfelde nach. So fiel der Feldprediger Georgs IÄ., des Befreiers von Wien, wenige Wochen nach seinem Kurfürsten in einem Feldzug am Rhein, während einer-seiner Vorgänger 1585, in franzö sische Kriegsgefängenschaftgettetund in einem Flusse er säuft wurde. Aus der Gefangenschaft der Türken gelang es dagegen wenige Jahre spater einem anderen sächsischen Feld- geistlichen glücklich zu entfliehen, der hernach noch lattge als Pfarrer von Seifersdorf, Radeberg ünd Dohna, also in un serer nächsten Nähe, »birken durst«!. Von den sechs Feldgeist, lichen, die 1812 mit den sächsischen Truppen nach Rußland zogen, kamen nur zwei unversehrt zurück uttd auch von die sen beiden trug der eine den Todeskeim in sich mit heim. Wiederholt sind auch theologische Professoren unserer Leip- ziger Universität den Truppen in den Kampf gefolgt. So 1866 der geistvolle Fricke. Unseren Genuüttden wird es ein Trost sein, zu wissen, daß auch in dem schweren Ringen der kommenden Wochen evangelische Liebe ihren Söhnen drau ßen zur Seite steht. Traget alles überflüssigt Geld guf Gparkaffen und Baske». Hebet von Fall zu Fall NUr bett augenblickliche» Bedarf ab. * Wer als Privatmann Gickd verwahrt, handelt widersinnig, a Gold in Banknoten ümivechstzktz, heißt dem Baterlande dienen. * Das 20-Mark-Goldstück ist keinep Pfennig mehr wett als die 20-Marls-Bankuote. * rl u., Wer RrichSbattknotnl ablehnt, hat kein Recht ans anderweite Beftteditzuug. Papiergeld ablehnrn, ist großer Unfug. Gold an Stelle andere» Gelbe» verlangen, ist Frevel und Tmrheit. Sprech saalfür öffentliche Angelegenheiten^ (Ohne DeräntwottlichkeN der Redaktion dem Publikum gegenüber.) Etwas über öffentliche Tttnkbrunneu. DaS Verschwin den früher so zahlreicher öffentlicher Brunnen ist aus den verschiedensten Gründen bedauerlich Aus dem ein fachen Lauf-, Schöpf- und Ziehbrunnen am Bauernhause entwickelte sich der mehr oder weniger künstlerische Stadt- brunüen des Mittelalters. Erst im vorigen Jahrhundert, dem Zeitalter der Maschinen, befestigte man ihn wieder, an geblich als Verkehrshindernis. Hauswasserleitungen wurden allgemein eingeführt, und um deren Verzinsung zu erzwin ge», sperrte man gedankenlos die Oeffentlichkeit von jeder TrinktzelegeNheit ab. Hygienische Gründe gab man als stich haltig an; alles Trinken auf der Straße galt als unfein. — Die Allgemeinheit ist aber durch diese Maßnahmen ge- schädigt worden; denn Tausenden, die durch ihren Beruf zum Leben auf der Straße gezwungen sind, der spielenden Kinderschär und den Wanderern, vor allen Dingen auch der Tierwelt, ist die öffentliche Trinkgelegenheit entzogen. An Stelle der TrinkbrUnnen setzte inan, um wenigstens einiger maßen den Charakter des Stadt- und Straßenbildes zu er halt«!, Zierbrunneü, die Mit ihrer bombastischen Kunst sehr häufig das BolkSsMpfinden verletzen und große Geld- und Wasserverschwendung treiben, praktisch aber keine Bedeu tung haken. Sie kühlen wvhl die Lust und bieten höchstens den Vögeln Wasser, den Menschen, Pferden und Hunden aber nicht. In jüngster Zeit erst wird man sich dieses Wi dersinnes bewußt und ist bestrebt, Brunnen zu bauen, die 1) den Anfotdettlng«» der Hygiene entsprechen, 2) keine un- »ötigie Waffrrberschweudung treiben, 3) künstlerisch und dem Bolksempfindeu nicht HSHNsprechend im Straßenbilde wir ken und 4) vor allem Gelegenheit zum Tripken bieten. Seit einigen Jahren bestehl ein „Deutscher Brunnenrat", dem Techniker, Künstler, Geologen, Bürgermeister u. a. ange boren und bereit ist, nach dieser Richtung hin Rat und An regung zu geben. Nun hat man die Absicht, in Bischofswerda den soge nannten „Paradie-brunnen" zu setzen. Die Ansichten über den Wett desselben sind nicht nur nicht geteilt, sondern im allgemeinen ist man grge« de« Brunne». Soll im Kriegs jahre 1914 ausgerechnet Adam und Eva auf unseren Markt- platz zu dauernder Erinnerung aufgestellt werden? Werden unsere Nachkommen diese Tatsache nicht als eine Ginnlosig- keit brandmarken? UeberdieS ist daS angeblich Künstlerische des BrunneNS, daS man oft hervorhebt, wohl nicht so be trächtlich. Pflicht der Äadtbehörde wird es sein, da- rauf hinzuwirken, daß das allgemeine DolkSempfinden, namentlich unter den gegenwärtigen Zeitverhältniffen, nicht verletzt wird, und unter allen Umständen die Aufstellung des „ZierbrunnenS" auf Jahre hinaus- zuschiebeu. Den Dank der Bürgerschaft aber würde sie sich verdienen, wenn die Aufstellung eines solchen Brunnens ganz unterblieb« und der Kauf rückgängig gemacht werden könnte. Ein Bürger im Sinne und Auftrage Vieler.