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147 Donnerstag, 8. Oktober. ^08. Der säcWche Erzähler, Tageblatt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtsblatt der Kgl. Amtshauptmannschast, der Kgl. Schulinspektion und des Kgl. Hauptzollamtes zu Bautzen, sowie des Kgl. Amtsgerichts und des Stadtrales zu Bischofswerda. Erscheint jede» Werktag abend« für den folgende» lag und tbßw» einschlirtzlich der Mittwoch« und Sonnabend« erschein nqid«n„v«ttetritzischrn Beilage" bet Abholung viertel, jährlich 1 -F so bet Zustellung m« Hau» 1 70 «l, bet alle» Postanftalten 1 SÜ «s exklusive Bestellgeld. Einzelne Rumrnern kosten 10 «l Nummer der Zeitung«prri»liste 6587. Kermsprechftell« Rr. SS. Bestellungen werden bet allen Postanstalten de« deutschen Reiche«, sür Bischofswerda und Umgegend bei unseren Zeirungsboien, sowie in der Geschäftsstelle diese« Blatte« angenommen. Schluß der Geschäftsstelle Abend« 8 Uhr. Dreiuudsechzigster Jahrgang. Inserat«, welche in diesem Blatt« di« weiteste Verbreitung finden, werden bi« vorm. 10 Uhr angenommen, größer« und komplizierte Anzeigen tags vorher, und lostet dw viergespaltene Korpuszeile 12 die Reklamezeile 25 «l Geringster Jnseratenbetrag 40 -l. Für Rückerstattung eingesandter Manuskript« usw. keine Gewähr. Bestellungen auf den „SWschei krzWer", seit über SV Jahre« Amtsblatt, Tageblatt mit bellcttißissrr Beilage, für das mit dem 1. Oktober begonnene 4 Quartal 1908 werden fortgesetzt von unserer Expedition, Altmarkt 15, von sämtlichen Postämtern, den Briefträgern, sowie unseren Zeitungs boten entgegengenommen. Der „SÄchfifche Erzähler" ist zur Zeit die gelesenste Zeitung des König!. Amtsgerichtsbezirks, so daß auch Inserate in derselben den besten Erfolg haben. Der AbönnementSpreiS des „Sächsischen Erzählers- (Amtsblatt von fünf Königlichen und städtischen Behörden) beträgt nach wie vor pro Quartal 1 Mk. SV Pfg., pro Manat SV Pfg. Dir EMdiiioa u«d brr Brrlag des „Sächsischen Erzählers". Deutsches Reich. Am Montag mittag wurde in Königsberg der 6. preußische Städtetag besonders festlich eröffnet, zur Erinnerung an den zu Königsberg am 6. Oktober 1808 erfolgten Erlaß der ersten preußi schen Städteordnung. Das Staatsministerium war hierbei durch den Minister des Inneren von Moltke vertreten. Den Borfitz führte Oberbürger meister Kirschner von Berlin. Nach seiner Eröff nungsansprache verlaß er eine längere Tlück- wunschdepesche des Kaisers an den Städtetag, in welcher der Monarch des 100jährigen Jubiläums der Städteordnung gedenkt und die gewaltigen Erfolge der städtischen Selbstverwaltung in Preu ßen in den verflossenen hundert Jahren hervor hebt. Die Versammlung sandte hierauf ein Dank- und Ergebenheitstelegramm an den Kaiser ab. Vom Reichskanzler Fürsten Bülow und vom Vize präsidenten des preußischen Staatsministeriums v. Bethmann-Hollweg waren dem Städtetage Glückwunschschreiben zugegangen. Minister von Moltke sprach dem Städtetage die Glückwünsche der Staatsregierung auS. AIS Gegenstand der Tagesordnung wurde die Entwickelung der preu ßischen Städte seit 1800 behandelt, worüber Staotverordneter Professor vr. Preuß-Verlin und Oberbürgermeister Rive-Halle referierten. Der neugewählte preußische Landtag ist durch königliche Verfügung auf den schon erwarteten Termin, auf den 20. Oktober, einberufen worden. Die Erhöhung der Einkommensteuer in Preu ßen soll bei einem Einkommen von 7000 Mk. be ginnen und progressiv bei den großen Einkommen bis zu 5 Prozent steigen. Außerdem ist eine Son derbesteuerung der Aktiengesellschaften usw., so wie eine Erhöhung der Vermögenssteuer geplant. Der bayerische Landesverband des Deutschen Flottenvereines hielt eine Vorstandssitzung in München ab. Die von mehreren norddeutschen Landesverbänden des Flottenvereines scharf ange griffenen Vorstandsmitglieder, Oberstleutnant Spieß, Reichsrat Freiherr v. Würtzburg und Regierungsrat v. Braun wollten ihre Mandate niederlegen, doch sprach sich die Versammlung ein mütig gegen die beabsichtigte Demission dieser Herren aus. Noch harrt der bekannte deutsch-französische Zwischenfall von Casablanca seiner Beilegung, und bereits hat sich wieder ein deutsch-französi- scher Zwischenfall in Marokko ereignet. Er trug sich in der Küstenstadt Rabat zu, wo ein marok kanischer Bote der dortigen deutschen Post, Mo« hammed Filali, mit eingeborenen französischen Polizeisoldaten in Streit geriet. Der Bote wurde verhaftet, entwischte aber wieder, infolgedessen der die Polizeisoldaten befehligende französische Offi zier, seine Auslieferung vom deutschen Vizekonsul in Rabat verlangte, die letzterer jedoch verwei gerte. Eine besondere Bedeutung scheint der Vorgang nicht zu haben. Oesterreich-Ungarn. Oesterreich-Ungarn hat zurstunde vermutlich die Annexion der von ihm auf Grund deS Ber liner Vertrage- ausgeführten Okkupation der früheren türkischen Provinzen Bosnien und Herze gowina vollzogen. Kaiser Franz Josef ließ bereits in den letzten Tagen Handschreiben an den Präsi denten Falliere-, an den deutschen Kaiser und an den Zar Nikolaus, sowie an die Könige von Eng land und von Italien ergehen, in denen er seinen Entschluß kundgibt und begründet, seine volle Souveränität auf Bosnien und die Herzegowina auSzudehnen, und in diesen Ländern die sür Oesterreich-Ungarn bestehende Erbfolge einzu führen. Wiener Meldungen versichern, Oesterreich- Ungarn verhandele wegen dieser Aktion mit der Pforte wegen Herbeiführung einer Verständigung und wolle als Gegenkonzesfion für die türkische Einwilligung zur Erklärung der österreichisch-unga rischen Souveränität über die bisherigen okku pierten Provinzen auf sein Besetzungsrecht im Sandschak Novibazar verzichten. Die Verkündi gung der Annexion Bosniens und der Herzego. wina wurde für diesen Donnerstag anläßlich der Eröffnung der österreichisch-ungarischen Delega tionen seitens de» Kaiser» Franz Josef erwartet. Es hieß, die Thronrede würde einen hierauf be züglichen PassuS enthalten, nur werde er das Wort „Annexion" vermeiden. — Der seltsame und staatsrechtlich ganz haltlose politische Zustand, in welchem sich Bosnien und die Herzegowina seit der Besitzergreifung dieser Länder durch Oester- reich-Ungarn befinden, erfährt durch die „An nexion" mit einem Schlage sein Ende, Bosnien und die Herzegowina werden nunmehr auch for mell der österreichisch-ungarischen Monarchie an- gehören, wie sie schon bislang einen faktischen Be standteil derselben bildeten. In welcher Form die Provinzen dem habsburgischen Doppelreich« unge ¬ gliedert werden sollen, etwa als „Reichslande", das bleibt allerdings noch abzuwarten. Seitens des nächsten Interessenten in dieser Angelegenheit, der Türkei, hat man in Wien und Budapest wohl höchstens pro forma einen Widerspruch zu erwar ten, in Konstantinopel hatte man sich schon lange mit der Tatsache abgefunden, daß Bosnien und die Herzegowina nicht mehr integrierende Teile des Osmanenreiches waren. Dagegen scheint ein Teil der Signatarmächte des Berliner Ver trages nicht gesonnen zu sein, die Veränderung der bisherigen staatsrechtlichen Stellung Bos niens und der Herzegowina anzuerkennen, näm lich Rußland, England und Frankreich. Es liegen offiziöse Kundgebungen aus den Hauptstädten dieser drei Länder vor, wonach die Regierungen derselben die „Annexion" der okkupierten Pro vinzen seitens Oesterreich-Ungarns nicht ohne weiteres gutheißen wollen. Es stehen demnach mindestens diplomatische Verhandlungen hierüber zu erwarten, die freilich an der vollzogenen Tat sache schwerlich etwas ändern dürften. Balkanhalbinsel. Inzwischen hat sich auf der Balkanhalbinsel ein anderes noch wichtigeres Ereignis vollzogen, welches mit der Erklärung der Souveränität Oesterreich-Ungarns in den okkupierten Provin zen allerdings in einem unverkennbaren inneren Zusammenhänge steht, die zu Tirnowo am 8. Ott. erfolgte Proklamierung Bulgariens zum unab hängigen Königreich. Schon längst wurde dieser entschlossene Schritt deS Bulgarenherrschers Ferdinand erwartet, aber immer wieder mußte er unter der Einwirkung mißgünstiger Umstände hinausgeschoben werden, bis nun endlich der Orientbahnstreit Bulgariens mit der Pforte dem Fürsten Ferdinand und seinen politischen Be ratern den willkommenen Vorwand gab, die Er hebung Bulgariens zum unabhängigen König reich über Nacht zu vollziehen. Sowohl in der Hauptstadt Sofia wie in der Provinz ist diese Nachricht von diesem Vorgänge mit großer Be geisterung ausgenommen worden. Die Städte sind beflaggt. Am 6. Oktober fanden im ganzen Lande Dankgottesdienste statt, in Sofia wurde eine große Truppenparade abgehalten. Alle Bureaus waren geschlossen, der Unterricht in den Schulen wurde für drei Tage ausgesetzt. Was nun die Hauptfrage anbelangt, ob die Unabhängigkeits erklärung Bulgariens zu einem Kriege zwischen diesem Lande und der Türkei, dem bisherigen Souverän Bulgariens, führen wird, so läßt sie sich allerdings noch nicht bestimmt beantworten. In dessen lassen die neueren Depeschen aus Kon stantinopel erkennen, daß die türkische Regierung nun keineswegs unter allen Umständen sich auf einen Krieg mit seinem bisherigen Vasallenstaats einlassen will, und daß auch im Volke im allge meinen eine ziemlich ruhige Stimmung herrscht, die Pforte wird allerdings formell Einspruch ge gen das neue Königreich Bulgarien erheben, im übrigen sich aber von den Mächten Rat erbitten. Vermutlich wird letzterer dahin lauten, nicht ohne zwingende Not zu den Waffen zu greifen. Im übrigen sind Rußland, Frankreich und England mit dem entschlossenen Schritte König Ferdi nands l. keineswegs einverstanden, und eS ist wahrscheinlich, daß deshalb eine europäische Kon ferenz zusammentritt. Der Verein der türkischen Presse beschloß, beruhigend auf die öffentliche Meinung einzuwirkeA.