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Der sSchfische Erzähler. Gelte S. höchsten verantwortlichen Rathgeber der Krone sein sollte, dem Kaiser einen solchen Schritt auf jede Weise zu erleichtern und dem Enkel Kaiser Wilhelm's I. damit den Glanz einer wahrhaften Popularität zu verleihen." DaS „Dtsch. Wochenbl." des sreikonservativen Abgeordneten vr. Otto Arendt will davon Kennt- niß erhalten haben, daß der Reichskanzler Herr von Caprivi amtsniüde sei und eine entscheidende Wendung unserer inneren Politik bcvorstehc. DaS Blatt hofft, daß sich Herr von Caprivi nicht ganz dem Dienste des Vaterlandes entziehen, sondern eine Stellung in der Armee erhalten werde, und schreibt: Wer der „kommende Mann" auch sein mag, wir wünschen, das; es eine ent schiedene politische Persönlichkeit ist, die eine feste und einheitliche Politik treibt. Der „neue KurS" ist in's Schwanken gerathcn, eS fehlt die feste Hand des starken Steuermannes, der dem StaatS- schiff wieder einen unwandelbar sicheren Kurs verleiht Seit lange haben die Sozial ¬ demokraten versucht, die heutige Zeit mit der Zeit vor AuSbruch der französischen Revolution in Vergleich zu bringen. Jetzt kann kaum noch geleugnet werden, das; thalsächlich ein Umstand eingetreten ist, der den Vergleich herausfordert. Dieser Umstand ist die allgemeine Unzufriedenheit, die in allen Theilen Deutschlands, in allen Ständen, in allen Parteien gleichmäßig vorhanden ist. Diese Unzufriedenheit beschränkt sich — und darin sehen wir das Bedrohliche — nicht mehr aus die Oppositionsparteien, sie ist gleich groß auch über all da, wo man gewohnt mar, Vertrauen und Treue gegen die Regierung und gegen die Dynastie als die Grundlage aller Politik zu betrachten. Wir wünschen eine Regierung mit klarem Pro gramm in allen wichtigen politischen Fragen. Die Zerfahrenheit und Unentschiedenheit, das Schwan kende und Unstätc der Politik des Ministeriums Caprivi trägt die Mitschuld an der allgemeinen Unzufriedenheit und diese muß bekämpft werde», denn sie ist eine Gefahr für Staat und Dynastie." Der Reichskanzler hat am Freitag im Reichstage gelegentlich der erstmaligen Berathung des Etats sehr interessante und bemerkenswcrthe Erklärungen über seine Gcsammtpvlitik abge geben, zu denen Herr von Caprivi offenbar durch das Bedürfnis; veranlaßt worden ist, den mannich- fachen Befürchtungen und Besorgnissen, mit welchen man aus verschiedenen Seiten der Politik des neuen Kurses verfolgt, die Spitze abzubrechcn. Dies hat denn auch der leitende Staatsmann mit der ihm eigenen Offenheit und Klarheit in ebenso gründlicher wie überzeugender Weise ge- than und wer sich jetzt trotzdem noch über den Gang der Dinge „beunruhigt" fühlt, nun, dem ist eben nicht mehr zu helfen! Zunächst beseitigte Herr von Caprivi den ausgctauchten Mythus von seiner angeblichen AmtSmttdigkeit, er ver sicherte energisch, daß er nicht im Entferntesten daran denke, zurückzutreten, am allerwenigsten aber jetzt, wo er die neuen Handelsverträge dem Reichstage vorlegen wolle, was Herr v. Caprivi für die zweite Dezcmberwoche in Aussicht stellte. Dann ging er den obwaltenden Beunruhigungen, deren Vorhandensein er nicht bestritt, zu Leibe und frug, wo denn irgend ein Grund liege, be unruhigt zu sein. Scharf trat er der Auffassung entgegen, als ob die Politik der jetzige» Regierung eine unstätc und schwankende iei und wies die Ungereimtheit einer solchen Behauptung zunächst bei verschiedenen in daS Gebiet der auswärtigen Politik fallenden Fragen nach. Er vertheidigte die viclangefochtene zweite Reise Kaiser Wilhelms nach Rußland, indem er versicherte, dieselbe habe vorzügliche Wirkungen gehabt, und kam weiter auf die Ereignisse von Kronstadt zu sprechen. Herr von Caprivi legte dar, daß eS gar nicht in der Macht der deutschen Regierung gestanden habe, die Flottenentrevue von Kronstadt zu Hintertreiben, er hob jedoch zugleich hervor, daß die Entrevue der Welt nur offen enthüllt habe, waS in Gestalt der Annäherung zwischen Frank reich und Rußland eigentlich schon längst existirt habe. Entschieden widersprach der Reichskanzler der Annahme, es sei durch Kronstadt eine be drohliche Verschiebung der allgemeinen Lage ein getreten und gab wiederholt seiner bestimmten Meinung Ausdruck, daß die Entrevue von Kron stadt keinen begründeten Anlaß zu irgendwelchen Besorgnissen biete. Dann ließ sich Caprivi über den deutsch-englischen Afrika-Vertrag aus und widerlegte in längerer Ausführung die vielver- ' breitete Anschauung, Deutschland sei durch den' Vertrag von England kn Ostafrika tüchtig überS« Ohr gehauen worden. Hierauf berührte der' Reichskanzler einige innere Angelegenheiten, be-' züglich derer der Regierung ebenfalls Vorwürfe, gemacht worden waren, nämlich die Politik gegen-' über den Elsaß-Lothringern und den'Polen und vertheidigte er nach beiden Seiten hin iiberzeugend die Haltung der Regierung. Auch der mili tärischen Lage Deutschlands widmete er, Herr von Caprivi, längere Darlegungen und führte aus, cs sei kein Grund vorhanden, zu befürchten, daß Frankreich und Rußland in ihren militärischen Vorkehrungen Deutschland überflügelt haben könnten. Vielmehr würde Deutschland im Kriegs fall die besten Chancen haben, doch versicherte der Reichskanzler wiederholt, daß der Friede nirgends bedroht erscheine. Er schloß seine ein drucksvollen und vom Hause mit öfterem lebhaften Beisalle begleiteten Erklärungen mit dem Aus drucke der Hoffnung, die bestehenden pessimistischen Befürchtungen gründlich zerstört zu haben. — Im Eingänge der Sitzung hatte der Schatz sekretär v. Matzahn-Gültz das übliche finanzielle Exposü gegeben, auS welchem hervorzuheben ist, daß der Fehlbetrag für daS EtatSjahr 1891/92 aus 8 Mill. Mk. beziffert werden muß. Die im neuen Etat erscheinenden bedeutende» Mehraus gabe» suchte der Schatzsekretär »ach Kräften dem Hause annehmbar zu machen und bestrebte er sich augenscheinlich, der Finanzlage des Reiches die möglichst günstigsten Seiten abzugewinnen. Nach dem Staatssekretär sprach als erster Redner aus dem Hause zum Etat NamenS der Freisinnigen Abg. Rickert, welcher die Darlegungen des Re- gierungSvertrcterS über die Finanzlage in einer Reihe von Punkten bemängelte und bezüglich der einzelnen Theile des Etats den Standpunkt der Freisinnigen gegenüber den größeren Forderungen darlegte. Daneben streifte Herr Rickert noch verschiedene andere TageSsragcn, sich hierbei im Allgemeinen ebenfalls auf den oppositionellen Standpunkt stellend. Am Sonnabend wurde die Generaldebatte über den Etat fortgesetzt und dürfte sie mindestens auch noch die Montags sitzung ausgesüllt haben. Bezüglich der weiteren parlamentarische» Dispositionen im Reichstage wird jetzt niitge- thcilt, daß der Generaldebatte über den Etat die Berathung über die Börsenreformanträgc folgen und dann die einstweilen unterbrochene zweite Lesung der Krankcnkassengesetznovelle zum Ab schluß gebracht werden solle. Die Spezialbe- rathuug des Etats würde dann die übrige Zeit bis zur Weihnachtsvcrtagung auSfüllcn. Der angckündigte Gesetzentwurf, betr. die Bekämpfung des ZuhälterwescnS, soll dem Reichstage noch in der lausenden Session zugehcn. Der Bundcsrath endigte in seiner Wochen plenarsitzung vom 26. November nur kleinere Angelegenheiten. Die bairische Abgeordnetenkammer ge nehmigte nach mehrtägigen Verhandlungen am Freitag die Novelle zum Heimaths- und VerchelichungSgesctze mit 146 gegen 2 Stimmen im Ganzen nach den AuSschußanträgen und unter Ablehnung aller Amendements. Hier mit ist eine Frage in befriedigendster Weise zum Austrage gelangt, welche viel Staub aufge wirbelt und wiederholt zu scharfen Controversen zwischen der bairischen und der übrigen deutschen Tagespresse geführt hat. DaS Münchner Amtsgericht hat am 26. d. M. einen streikenden Buchdruckergchilfen, der bei Beginn des Streiks einen anderen in Arbeit gebliebenen Setzer wegen feines Fortarbeitens beschimfte, zn 14 Tagen Gefängniß verurtheilt. Der nächste deutsche JnnnngS- und Hand- wcrkertag soll Ende Januar oder Anfang Februar n. I. in Berlin abgehalten werden. Aus dem selben soll neben der erneuten Besprechung des Befähigungs-Nachweises und sonstiger Handwerker fragen als Gegenstand die Interpellation des RcichStagsabgeordneten Hitze und die Antwort des StaatSministerS von Bötticher über die vom 15. bis 17. Juli stattgehabte Handwerker- Konferenz auf die Tagesordnung gestellt werden. — Nach der „Germ." hat der Zentralausschuß der JnnungSverbände beschlossen, daß der Zentral ausschuß bezw. die Vertreter desselben auf der Handwerkerkonferenz an der kompetenten Stelle einen Protest dagegen erheben sollen, daß die Vertreter des Handwerks auf der Konferenz die: Einführung des Befähigungs-Nachweises für un durchführbar erklärt hätten. Herr von Voll mar hat Gelegenheit ge nommen, sich vor seinen Wählern über das sozial demokratische Programm auszusprechen. Und eS ist nicht ohne Interesse, daraus zu ersehen, daß Vollmar nach wie vor an seinen Theorien fest hält, wonach die Verwirklichung des Programmes nicht daS Werk des Augenblicks, sondern nur: das Produkt einer zähen, ausdauernden Arbeit sein kann, durch die alltnählich die Mittel herbei- geschafft werden, um daS Ziel der Bewegung, die > Befreiung der Menschheit, zu erreichen. Diese I nüchterne Auffassung beweist Vollmar auch be-' ItztzL züglich der Frage der direkten Gesetzgebung durch' das Volk. ES sei unrichtig, meint er dem Volke zu schmeicheln, denn daS Volk sei nichts weniger als voll kommen. DaS beweisen die Verhältnisse der Schweiz, wo sich das Volk bei der direkten Ge- gesetzgebung rückschrittlicher erwiesen habe als die Parlamente. Auch das ist bemerkenSwerth, daß Vollmar behauptet, seine Partei bekämpfe den Kapitalismus, aber nicht die Person des Kapita listen, und daß er die Redensart von der „einzigen reaktionären Masse" schlankweg als das charakteri- sirt, waS sie ist. ES wäre nur zu wünschen, daß das „Volk" der Sozialdemokratie diese sehr vernünftigen Ansichten in sich ausnähme. In der österreichischen Delegation hat am Freitag die „Papstfrage" ihre Rolle ge spielt. Der tyroler Clerikale Zallinger brachte diese heikle Angelegenheit auf's Tapet, indem er an die Pilgernnruhen in Rom anknüpfte. Zallinger vertheidigte energisch die weltliche Souveränetät des Papstes und betonte, es handelte sich hierbei nm keine italienische, sondern um eine internationale katholische Frage. Im Verlaufe der weiteren Debatte hierüber nahm Minister Graf Kalnoky daS Wort, um zu er klären, daß die Ausführungen Zallingers ein schwieriges Problem beträfen, auf welches er, der Minister, sich nicht näher einlasse» könne. Doch hob Kalnoky den Wunsch der österreichischen Re gierung hervor, der Papst solle eine Stellung einnehmen, welche die dem Haupte der katholischen Kirche »othwendige völlige Selbständigkeit in sich schließe, zugleich verlieh aber Kalnoky dem weiteren Wunsche der Regierung Ausdruck, eS niögc zwischen dem Papstthume und dem König reich Italien Frieden bestehen. In seinen weiteren Darlegungen betonte Kalnoky, daß zwischen Oesterreich-Ungarn und Italien ein politisches Bündniß bestehe und ersteres könne daher nicht in -daS von Zallinger angercgte Problem eingrcifen, ohne die Gefühle der italienischen Nation zu verletzen. Zuletzt erklärte der Minister unter lebhaftem Beifall der Delegation, die Lösung des fraglichen Problems sei bisher noch Niemand gelungen, weshalb er aus alledem keine Schluß folgerungen ziehen wolle. — Man kann nicht leugnen, daß Kalnoky einen geschickten rednerischen Eiertanz in der Frage der Wiederherstellung der weltlichen Papstmacht aufgcsührt hat; Oesterreich darf cs eben als katholische Macht mit dem Papst nicht verderben, es muß aber auch Rücksichten auf seinen italienischen Bundesgenossen nehmen. Eine Anzahl Mitglieder der radikalen Partei der französischen Deputirtenkammer, an ihrer Spitze die Abgeordneten Goblet, Lockroy, Sarnen, Peytral und Milleraud, hat ein neues Programm veröffentlicht. Als dessen Haupt punkte erscheinen folgende Forderungen: Steuer reform, Regelung des Verhältnisses des Staates zur Kirche, sowie Reformen zum Wohle und zum Schutze der Arbeiter. Es ist noch nicht ganz klar, wohin die genannte Kammergruppe mit ihrem neuen Programm eigentlich zielt, denn sollte auf Grund desselben eine energische Aktion gegen die Regierung eingeleitet werden, so müßte doch die ganze radikale Partei hinter dem neuen Programme stehen. Der Pariser „Figaro" behauptet, Kenntniß. von dem deutsch-italienischen Allianzver trag zu haben.. Danach hätte sich Italien ver pflichtet, im Falle eines Krieges zwischen Frank reich und Deutschland sofort und ohne irgend einen Verzug an der Alpengrenze eine Armee von 200,000 Mann aufzustellen, die jeden Augen blick bereit sei, angreifend vorzugehen. Außerdem werde der eine Theil der Flotte sofort an die Küste Algiers und Corsika abdampssn, der andere aber die Küste Frankreichs am atlantischen Ozean bewachen. Dagegen würde im Falle eines ita lienisch-französischen Krieges Deutschland sofort das achte, vierzehnte und fünfzehnte Armeekorps mobilisiren und an den Vogesen aufstellen. Die Engagements Italiens Oesterreich gegenüber sind weniger positiv und formell. Zwischen den beiden Mächten herrsche eine mehr diplomatische Entente.. Die beiden Kabinette Wien und Rom hätten vereinbart, in Bezug auf die Orientpolitik die selben Wege einzuschlagen. Ein maritimes Zu sammenarbeiten der beiden Mächte sei nur für den Fall vorgesehen, wo daS, Gleichgewicht und der statuo guo im Mittelländischen Meer schwer bedroht wäre. Der Gewährsmann des „Figaro" behauptet, seine Kenntniß einer durchaus glaub würdigen Quelle zu verdanken. Die Wintersession der rumänischen Depu tirtenkammer ist - an«' Freitag durch König- Karl mit einet Thronrede eröffnet' worden, c: Dieselbe bezeichnet, was ihre wesentlichsten - Punkts-anbe-- langt- die Beziehungen Rumäniens. zu-vallenr