Volltext Seite (XML)
Ztg." hat Obrutsche«, als er im verflossenen Sommer den Kriegsminister WannowSki während dessen langer Abwesenheit in Frankreich vertrat, diese Stellung benuht, um den Czaaren eine bedeutsame Denkschrift zu überreichen, welche verstärkte KriegSrüstungen für dringend erforderlich erklärte. Nach einigen geschichtlichen Rückblicken war in jener Denkschrift gesagt: „Hätte Peter der Große sich gescheut, seine Finanzrechnung mit einem Fehlbeträge zu schließen, so wäre Rußland voraussichtlich jetzt ein vom Meere ge trenntes Großfürstenthum. Hätte Alexander I. sich um seine Finanzbilanz gekümmert, so hätte er, statt den Triumphzug bis Paris zu vollenden, sich vor dem Corsen demüthigen müssen. Kaiser Nikolaus hätte Europa nicht derartig unter dem Gebot seines Wortes gehalten, wenn er sich nach den Vorschriften des Finanzprogramms ge richtet hätte." Zum Schluß forderte General Obrutschew die nothwendigen Summen zum Ausbau und der Verstärkung gewisser Bahnlinien und zur Vermehrung der Verkehrsmittel, welche alle bis zum künftigen Mai sertiggestellt sein müßten. In einer Gegeudeukschrift führte dann der Finanzminister Wischnegradski aus, daß Rußland mehrere Friedensjahre brauche, um seine Geldwirthschaft ordnungsmäßig zu regeln. Mau versichert, daß der Czaar unter beide sich gänzlich widersprechende Denkschriften eigenhändig gleich lautend vermerkte: „Ich theile vollständig die geäußerten Ansichten. Ausführliche Prüfung derselben ist unbedingt nothwendig." Es entspricht dies vollständig den offenkundigen Absichten des Kaisers Alexander HI., Rußland für alle Fälle wehrhaft zu machen, aber jeden Friedensbruch zu vermeiden. Das erstere ist unbedenklich, weil Aehnliches jetzt von jedem Großstaat geschieht, das Letztere ist aber um so dankenswerther, weil der Czaar, trotzdem er als Selbstherrscher eine scheinbar unumschränkte Macht besitzt, mit einer starken deutschfeindlichen Strömung in den einflußreichsten Kreisen Rußlands, bei der orthodoxen Geistlichkeit und dem Hofadel, zu rechnen hat. Die zur Unzeit in die Öffentlich keit gebrachte Absicht der Pforte, den Koburger als gesetzmäßigen Herrscher von Bulgarien und Ostrumelien anzuerkennen, hat die panslavistischen Kreise in Rußland tief erregt, zumal dieselben annahmen, daß die Pforte hierbei nur einem von Deutschland, Oesterreich-Ungarn und England ausgeübten moralischen Druck nachgab. Die Kunde, daß Kaiser Wilhelm von Athen aus einen Abstecher nach Constantinopel zu machen beabsichtigte, bestärkte jene Kreise in dieser Ver- muthung. Es konnte jedenfalls die Lust des Czaaren, nach Berlin zu gehen, nicht sehr ver mehren, daß die russische Presse ziemlich ein- müthig das Zusammentreffen des Czaarcnbesuches in Berlin, des Besuches Kaiser Wilhelms in Constantinopel und des die Anerkennung des Koburgers empfehlenden Artikels des ministeriellen Wiener „Fremdenblattes" als sehr bemerkens- werth bezeichnete. Die „Nowoje Wremja" deutete den erwähnten Aufsatz dahin, daß dadurch der Czaar zu der Ueberzeugung gelangen solle, daß Deutschland bereit sei, Oesterreich- Ungarn in der Frage der Anerkennung des Koburgers zu unterstützen. Mit der Erreichung dieses Zieles würde aber, nach Ansicht des genannten russischen Blattes, die bevorstehende Kaiser-Begegnung in Berlin den Character einer einfachen Formalität, eines Actes der internatio nalen Höflichkeit erhalten, worauf dann Alles wieder seinen alten Gang gehen würde. Selbst verständlich seien Oesterreichs Hoffnungen aber solche, die sich nie erfüllen würden. Nicht minder verstimmend als der Fremdenblatt-Artikel wirkte aber in Rußland auch die Ankündigung des Besuches des deutschen Kaisers bei dem Sultan. Die russische „St. Petersburger Ztg." meinte, daß die Pforte nach diesem Besuche den deutschen Rathschlägen noch mehr Gehör geben werde und man wisse ja, welchen Nutzen den russischen Interessen Bismarcks Rathschläge ein getragen hätten. Vielleicht würde jetzt auch der alte Plan zur Ausführung kommen, die türkische Streitmacht in ein Armeecorps der Friedensliga zu verwandeln; auf militärischem Gebiete hätte die letztere in Constantinopel schon allzuviel gearbeitet, als daß die Begegnung mit dem Sultan nach dieser Seite hin rekultatloS ver lausen könnte. „AuS Athen" — heißt eS zum Schluß — „wird bereits vom ungünstigen Eindruck gemeldet, den dort die Nachricht von der projectirten Byzanz-Fahrt des Kaisers gemacht habe. Das Cabinet Tricupi» befürchtet sogar feindliche Kundgebungen an die Adresse des hohen Gaste» Griechenlands. . . . Wir glauben, daß auch in Rußland der projectirte Besuch schwerlich viel Sympathie erregen wird." Die „Mosk. Ztg." hinwiederum kanzelt die deutsche Presse ab, welche die Ausstreuungen der österreichischen übernommen habe. ES sei ein wahrer Scandal! „Man sollte doch meinen, daß die Leiter der offiziösen deutschen Presse selbst sich sagen könnten, wie unpassend gerade der jetzige Moment für die Wiederaufnahme einer Campagne gegen Rußland sei; Jedermann, der einen Ehrengast erwartet, bemüht sich nicht nur selbst, sich Alles zu enthalten, was den Gast, seine Verwandten, sein HauS verletzen könnte, sondern achtet auch darauf, daß die Lakaien, ihrer Art gemäß, nicht ein Stückchen loslassen, über das der Wirth erröthen muß." Nach derartigen Auslassungen russischer Blätter muß man es dem Czaaren doppelt hoch anrechnen, daß er überhaupt noch nach Berlin geht, wo Auseinandersetzungen über die beiden ihm sicher peinlichen Dinge unvermeidlich sind. Nicht ohne Grund kündigte Fürst Bismarck seine Absicht an, nach Berlin zu kommen und dort während der Anwesenheit des Czaaren zu ver weilen. Schon einmal ist es ihm gelungen, den Argwohn des Kaisers von Rußland gegen die Orientpolitik Deutschlands zu verscheuchen, hoffent lich wird der deutsche Reichskanzler in den nächsten Tagen abermals Gelegenheit erhalten, über Alles, was jetzt dem deutschen Reiche in Rußland so sehr verübelt wird, dem Czaaren befriedigende Auskunft zu ertheilen. Eine ehrliche und offene mündliche Aussprache dürfte weit leichter als die bestgeschriebene diplomatische Note zu einer Verständigung führen, die im Interesse des Weltfriedens dringend Wünschenswerth ist. Deutsches Reich. Se. Majestät der König empfing am Mitt woch Mittag 12 Uhr die Gesandtschaft des Sultans von Zanzibar, bestehend aus den beiden Gesandten Oberkadi Muhamed ben Soliman und Send ben Muhamed, dem Secretär Kaffem ben Saleh und dem Dolmetscher Michalla, im Audienz zimmer des königl. Residenzschlosses zu Dresden. In Begleitung der Gesandtschaft befanden sich der Kaiser!. Generalkonsul Michahelles und der Major Liebert vom großen Generalstabe. Bei der Audienz waren Ihre Excellenzen die Herren Staatsminister Graf v. Fabrice und Oberkammer herr Graf v. Vitzthum, Oberhofmeister v. Watz dorf, Oberceremonienmeister Freiherr v. Miltitz Kammerherr von Kalitsch und Oberstlientenant Schmalz, Flügeladjutant Sr. Maj. des Königs, zugegen. In dem ersten Stockwerk des königl. Schlosses war eine Ehrenwache vom Gardereiter regiment aufgestellt. Die Herren der Gesandt schaft nebst ihrer Begleitung wurden in zwei kgl. Galawagen kurz vor 12 Uhr vom Victoriahotel abgeholt und nach Beendigung der Audienz wieder dahin zurückgebracht. — Die Gesandtschaft ist am Donnerstag Mittag II Uhr 26 Minuten vom Böhmischen Bahnhofe in Dresden aus nach Wien abgereist. Bischofswerda, 10. Octbr. Im Schützen hause allhier wurde gestern Abend von 7—10 Uhr die statutengemäße Generalversammlung des hiesigen Vorschußvereins, eingetragene Ge nossenschaft, unter Leitung des Directors der Gesellschaft, Herrn Particulier Friedrich Döring, abgehalten. Es waren 67 Mitglieder erschienen, welchen zunächst die bereits vertheilte Jahres rechnung zur Besprechung vorlag. Es waren nach derselben 108,460 M. Vorschüsse gegeben und im Lombard-Geschäft 56,705 M. ausgeliehen worden. Das Effecten-Conto betrug 19,797 M. 60 Pf. und die Gewinnabgabc an den Reserve fond 89 M. 89 Pf. Darlehne dagegen hatte man 58,026 M. 31 Pf. und Spareinlagen 9318 M. 56 Pf. erhalten, und die Rückzahlungen im Vorschuß-Conto betrugen 95,437 M. Der Reingewinn betrug demnach 828 M. 29 Pf., wovon 82 M. 83 Pf. dem Reservefond zuge wiesen und 38 M. 6 Pf. in die neue Rechnung ausgenommen werden sollen, mithin 707 M. 40 Pf. oder 5 o/o auf die Stammantheile zur Ver« theilung kommen würden. Da» Vermögen des Reservefonds betrug 1635 M. 91 Pf. Die Generalversammlung sprach nicht nur ein stimmig die Justification der bereits geprüften Jahresrechnung aus, sonder» genehmigte auch die vorgeschlagene Dividende von 5 °/». ES er folgte nun die Neuwahl des Direktoriums, welche fast einstimmig auf die zeitherigen Mitglieder desselben fiel, indem Herr Friedr. Döring wieder zum Direktor und Herr Friedrich Sparschuh von Neuem zum Cassirer erwählt wurden. Nach den Statuten schieden diesmal au» dem Auf- sichtSrath au» die Herren Klützer, Heinrich Leh mann und Heinrich Francke. Für dieselben wurde daher nur eine Ergänzungswahl de» Auf- sichtSrath«» vorgenommen und in denselben durchs Stimmenmehrheit gewählt die Herren Gerber meister Kunze, Tuchfabeikänt Louis Eckardt und- Kaufmann Heinrich Francke. Die Berathung. und Beschlußfassung über die Statutenänderung, auf Grund des neuen Genoffenschaftsgesetze» mußte einer später anzuberaumenden außerordent lichen Generalversammlung überlassen werden, da zu der heutigen Versammlung die nach den Statuten nothwendige Zahl von Mitgliedern nicht vorhanden war. Nachdem nun noch Herr Cassirer Sparschuh der Versammlung die wichtigsten Punkte der Statuten, welche einer Aenderung bedürfen, mitgetheilt hatte und Herr Adolf Heintz über die Thätigkeit des AufsichtSrathes ein kurze» Referat gegeben, wurde die Versammlung gegen 10 Uhr geschlossen. Li. Bischofswerda, 9. Octob. Am heutigen Tage hielt der Vorstand des Bischofswerda- Neukircher Zweigvereins für Mission unter den Heiden im Gastzimmer der Herberge zur Heimattz seine diesjährige Hauptversammlung ab. Nach Begrüßung der mit Ausnahme von Großdrebnitz aus sämmtlichen zugehörigen Gemeinden erschie nenen Vertreter durch den Vorsitzenden, Herrn Pfarrer vr. Wetzel, trug Herr Gemeindevorstand Schossig aus Oberneukirch die vom Juli 1888 bis dahin 1889 lautende Rechnung vor, welche eine Einnahme von ziemlich 800 Mark ergab, darunter 234 Mark Collecte bei dem Missions fest in Neukirch und außerdem über 400 Mark Beiträge aus derselben Gemeinde, die damit alle übrigen Gemeinden weit überragt und sie zu gleich regem Missionseifer anspornt. Es wurde ferner beschlossen, auch in diesem Winter eine Anzahl von Missionsvorträgen zu halten und zwar in dem Saale der Herberge zur Heimath, der bequem gegen 200 Personen faßt. Für da» im nächsten Jahre zu feiernde Missionsfcft wurde die Gemeinde Oberottendorf bestimmt, deren Ver- treter sich freundlichst bereit erklärte, den Verein bei sich aufzunehmen. Zum Schluß nahm man noch eine eingehende Besichtigung der schönen Räume der neuen Herberge zur Heimath vor und freute sich, nicht wenig, daß in derselben zugleich auch den Zwecken eines evangelischen Vereinshauses Rechnung getragen worden ist. Bischofswerda, 11. October. Am 9. d. M. sand auf Veranlassung conservativer Mit bürger hiesiger Stadt eine Wahlversammlung im Gasthofe zur goldenen Sonne statt, welche aus allen Classen der hiesigen Bevölkerung außer ordentlich zahlreich besucht war. Der für den 3. städtischen Wahlkreis in Aussicht genommene conservative Candidat, Herr Commerzienrath Reinhard Buchwald aus Großenhain war hier her gekommen, um sich der hiesigen Wählerschaft vorzustellen. Unter der Leitung des zum Vor sitzende» einstimmig erwählten Herrn Stadtver ordnetenvorstehers Emil Böhmer verlief die Ver sammlung durchaus sachlich glatt und ohne irgend welche Störung. Herr Commerzienrath Buch wald, dessen einfaches, offenherziges Wesen ihm schon von vornherein die Zuneigung der versammelten Wähler erwarb, legte nach einem kurzen ouirieulum vitao seine Politischen Gesinnungen dar und betonte, daß dieselben sich auf Treue zum König, Treue zum engern Vater lande und zum großen deutschen Vaterlande, zu Kaiser und Reich unwandelbar begründen. Herr Buchwald, als Sohn eines armen Bergmanns im Erzgebirge geboren, zeigte, daß er für die Bedürfnisse des kleinsten Mannes ein warmes Herz hat und bürgt durch seine jetzige Stellung als angesehener Industrieller und als Vorsitzen der des Gewerbe-Vereins zu Gryßenhain dafür, daß er sowohl die Bedürfnisse des Gewerbestandes, als auch der größeren Industrie zur Genüge kennt. Auf eine Interpellation erklärte Herr Commerzienrath Buchwald, daß er der Jahr marktsfrage stets seine Aufmerksamkeit geschenkt habe und im nöthigen Falle nicht nur für Bei behaltung der Jahrmärkte stimmen, sondern auch da mit allen Kräften einwirken würde, wo man versuchen wolle, die Nothwendigkeit derselben für den Gewerbestand zu bezweifeln. Ferner würde Herr Buchwald mit allen ihm zu Gebote steheii- Kn Mittel» für das Zustandekommen de» BahnprojecteS Elstra-Bischofswerda einttetey. Nachdem noch der Vorstand de» Reformperein» in seinem Und seiner Freunde Nachen sich näch dem gewonnenen Eindruck voll für die Wahl des Herrn CychmerzienratheS Buchchäld erkält und sich Niemand lythr züch Wort gemeldet hatte, schloß der Vorsitzende chit c'inrm drcifachen, Mw äusgeUommenen Hoch aufSe. WMW KöUig die Versammlung. — Nach .deck Hudküch. den wir gewonnen haben, dürfte EoMMMß rath Buchwald hier mit großoc^W wählt werden. ... j