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1878 Sonnabend, den 27. Juli Zur Reichstagswahl. Jeder, der in Wahlkämpfen einigermaßen erfahren ist, weiß, wie sehr sich der Tumult der Parteifehde gewöhnlich nur auf der Oberfläche abspielt, wie schwer die große Masse der Bevölkerung von der selben ergriffen wird. Diesmal ist das freilich anders. Das deutsche Volk wendet bis in seine untersten Schichten hinein der Wahlbewegung eine bisher nie beobachtete Aufmerksamkeit zu. Aber es hat keine Freude an dem tobenden Hader; ja, cs sucht vergebens nach einem überzeugenden Erklärungs grunde für denselben. Der alte Kampf zwischen Liberalen und Conservativen ist ihm verständlich; der erbitterte Streit zwischen ReichSrcgierung und Liberalen aber ist ihm ein unentwirrbares Räthsel. Die Regierung verlangt wirksame und ausreichende Mittel zur Bekämpfung der gefährlichen Ausschrei tungen der Socialbemokratie. Nun prüfe man die Reden' sämmllicher liberaler Canvidaten, welche sich in den letzten Wochen vor ihren Wählern haben hören lassen und man wird keine einzige finden, in der nicht der Regierung die loyalste und entschlossenste Unterstützung im Kampfe gegen die Socialbemokratie in Aussicht gestellt wäre. Das deutsche Volk — wir dürfen das mit guter Zuversicht behaupten — ist mit diesen offenen und ehrlichen Erklärungen zu frieden. Bon verschievenen Seiten hat man es auf gefordert, die Candidaten vor die Frage „Aus nahmegesetz oder nicht?" zu stellen, und Jeden rück haltlos zu verwerfen, der sich nicht unbedingt für die Annahme eines „Ausnahmegesetzes" verpflichten würde. Das deutsche Volk im Großen und Ganzen hat die« Spiel mit formalen Begriffen abgelehnt. Auch die Reichsregierung verwahrt sich jetzt dagegen, diesen juristischen Lchulstreit in die WahldiScussion geworfen zu haben. Die allgemeine Ueberzeugung ist, daß, wenn die liberale Partei in der alten Stärke in den Reichstag zurückkehrt, der letztere sich mit der Regierung über die zweckmäßigste und wirksamste Weise der Bekämpfung der socialistischen Gefahr ohne Zaudern verständigen wird. Ist dem aber so, wozu dann der Lärm? Gewiß, hie Socialistenfrage wird sozusagen nur eine Episode der nächsten Legislaturperiode des Reichstags bilden. Ger ist denn über dir sonstigen Aufgaben der Gesetz- vwimddreißigü« Jahran-g. gebung ein so tiefer Gegensatz zwischen den Liberalen und der Regierung hervorgetreten, daß ein weiteres Zusammenwirken derselben schier unmöglich erscheinen müßte? Die Regierung selbst kann nicht dieser An sicht gewesen sein, denn sonst hätte sie mit der Auf lösung des Reichstages nicht bis nach dem Nobiling« scheu Attentate warten dürfen. Sie hat sogar gegen eine derartige Unterstellung selbst protestirt, indem sie die Behauptung, das zweite Attentat nur als Borwanv zur Auflösung benutzt zu haben, zurück- wicS. Und dennoch sollte man nach der Haltung der sogenannten freiwillig - gouvernementalen Presse fast glauben, die Ansichten und Bestrebungen von Reichsregicrung und der freisinnigen Partei ständen sich gegenüber wie Feuer und Wasser. Die Thal sache ist doch nicht zu leugnen, daß eine fundamen tale Verschiedenheit des Standpunktes in der letzten Reichstagssession nicht hervorgetreten ist. Die schärfsten Erörterungen haben sich auf die Frage der Steuerreform bezogen. Und dennoch herrscht zwischen der Reichsregierung und den Libe ralen über die Grundzüge, nach welchen dieselbe vorzunehmen sein wird, im Großen und Ganzen Ucbereinstimmung. Der Streit bezog sich auf Einzel heiten der Durchführung, besonders auf das TabacksMonopol. Nun, daß ein für das Tabacksmonopol begeisterter Reichstag auf keinen Fall zu erlangen sein wird, darüber dürften die un zweideutigen Kundgebungen der Wähler in den letzten Wochen ausreichende Gewißheit verschafft haben. Die Haltung der liberalen Fraktion des Reichstages in dieser Beziehung ist durch die Haltung des Vol kes einfach gutgeheißen. Im Uebrigen harren wir der Ergebnisse der nunmehr im Gange befindlichen Tabacksenquete und des Steuerreförmplanes über haupt, welchen die Regierung dem Reichstage vor- zulegea gedenkt. Daß ein solcher Plan an dem bösen Willen der Liberalen scheitern würde, werden auch die ärgsten Feinde derselben nicht be haupten wollen. Ebenso ist auf dem Gebiete der ganzen übrigen Gesetzgebung nicht abzusehen, Wa rin erfolgreiches Wirken zwischen Regierung und der freisinnigen Partei unmöglich machen müßte, wenrt die Regierung wirklich, wie sie angekündigt hat, <W den Grundlagen der bisher geschaffenen Gesetze fest halten will. Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtsblatt der Kgl. Amtohauptmannschaft und der Kgl. Schulinspection zu Knutzen, sowie des Königlichen Gerichlsamtes und des Stadtralhes zu Kifchofswerda. Viffe Zeitschrift erscheint wöchcntlich zwei Mal, Mittwochs und Sonnabends und kostet einschließlich der Sonn« abend« ^scheinenden „belletristischen Beilage" vierteljährlich t Mark LV Pfg. (IS Ngr.). Inserate werdm bi» Dienstag« '7^ und Freitags früh 8 Uhr angenommen.