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von diesen Handhaben in der Regel nicht ausreichender Gebrauch gemacht, weil — namentlich auf dem Lande — die Polizei unzureichend ist. Das Vaga- bondenwesen erschwert nicht allein in den großen Städten dem friedlichen Bürger das Leben; in ge wissen Theilen des platten Landes ist es mindestens eben so schlimm. Picke Landleute wagen gar nicht, einem augenscheinlichen Strolch ein Almosen zu ver weigern, weil sie Gewaltthätigkeit gegen Personen und Sachen, selbst Brandstiftungen fürchten. Aber auch selbst angenommen, das Freizügigkeitsgesetz führte den großen Städten solche bedenkliche Elemente mehr als sonst zu, so ist dies allerdings eine schwere Last für die betreffenden Gemeinden, aber für den Staat selbst immer noch kein Unglück. Es ist offenbar besser, solche zu Gewaltthäligkeiten geneigte Individuen existiren in großen Städten, wo ihnen eine concentrirte polizeiliche Macht gegenüber gestellt werden kann, als daß sie auf dem Lande den vereinzelt lebenden UebrigenS würde es gar nichts schaden, wenn man eine etwas strengere Gesetzgebung gegen das Bagabvnden- thum erließ, jedoch nur ein solches Gesetz, welches sich mit Aufrechterhaltung der Freizügigkeit verträgt. Was schließlich die religiöse Bewegung in Deutsch land betrifft, so werden nächstens die Altkatholiken ihren zweiten Congreß in Löln a. Rh. halten, wozu ihnen die dortigen Stadtverordneten den Gürzenich zur Disposition gestellt haben. Diese ganze Bewegung hat sich bis heute als ein ziemlich unschuldiges Ding erwiesen. Sie schadete den Feinden ebenso wenig, wie sie den Freunden nützte. Döllinger ist kein Luther geworden und der vorjährige Münchener September-Congreß hatte auch nicht entfernt die Be deutung, wie einstens der Bund von Schmalkalden. Was Wunder auch? Der Kampf, in dem wir uns jetzt befinden, ist ein anderer als zur Zeit des ka tholischen Ferdinand's; er ist kein Kampf um Prin- cipien, sondern um die Herrschaft im Staate. Die Differenzen zwischen Katholiken und Altkatholiken in ihren religiösen Anschauungen sind so gewaltige nicht; und diejenigen Differenzen, die sie augenblick lich trennen, finden ihren Ausgleich auf dem Wege^ „ „ .... ... parlamentarischer Gesetzgebung. Wäre "die Religion gehen, alle polizeiliche Handhaben, denselben entgegen Ursache des Kampfes, day« würde auch die Be- ... . . -- - ' "" > wegimg im Volke eine viel tiefgehendere und näch- Politische Umschau. Im lieben deutschen Reiche herrscht jetzt eine vollkommene politische Windstille; die todte Saison ist auf ihrem Höhepunkte angelangt. Außer der kirchlichen Bewegung werden nur die jüngsten Excesse in der Reichshauptstadt und der Böckler'sche Kinder raub von einigem Interesse begleitet. Letztere Uebcl- stände hört man nicht selten der Freizügigkeit in die Schuhe schieben. Jeder wirthschaftliche Fort schritt, das ist ja längst bekannt, ruft in heftigster Weise die Reaclion wach. Als die allgemeine Wechsel fähigkeit durchgeführt wurde, fehlte es nicht an Schauergeschichten über die schrecklichen Folgen dieses Gesetzes. Heute denkt Niemand daran, für die Be schränkung der Wechselfähigkeit in die Schranken treten zu wollen. Wenn man jetzt ebenso die Frei zügigkeit für jeden Pöbel-Exceß und Zigcunerstreich verantwortlich macht, so ist dagegen doch Folgendes zu erwägen. Das Louiswesen in den Städten und das Zigeuner- thum auf dem Lande datirt nicht von heute und gestern; vielmehr erreichte das Louisthnm seinen Culminationspunkt ehe noch das Freizügigkeitsgesetz in Kraft war. Ebenso besteht das Landstreicherwesen seit Jahrhunderten in gleicher Ausdehnung^ Alle deutsche Landarmen-Anstalten sind beständig mit Leuten gefüllt, die ein vagabondirendes Leben führen, so lange sie sich in Freiheit befinden, ohne daß man in der Regel ihnen andere Verbrechen als die Baga- bondage und Bettelei nachweisen kann. ES liegt nickt der geringste Beweis dafür vor, daß diese Uebel- stände sich seit Einführung des Freizügigkeits-Gesetzes verschlimmert hätten. Die gesetzlichen Repressions mittel gegen Bagabondage und Bettelei sind in keiner Weise abgeschwächt. Das Freizügigkeitsgesctz gestattet es Jedermann, seinen dauernden Aufenthalt nach Belieben zu wählen, aber es gestattet Niemandem, geschäfts- und arbeitslos im Lande umherzuziehen; es gestattet Jedermann, sich durch seine Arbeit zu ernähren, aber es gestattet Niemandem, durch Bettelei und Erpressungen den Lebensunterhalt aufzubringen. Alle strafgesetzlichen Vorschriften gegen jene Ver- l' . " . V". I V . zu treten, sind unverändert geblieben. Aber eS wird Sirbeminbjwanjigstrr Jahrgang. Bischofswerda, Stolpe« und Umgegend. Amtsblatt deoLisniglichen Gerichtsumteo und des Stadtratheo zu Discholowerda. Vies» Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwoed» und Sonnabend», und kostet einschließlich der Sana« abend« erscheinenden „belletristischen Beilage" vierteljährlich l2'j, Rgr. Inserat« werben bi« Dienstag« und Freitag« früh 8 Uhr angenommen. ' Mittwoch, de« 14. August. ! 1872»