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Grundsatz, dsß «maßischr KaviNrtn- Organe einer L^» fenrLtchtN Meinung, Vertreter der Nation seim, wird aikf da» EMHiichenste perhorreSctrt. > Damit ist rtün freilich nicht gesagt, daß die Negie rung ihrerseits, um die Meinung und die Stimmung / deS Lande- sich gar nicht bekümmere. Officiöse Federn behaupten dies zwar zuweilen und glauben, da seit ei nigen Jahren Mißachtung der Volksstimmen Mode ge worden ist, damit der Regierung ein Kompliment zu machen. Aber In Wahrheit begehen diese Journalisten einen argen Unsinn. Wenn sich nicht leugnen läßt, daß selbst der Kaiser von Rußland und Napoleon Hl., als Grundbedingung ihres absoluten Regiments, eine Uebereinstimmung desselben im Großen und Ganzen mit den Gefühlen, Anschauungen und Ansichten ihrer Nation für nöthig halten, so wird man in einem civi- lifirten Staate, wie Preußen ist, die öffentliche Meinung der Nation nicht ganz unbeachtet lassen können. Kaiser Napoleon IN. hat bekanntlich durch scharfe Gesetze die Kammern und die Zeitungen sehr schweigsam gemacht; aber daruin hat er nicht den Vorsatz gefaßt, die Mei nung und Stimmung der 35 Millionen Franzosen zu ignoriren. Gegenwärtig besitzen wir für die Richtung und die Intensität der öffentlichen Meinung in Preußen keine äußerlichen Erkennungszeichen, abgesehen von dem etwas unzuverlässigen der durchs Gesetz sehr eingeschränkten TageSpreffe. Allein soviel läßt sich doch mit aller Gewißheit sagen, daß die Richtung der preußischen Na tion nicht eine russenfreundliche ist. Daß das preußische Volk nicht wünscht und verlangt, gegen die Westmächte und gegen Oesterreich in die Waffen geru fen zu werden, daß man nicht für eine bewaffnete Neu tralität schwärmt, während die tiefgehendsten Fragen in einem europäischen Kriege erörtert werden, das glauben wir, würde selbst kein Mitarbeiter der ,^reuzzeitung" in seinen unzurechnungsfähigsten Stunden zu behaupten wagen. Wenn man überhaupt bei der obschwebenden Fragt von einer öffentlichen Meinung in Preußen reden darf, so wird dieselbe wohl ungefähr auf eine durch schnittliche Vorliebe für Ruhe und Frieden und auf die bittere Anerkennung hinauflaufen, daß Ruhe und Frie den, namentlich wenn man die englische Thronrede liest und die riesenhaften Rüstungen in ganz Europa be trachtet, dermalen gar kläglich schlechte Chancen haben und daß es besser ist, entschlossen und ernsthaft sich mit der Rothwendigkeit abzufinden, als ruhig abzuwarten, bis man nicht mehr gefragt wird. ES ist mehr als ein öffentliches Geheimniß, daß in Hähern Kreisen der Kreuzzeitung in Berlin lebhafte Sympathien für Rußland herrschen, während man Eng land mit ungünstigen Augen ansieht, während man Frankreich mit Argwohn, Oesterreich aber mit einem leisen Anfluge von Eifersucht betrachtet. Auch lehrt die Geschichte, daß seit den Napoleon'schen Kriegen zwischen Rußland und Preußen enge Beziehungen bestanden ha ben, wozu noch kommt, daß die beiderseitigen Höfe durch Verschwägerung eine Weihe ihrer freundlichen Beziehun gen erhalten haben. Und trotz alledem hat Preußen sich nicht entschließen, mögen, Rußland seinem Beistand angedeihen zu lassen in einer Krifis, welche für den altbefreundeten Nach barstaat sich ungleich gefährlicher gestaltet, als jener Krieg . welchdn Nappleon l. im ZaM Hl2 in Ha- Innere Rußland« trug. Freilich ist jetzt Preußen auch noch weit entfernt, die Westmächte mit seinen Waffen zu nuterstützen; Preußen weist »ielmehr in seiner Thron rede einen solchen Gedanken soweit wie möglich von sich. Aber bei allem Sträuben gegen eine thätige Theil- nahme an dem, wider Rußland entbrannten Kampfe, ist doch seine officielle Haltung unzweifelhaft eine antirussisch e. ES giebt in dem obschwehenden Streite dem St. Petersburger Cabinet Unrecht; e» unter schreibt daS von dem Westmächten im August dieses Jahre« ausgestellte Friedensprogramm; «S wendet dem selben wenigstens seine „moralische Unterstützung" zu; es befürwortet beim Czaren die Annahme von Bedin gungen, welche Rußland um den Besitz hundertjähriger Errungenschaften bringen würde; eS schließt endlich einen Vertrag ab mit Oesterreich, durch welchen eS sich zum Kampfe gegen Rußland für den Fall verpflichtet, wenn der Czar von einem unzweifelhaften Kriegsrechte Gebrauch machen und Len ihn angreifenden Feind auf dessen eignen Grund und Boden aussuchen sollte. Und Dies alle« geschieht, während man in Berlin vorzugsweise diejenigen Zeitblätrer schmackhaft findet, welche die russischen Kriegserfolge mit Jubel begrüßen. ES ist wahr, die „Kreuzzeitung," das Organ der hoch adeligen, ruffenfreundlichen Partei, ist verwarnt worden, als es seinem Haffe gegen England und Frankreich auf eine so rohe Weise Luft machte; aber wenn man die rücksichtslose Derbheit dieses Blattes rügte, so geschah es wohl mehr aus Gründen des Anstandes und der Klugheit, wodurch die Russenfreundlichkeit dieses Blattes nicht im mindesten beeinträchtigt worden ist. Man hat in der neuern Zeit durch die Enttäuschungen, die uns in Berlin bereitet wurden, sich häufig zu hef tigen Aeußeruugen über das preußische „Zögerungssy stem" hinreißen lassen. Aber man hat fast immer über sehen, daß. selbst dieses vielbeklagte Zögerungsshstein ei nen merkwürdigen Sieg des ruhigen Verstandes über das Gefühl vvraussetzt. Wenn dieser innere Sieg auch noch nicht völlig beendet ist, so wollen wir doch nicht vergessen, daß es nicht leicht ist, die Gefühle des Her zens zu verleugnen und dem kalten Verstände auch dann zu folgen, wenn er uns Wege einschlagen heißt, die mir unser» Sympathien in geradem Widerspruch stehen, wir wollen bedenken, daß auch Oesterreich erst nach langer lleberlegung, nach langen Innern Kämpfen zu einen» entschiedenen Entschlüsse gelangte. Mit den Sympathien und Gewöhnungen einer lan gen Vergangenheit brechen, um des Vaterlands willen; mit Gegnern und Rivalen zusammen zu gehen, um ei nen Freund niederzuwerfen, der dem Allgemeinen, der Ruhe Europas, gefährlich geworden ist; ihn bekämpfen nicht aus Leidenschaft und Ruhmbegierde, sondern aus Gehorsam gegen die Pflicht; daS ist kein leichtes Werk und nur diejenigen werden davon leichthin sprechen, Denen im Leben daS Gefühl nie Unbequemlichkeiten in 'Ausführung einer Pflicht verursacht hat. Preußen ist mit dem Abschlüsse des neuen Zusatz artikels auf die Hälfte seines Weges angekommen, trotz der mächtigen Hindernisse, welche sich seinem Fortschrei- ten entgegenstellten. Gerade deshalb ist eS so sehr der Mühe werth, den von unS angedeuteten Zwiespalt zwi schen der offieiellen Haltung Preußens und seinen Sym-