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X- 30, 5. Februar 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d.Dtschn. Buchhandel. Deutschland wird man vergeblich etwas ähnliches suchen. Dafür wendet Dänemark auf 3 Millionen Einwohner 1,2 Millionen Kronen für seine Volksbüchereien auf, wozu kommunale Mittel von mindestens der gleichen Höhe kommen. Die Vergleichszahlen sind 50 000 Mk. auf 4,5 Millionen Einwohner in Sachsen und 300 000 Mk. auf 38 Millionen Einwohner in Preußen. Erziehung zum guten Buch geschieht daneben in Jugend- büchercicn, Kinderlesehallcn, Schulbüchereien — alles Einrich tungen, die noch außerordentlich jung und in weiten Gebieten Deutschlands noch fast ganz unentwickelt sind. Im Durchschnitt des Reiches kommt 0,91 Buch auf ein Kind. Die Aufwendun gen für die Volksschulbüchereien sind noch ganz verschwindend, nämlich 0,3 Prozent der Gesamtausgaben für die Volksschulen. Wie soll ein Volk zum guten Buch ein Verhältnis gewinnen, wenn nicht die Schulen ganz bewußt dazu erziehen und das Verhältnis des Kindes zum guten Buche Pflegen! Um so wichtiger ist es, daß der Preußische Minister für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung vor kurzem einen ausführlichen Erlaß zur Neugestaltung und Auswertung der Schulbüchereien hat hinausgehen lassen. Ich fasse zusammen: es spielt sich ein doppelter Prozeß ab. Volksbildung wirkt für das Buch; zugleich aber wird das Buch zu einem wichtigen Mittel der werdenden Volksbildung. Alle unsere Büchereien schassen dem Buche erst die Leserschaft — und dem Buchhandel seine Käufer. Nur solche gründliche Arbeit auf lange Sicht hilft. Zur Mitwirkung an dieser Arbeit, zum Ver ständnis dafür, zu ihrer Würdigung und Unterstützung rufen wir deshalb — in seinem Interesse — den Buchhandel auf. Zunächst muß der Verlag selbst bewußt am positiven Aufbau eines Kulturvolkes mithelfen, durch das, was er verlegt — und was er nicht verlegt, was er in den Vordergrund stellt und was er nur mitführt. Es handelt sich nicht nur darum, daß der Teil des Verlags, der Kultur- und Qualitätsarbeit leistet, sich von dem anderen löst oder wenigstens sich für sich aktiv zu sammenschließt. Weder der Staat noch das Volk hat ein Inter esse an drucktechnisch hergestellten Amüsierartikeln, wohl aber an einem verantwortungsbewußten Unternehmertum, das mit den geistigen und wirtschaftlichen Mitteln, die ihm Vorbehalten sind, mitwirkt am Werden des neuen Menschen und Volkes, und das die positiven Kräfte der Zeit mit den Mitteln des Buches heraus- stellt und aktiviert. Die Ahnenreihe unserer Verleger wird nicht umsonst eröffnet von einem Friedrich Perthes, in dessen be rühmter Programmschrift dem rechten Buchhandel dieselben Ziele vorgezeichnet werden, die wir heute unseren »Bildungs büchereien« setzen. Damit steht aber nicht bloß Qualität gegen Kitsch, sondern zugleich die Qualität des Aufbaus gegen die — auch vorhandene, ja oft faszinierende — Qualität der Dekadenz. Auch der Verlag würde sich selbst das Grab graben (wie unser ganzes Volk), wenn er unterschiedslos fördern wollte, was alte und neue Bindungen bejaht, und was sie auflöst und vernichtet. Und erst recht richtet sich der Appell der Volksbildung an das Sortiment. Wenn ein »Tag des deutschen Buches« einen Sinn haben soll, so muß neben der Unterstützung von Volksbildung und volkstümlicher Bücherei namentlich eine wesentliche Förde rung der Bewegung im Jungbuchhandcl dabei herauskommen, die den buchhändlerischen Nachwuchs zu einer verantwortungs bewußten Vermittlung der im Buch angelegten Kulturgüter er ziehen will. Diese junge Generation will nicht auf irgendeinem Wege Geld machen, sondern ist sich der Würde und der Pflichten bewußt, die der Mann hinter dem Ladentisch der Buchhandlung besitzt. 11m diesen Pflichten genug tun zu können, ist eine außer ordentlich schwierige Sclbstbildungsarbeit notwendig. Ich selbst habe vor Jahren bei einem der von Eugen Diedcrichs einberufe- nen Buchhändlertage auf Burg Lauenstcin zuerst eine Ent schließung beantragt, deren Folge dann eine ganze Reihe von so genannten Sommerakadcmicn gewesen ist. Aber das, was bisher geschieht, ist ein Anfang. Wir hoffen, daß schon in aller Kürze ein neuer und größerer Plan der Öffentlichkeit unterbreitet wer den kann. — Ich komme zum Schluß: glauben Sie nicht, daß, was ich sage, wirklichkeitsferner Idealismus im schlechten Sinne ist. Man kann den Bolksbildner nicht auf die Dauer als Spitzwegsche Figur abtun, der in diese Welt der neuen Sachlichkeit nicht passe. 14 0 Im Gegenteil: was ich Ihnen zu zeigen versuche, sind sehr reale Kräfte, deren Verachtung sich immer gerächt, deren An spannung zu den größten wirtschaftlichen Erfolgen geführt hat. Ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler hat das Wort geprägt: daß Dänemark — das ich immer wieder zitiere — heute die beste Butter und den besten Käse auf den Weltmarkt bringe, sei zwar nicht das Ziel, aber die Folge der dänischen Volksbildung. Und als ich voriges Jahr in Dänemark war, sagte mir ein dortiger Freund: in Deutschland sei zwar das Wort geprägt worden, daß es der Geist sei, der sich den Körper baue; aber in Dänemark habe man Ernst damit gemacht. Sollten wir es nicht zunächst einmal dort damit versuchen, wo Geist und Wirtschaft sich an sich am nächsten verschwistern? Meine Damen und Herren! Als Ver mittler von Zerstreuung und Unterhaltung ist das Buch längst der Konkurrenz anderer technischen Mittel, wie Kino und Radio, ausgesetzt, und wird ihnen vermutlich nicht durchweg standhalten. Was aber dem Buche immer Vorbehalten bleibt, ist dies: daß hier die Großen im Geiste unmittelbar, Auge in Auge, mit jedem Volksgenossen sprechen, und daß jeder ernste Mensch, nur auf sich angewiesen, und sich verantwortlich, sich dem Einfluß der Besten seines Volkes und der Menschheit öffnen kann. Dies Eine bleibt, und nur die Besinnung auf das Bleibende dient der Zukunft. über Rationalisierung. Der Hauptschriftleiter des Börsenblattes ist allen Buchhändlern durch seine klugen und weitblickenden regelmäßigen Betrachtungen der Wirtschaftslage aufs vorteilhafteste bekannt. Uber das Gebiet der buchhändlerischen Betriebslehre, auf dem er bereits mehrere gehaltvolle Werke veröffentlichte und für das er an der Handelshoch schule Leipzig den im Jubiläumsjahr 1925 errichteten Lehrstuhl ein nimmt, greift er mit seinem neuesten Werke*) weit hinaus. Nationalisierung ist in der Zeit seit der Stabilisierung zu einem der verbreitetsten Schlagworte geworden, obwohl eine end gültige Definition des Begriffs noch nicht festliegt: aber wie der Verfasser richtig bemerkt, kann die Praxis notwendige, auf den Nägeln brennende Maßnahmen nicht vertagen, bis die Theorie die richtige Definition dafür gefunden hat. Es ist aber auch nicht etwa so, wie man gelegentlich von reinen »Praktikern« hören kann, daß das Mode fremdwort nur eine wohlklingende Bezeichnung für das altmodische »Sparen« ist; es klingen in dem Wort vielmehr Begriffsketten ver schiedenster Richtungen zusammen. Im wörtlichsten Sinne wohl bedeutend: Anwendung der ratio, des Verstandes, auf die Vorgänge der Einzelwirtschaft, führt dies letzten Endes dazu, daß die Aus wirkungen der technischen Vervollkommnungen auf die im Betrieb tätigen Menschen in Betracht gezogen werden müssen, d. h. es muß gefordert werden, daß die zunächst mit der Einsparung von Menschen- krästen verbundene Arbeitslosigkeit kompensiert werde durch eine dem Verbraucher zugute kommende Preissenkung, und daß die im Betrieb bleibenden Arbeitskräfte für die unvermeidliche Mechanisie rung der Arbeit durch anderweite Anerkennung ihrer Menschenwürde entschädigt werden. Menz beginnt mit einem analytischen Überblick über die Fülle der Rationalisierungserschcinungcn: von dem organisatorischen und dem technischen Problem, von der positiven und der negativen Nationalisierung ist ebenso die Rede wie von Ford und Taylor, von Hoovers Untersuchungsergebnissen über die Ver schwendung in der Industrie und deren Hauptursachen, von der Nationalisierung in der Hauswirtschaft, in der Verwaltung, auf dem Gebiet der Währung usw. Auch die Frage wird aufgeworfen (die für den Buchhandel von besonderer Wichtigkeit sein dürfte), ob Deutschland denselben Grad oder dieselbe Stufe von Nationalisierung erreichen oder auch nur anstrebcn könne wie die Vereinigten Staaten. »Denn der deutsche Arbeiter stellt differenziertere Ansprüche an das Leben als der mechanisierte Arbeiter Amerikas. Alles, was an kul turelle Genüsse erinnert, ist in USA fast unerschwinglich für die breiten Massen«. Doch genug hiervon. Diese reiche Materialsammlung wird jedem Wirtschaftler eine Fülle von Anregungen geben, wie er in seinem Betriebe noch rationalisieren kann. Die zweite Hälfte des Buches ist dem Versuch einer systemati schen Erfassung des Begriffs »Rationalisierung« gewidmet. Behandelt werden das Naum-Zeit-Problem, das Kausalitätsproblem, das Auto- *) Irrationales in der Rationalisierung. Mensch und Maschine. Von Prof. vr. Gerhard Menz. Breslau, M. L H. Marcus, 1928. VIII, 276 S. Gzlwd. 8.50.